Dagmar Isabell Schmidbauer

Der Tote vom Oberhaus


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als Hannes sich räusperte.

      „War der Mann allein, oder war er in Begleitung?“, fragte er, um wieder auf ihr eigentliches Anliegen zurückzukommen. Im Vergleich zu seiner Kollegin hatte sich Hannes nämlich überlegt, wie sich die Exkursion in die Seelenvariationen der Menschheit in ihrem späteren Bericht machen würde.

      „Er war allein. Zumindest kaufte er sich nur ein Einzelticket.“

      „Ihnen ist also niemand aufgefallen, der sich für Herrn Mautzenbacher interessiert hätte?“, fragte Hannes eindringlicher.

      „Nein, offen gestanden nicht.“

      „Dann eine andere Frage: Kennen Sie diesen Mann?“ Hannes zog ein Foto von Walter Froschhammer aus seinem Notizbuch, und als Franziska erkannte, um wen es sich handelte,

      sog sie hörbar die Luft ein. Hannes stieß sie mit dem Ellenbogen unauffällig in die Seite.

      „Aber das ist doch der Künstler, der die neuen Räume gestaltet, dieser …“, sie überlegte, schien aber nicht auf seinen Namen zu kommen. Dann huschte ein feines Lächeln über ihr Gesicht. „Dieser Mann hat zum Beispiel eine alte Seele, sehen sie!“ Sie zeigte auf seine Augen.

      „Können Sie das auf einem Foto erkennen?“, fragte Franziska ungläubig.

      Petra Meisel lachte. „Nein, natürlich nicht. Aber ich habe mich schon ein paar Mal mit ihm unterhalten. Er geht ja hier ein und aus. Und er ist einfach faszinierend, wenn ich das so sagen darf.“

      Um ein Haar hätte Franziska sie gefragt, ob der Künstler sie am Ende schon gemalt hatte, als Hannes die beiden Frauen wieder auf Kurs brachte.

      „Walter Froschhammer war gestern Nachmittag in der Burg. Haben Sie ihn gesehen?“

      „Walter Froschhammer, genau, so heißt er.“ Frau Meisel sah Hannes an und nickte. „Ja. Er kam, als ich gerade anfing.“

      Hannes ließ nicht locker. „Und wann ging er wieder?“

      „Hm, lassen Sie mich mal überlegen. Vielleicht so gegen zwei? Zumindest glaube ich, dass ich ihn da gesehen habe. Da kam ein Geschichtskurs aus dem Adalbert-Stifter-Gymnasium, die hatten sich für die Führung ‚Von der mittelalterlichen Burg zur barocken Festung‘ angemeldet. Gestern war ganz schön was los“, fügte sie erklärend hinzu.

      „Das heißt, Sie wissen nicht mit Sicherheit, ob Walter Froschhammer um zwei Uhr das Oberhaus verlassen hat?“, versuchte Hannes die Aussage von Petra Meisel zu präzisieren.

      „Nein. Sicher bin ich mir nicht.“

      Hauptkommissar Josef Schneidlinger saß an seinem neuen Schreibtisch und kratzte mit dem Löffel den letzten Rest Milchschaum aus seiner Tasse. Dann stand er auf, ging zur Spüle und begann, das Geschirr sorgsam abzuwaschen. Er liebte diese Art der Beschäftigung, gab sich voller Eifer dem Bürsten und Durchspülen hin. Für ihn war Abwasch keine Arbeit, sondern eine Möglichkeit, um in Ruhe nachzudenken.

      Nachdem Obermüller und Gruber gerade alle sozialen Netzwerke und Internetforen durchforsteten, um vielleicht auf diesem Wege etwas über Xaver Mautzenbacher herauszufinden, hatte es Schneidlinger auf dem altmodischen Weg versucht und seine Kontakte spielen lassen. Einer seiner Informanten war Acarbay Özdemir. Der kleine korpulente Mann mit dem großen Namen betrieb im Münchner Bahnhofsviertel ein florierendes Import-Exportgeschäft, wobei die meisten seiner Geschäfte legal waren. Er holte Früchte und Textilien aus der Türkei und lieferte Elektrogeräte und Computer nach Istanbul. Nebenbei, um seine lauteren Geschäfte finanziell abzusichern, war er Teil eines großen illegalen Netzwerkes. Eine Sache, der Schneidlinger einst auf die Schliche gekommen war, sie nicht weiter verfolgt hatte und dafür immer noch ausnutzen konnte. So wie jetzt im Fall Mautzenbacher, als es darum ging, die Herkunft der Rolex zu überprüfen, die, wie Obermüller herausgefunden hatte, nirgends gestohlen gemeldet war.

      Vor einer Stunde hatte Schneidlinger mit Acarbay telefoniert, und der hatte ihm versichert, er werde sich umhören.

      Mit einem selbstgefälligen Lächeln auf den Lippen räumte der Hauptkommissar sein Geschirr zurück in den kleinen Schrank unter dem Kaffeeautomaten und bemerkte nicht, dass seine Gedanken sich nicht mit dem Fall Mautzenbacher beschäftigten, sondern von seinem Freund Acarbay zu einer anderen Münchner Bekanntschaft gewandert waren.

      Denn auch Paulina hatte er während Ermittlungen kennengelernt, allerdings auf eine ganz andere Art als Acarbay.

      Die junge Frau jobbte neben ihrem Studium für einen Escortservice, und im Rahmen dieser Tätigkeit wurde sie zum Alibi eines Hauptverdächtigen, der in einen großen Wirtschaftsbetrug verwickelt war. Als alles vorbei war, trafen sich Schneidlinger und Paulina zufällig in der Stadt, und nachdem Paulina ihr Studium beendet und ihren verruchten Job an den Nagel gehängt hatte, entstand eine solide Freundschaft zwischen den beiden.

      Ein weiterer Zufall wollte es, dass erst Paulina und nun auch Schneidlinger in Passau landeten und er somit eine vertraute Ratgeberin in seiner Nähe hatte. Natürlich war ihm bewusst, dass niemand, der die Vorgeschichte zu dieser Freundschaft kannte, ihm glauben würde, dass sie wirklich nur gute Freunde waren.

      Darum war Schneidlinger immer besonders vorsichtig, wenn er zu Paulina ging, um Fragen nach der Art ihrer Beziehung gar nicht erst aufkommen zu lassen.

      Nachdem er am gestrigen Abend mit ihr telefoniert hatte, hatte er seinen Porsche Boxster wenig später in der Heilig-Geist-Gasse geparkt und war zu Fuß zu ihrer Altbauwohnung hoch über der Passauer Fußgängerzone gegangen, wo sie ihn schon vor der Wohnungstür erwartete.

      Barfuß, in einem weißen Sommerkleid, die Haut sanft gebräunt, die langen schwarzen Haare zu einem lockeren Zopf geflochten, die Fußnägel rot lackiert. Wie immer war Schneidlinger von ihrer Schönheit fasziniert, und wie immer stellte er sich vor, was wäre, wenn es nicht bei einer freundschaftlichen Umarmung bliebe.

      Doch dann hatten sie über seine Entdeckung im Fall Sophia Weberknecht gesprochen, Wein getrunken und überlegt, was Schneidlinger in dieser Sache unternehmen sollte und konnte, ohne sich unbeliebt zu machen.

      „Gib dem Hollermann eine Chance“, hatte Paulina schließlich vorgeschlagen, weil sie wusste, wozu Männer um ihrer Karriere willen imstande waren.

      Schneidlinger hatte sich die Möglichkeit bei einem Schluck Wein durch den Kopf gehen lassen, und als kurz darauf die Meldung kam, dass im Oberhaus ein toter Mann gefunden worden war, hatte er es als Zeichen des Himmels gedeutet, gelächelt und beschlossen: Hollermann würde seine Chance bekommen.

      Ein letztes Mal wischte Schneidlinger mit dem Spüllappen das Becken aus und ging dann zu seinem Schreibtisch. Er hatte einen Termin im Heinrichsbau bei Oberstaatsanwalt Schwertfeger, weil der am Vormittag wegen einer Gerichtsverhandlung nicht an der Besprechung hatte teilnehmen können und jetzt einen mündlichen Bericht einforderte. Eine gute Gelegenheit, wie Schneidlinger fand, um mal über das eine oder andere zu sprechen.

      Kurze Zeit später klaubte der neue Chef des K1 seine Wagenschlüssel vom Schreibtisch, zog sein Jackett über und ging mit einem knappen Nicken an Ramona vorbei. Auf dem Gang stieß er auf den Kollegen Gruber, der sich gerade seine langen Haare zu einem Zopf band und in der Spiegelung der Glastür seinen eingezogenen Bauch bewunderte. Als er Schneidlinger entdeckte, ließ er verlegen von Bauch und Mähne ab und rief freudig: „Ah, Chef! Wir haben das Kennzeichen von Mautzenbachers Auto. Ich habe es zur Fahndung rausgegeben.“

      Schneidlinger nickte anerkennend. „Gut. Sehr gut.“ Dabei klopfte er Gruber auf die Schulter.

      Gruber warf seine Haare nach hinten und lächelte dann unsicher. „Ja, dann will ich mal wieder.“ Er schob das Gummiband in die Hosentasche und sah zu Schneidlinger, doch der steuerte schon die Tür an. Er hatte es eilig. Er legte Wert auf Pünktlichkeit, bei anderen und natürlich auch bei sich selbst.

      Als er mit seinem Auto vom Polizeiparkplatz rollte und sich in Richtung Haitzinger Brücke in den allabendlichen Berufsverkehr einreihte, sah er auf seinem