Dagmar Isabell Schmidbauer

Der Tote vom Oberhaus


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immer mit einem 3-DHologramm versehen. Und sehen Sie auch, wie sich das Muster darunter verändert, wenn ich die Uhr hin und her bewege und damit den Blickwinkel verändere?“

      Hannes nickte stumm, woraufhin Schneidlinger die Uhr wieder umdrehte.

      „So wie bei diesem Modell wird bei jeder Rolex die Identifikationsnummer im Gehäuse auf sechs Uhr eingraviert, und zwar kreisförmig und mit sauber abgegrenzten Ziffern. Fälscher können heutzutage viel, aber nicht die Nummern sauber eingravieren“, erklärte der Chef weiter, bevor er hinzufügte: „Das ist übrigens eine Datejust 36 MM. Ein wunderbares Stück aus Edelstahl und Everose-Gold.“

      Ohne ein Wort der Bewunderung über das Wissen seines Chefs abzugeben, stammelte Hannes: „Dann verstehe ich aber nicht, warum er seinem Nachbarn erzählt hat, es handle

      sich dabei nur um ein Imitat.“

      „Vielleicht hat er sie geklaut und wollte keine Begehrlichkeit wecken“, gab Obermüller zu bedenken. „Wobei, wenn sie eine Identifikationsnummer hat, ist das ja leicht rauszukriegen.“

      Gruber nickte seinem Kollegen zu. Bei solchen Angelegenheiten waren die beiden Ermittler Spezialisten.

      „Findet das mal für mich heraus“, forderte Franziska Obermüller auf und schenkte ihm ein Lächeln. Sie mochte den Kollegen. Denn der war zwar ein Kerl wie ein Schrank, aber trotzdem nicht auf den Kopf gefallen. „Ich habe ohnehin das Gefühl, dass bei diesem Mautzenbacher etwas nicht stimmt. Die Wohnung ist billig eingerichtet: Fernseher, Schränke, Sofa. Sogar die Bücher sind alt und abgegriffen. Man könnte meinen, er habe alles zusammengetragen, was nichts kostet. Und dann hängen im Kleiderschrank teure Anzüge.“

      Franziska zuckte mit den Schultern. Sie wollte es jedem Einzelnen überlassen, das Geschilderte zu bewerten.

      Als niemand etwas einwandte, fuhr sie fort: „Dass die Uhr echt ist, ändert natürlich einiges. Das heißt, wir müssen auch das gefundene Bargeld neu bewerten. Mautzenbacher lebte wie jemand, der nur vollkommen wertlose Dinge besitzt. Doch als er gefunden wurde, hatte er zwanzigtausend Euro bei sich. In druckfrischen Fünfhundertern. Also sicher nicht zusammengespart.“ Wieder machte sie eine Pause. „Ich denke, wir müssen klären, woher er das Geld hatte beziehungsweise wofür es bestimmt war. Auf der Suche nach dem Täter müssen wir beachten, warum er das Geld, das in der Innentasche seines Sakkos steckte, nicht gefunden beziehungsweise nicht an sich genommen hat. Wenn er davon überhaupt wusste …“

      „Wir gehen davon aus, dass es im Keller der Burg zu einem Streit kam und Mautzenbacher dabei getötet wurde“, warf Schneidlinger ein.

      „Bei der gegebenen Fundsituation drängte sich auch dieser Verdacht auf. Trotzdem muss es ja nicht ums Geld gegangen sein“, überlegte Franziska laut.

      Der Chef nickte. „Ja, ja das stimmt. Gibt es denn schon Zeugen, die einen möglichen Täter gesehen oder etwas von einem Streit mitbekommen haben?“

      „Nein.“ Franziska lächelte nachsichtig. „Aber wir werden uns heute noch einmal im Oberhaus umhören.“

      „Gut, dann werden Sie“, er blickte abwechselnd zu Gruber und zu Obermüller, „alles über Xaver Mautzenbacher herausfinden. Drehen Sie in seiner Wohnung jedes Blatt Papier um, fragen Sie die Nachbarn, Arbeitskollegen …“

      „Laut seinem Nachbarn Willi Geiler war er ständig auf Jobsuche“, warf Hannes ein und wartete, bis der Chef ihn ansah.

      „Ein guter Hinweis. Haben Sie sonst noch etwas?“

      „Ja. Das Auto. Es soll rot und rostig gewesen sein. Vielleicht ein Fiat.“

      „In der Wohnung gab es absolut nichts Aussagekräftiges über Mautzenbacher. Am Ende fuhr er sein Leben im Auto spazieren“, gab nun auch Franziska zu bedenken.

      „Sehr guter Ansatz“, lobte Schneidlinger. „Wäre doch gelacht, wenn wir nicht ein bisschen Licht in die alten Gemäuer der Burg bringen würden.“

      Unsicher sahen sich alle am Tisch des Besprechungszimmers an. Noch wussten sie nicht viel über den neuen Chef. Doch eines war allen klar: Bei diesem Fall würde er sich bewähren

      müssen, und das mussten sie alle mittragen.

      „Glaubst du mir jetzt, dass du nur Gespenster gesehen hast?“

      Franziska und Hannes hatten ihren Wagen auf dem Besucherparkplatz abgestellt und gingen zu Fuß durch die weitläufige Burganlage.

      „Immerhin passen die gut zu diesen alten Gemäuern.“ Franziska zeigte auf das erste Burgtor und den dahinter liegenden Durchgang.

      „Ja, aber irgendwie nicht zu Schneidlinger. Er ist bemüht. Er will ein gutes Klima. Ich kann eigentlich nichts an ihm aussetzen.“

      „Schon gut, schon gut“, wiegelte Franziska ab und konzentrierte sich auf das kommende Gespräch. Sie hatten den Eingangsbereich und mit ihm den Kassentresen erreicht.

      „Frau Meisel?“, sprach die Kommissarin eine schlanke ältere Dame an, die trotz der Hitze in einem dunklen Leinenkostüm hinter der Kasse saß. Franziska zeigte ihren Ausweis. „Franziska Steinbacher von der Mordkommission Passau. Ich hätte ein paar Fragen an Sie.“

      „Oh, ja, natürlich. Einen Moment bitte, ich muss nur noch schnell die nächste Gruppe abkassieren!“

      Franziska nickte und stellte sich, um Platz zu machen, zu einem Tisch, auf dem Prospekte ausgelegt waren. Hannes folgte ihr. „Wahnsinn, was man in Passau alles anschauen kann. Wusste gar nicht, dass wir in einer so interessanten Stadt leben.“

      Franziska sah Hannes prüfend an. Doch er schien es ernst zu meinen.

      „Man nimmt sich einfach zu wenig Zeit …“

      „So, ich wäre jetzt so weit.“ Mit federnden Schritten kam Petra Meisel zu ihnen herüber. „Heute ist hier die Hölle los.“ Franziska nickte. Obwohl noch nichts in der Zeitung stand, hatte sich die Nachricht von einem Toten in der Burg natürlich blitzschnell herumgesprochen.

      „Sie saßen gestern Nachmittag an der Kasse?“, begann Franziska mit ihren Fragen.

      „Ja, von eins bis fünf!“

      „Und erinnern Sie sich auch an diesen Mann?“ Franziska hielt der Kassiererin das Foto aus Mautzenbachers Wohnung entgegen.

      „Ja, sicher“, bestätigte die Frau. „Sehr gut sogar. Ein ganz außergewöhnlicher Mann.“

      Franziska straffte die Schultern. Es wurde spannend. „Wie meinen Sie das?“

      „Nun, es war ein Mann ohne Seele!“

      Die beiden Kommissare wechselten einen schnellen Blick und sahen dann wieder zu Petra Meisel.

      „Ist Ihnen das noch nie aufgefallen?“, fragte diese ganz selbstbewusst und lieferte gleich darauf die Erklärung. „Wenn Sie einen Menschen anschauen, ich meine so richtig anschauen – nicht nur ins Gesicht, sondern in die Augen und durch die Augen hindurch, bis in die Seele … dann erst wissen Sie, wen Sie vor sich haben!“

      Sie ließ den Kommissaren Zeit, um ihre Ansicht zu verinnerlichen.

      „Nicht jeder Mensch ist gleich. Es gibt Menschen, die haben eine junge“, sie lächelte, „beinahe verspielte Seele. Die müssen noch viel durchmachen, um zu reifen. Und dann gibt es Menschen, die haben eine alte Seele, eine, die schon viele Leben hinter sich hat. Sie ist voller Weisheit und Erfahrung, und man merkt das den Menschen mit so einer alten Seele auch an. Ja, und dann gibt es noch die ohne Seele, ohne Gewissen. Die sind zu allem fähig. Wenn ich solche Leute treffe, dann schaudert es mich, aber es ist auch sehr interessant, sie zu beobachten.“

      „Gibt es viele solcher … Seelenlosen?“, fragte Franziska und merkte zu spät, worauf sie sich da gerade eingelassen hatte.

      „Oh ja! Aber es ist mir selten so sehr aufgefallen wie bei diesem Mann!“