Martin Dolfen Thomas Strehl

... und am Ende wird alles gut


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Ihnen vorbeigerannt ist.«

      Nachdenklich sah ich mich um und sah in einiger Entfernung eine Kuh, die sich in gemäßigtem Trab immer weiter von uns entfernte. »Oh«, fiel mir als einzig Sinnvolles ein.

      »Kann ich Ihr Fahrrad haben?«

      »Ähh, klar«, antwortete ich, mit der Situation immer noch überfordert. Ich stieg ab und drückte der Latzhose das E-Bike in die Hand.

      Ohne ein weiteres Wort packte der Mann das Rad und nahm die Verfolgung auf. Kurz blickte ich ihm hinterher und hoffte, dass er die Kuh irgendwie zum Stillstand bekommen würde.

      Dann tippte mich jemand an. Ich drehte mich um und blickte in glückliche, dankbare Augen.

      »Lieb von Ihnen, dass Sie meinem Mann ihr Fahrrad geliehen haben.« Eine kleine rundliche Frau mit einer hellblauen Schürze stand vor mir.

      »Kein Problem, das ist doch selbstverständlich«, meinte ich ehrlich.

      »Das glaube ich Ihnen. Sie haben treue Augen.«

      Treue Augen? Das hatte noch nie jemand zu mir gesagt. Ich glaubte ihr trotzdem, mir jedoch weniger. Treue? Ich bin nie in die Verlegenheit gekommen untreu zu werden. Vielleicht meinem Arbeitgeber, weil ich ihn durch meine Krankheit im Stich gelassen hatte, aber war das Untreue? Ich fühlte mich dadurch schlecht, das stimmte. Schließlich und insoweit konnte ich die Aussage der Frau bestätigen, besaß ich ein wenig Anstand. Aber wirklich treu?

      »Wollen Sie auf ein Stück Kuchen und eine Tasse Kaffee reinkommen?«

      Überrascht sah ich mich um, was sie sofort bemerkte. »Wir haben einen Bauernhof, direkt hier am Feld.«

      Sie zeigte zur Seite, drehte sich um und ging los. »Kommen Sie!«, sagte sie lachend. Diese Frau hatte die Lebensfreude, die mir abhandengekommen war. Sie schien nicht viel auf Äußerlichkeiten zu geben. War mit dem zufrieden, was sie hatte, wahrscheinlich frei von jeglichem medialen Einfluss und sämtlichen Süchten und Beeinflussungen, die damit einhergingen. Zumindest war dies mein Eindruck.

      Ich folgte ihr.

      Nach etwa hundert Metern standen wir mitten in einem wunderschönen Gutshof. Kühe muhten aus einem Stall in der Nähe und ein paar Hühner liefen frei umher und pickten auf dem Boden herum.

      »Urig«, befand ich.

      »Schöner ist es nirgendwo.«

      Mein Eindruck schien sich zu bestätigen. Die Bäuerin war das Paradebeispiel eines zufriedenen Menschen und ein Leuchtturm mitten in rauer See, auf der sich Leute wie ich befanden, die ziellos auf ihrem alten Kahn dem Untergang geweiht waren. Leider, und so viel stand fest, würde ihr Licht mich nicht davon abhalten an den Klippen zu zerschellen.

      »Das glaube ich Ihnen.«

      Sie ging voran. Ich folgte ihr, durch eine offenstehende Holztür, in ein rot verklinkertes Haus, an dessen Fensterbänken herrlich bunte Blumen in grünen Kästen ausufernd nach unten rankten.

      »Setzen Sie sich doch.«

      »Danke!« Ich nahm an einem alten, grob behauenem Holztisch Platz, auf dem ebenfalls bunte Blumen in bauchigen Vasen blühten. »Sie scheinen Blumen zu lieben«, rief ich der Bäuerin hinterher, die in einem Nebenraum verschwunden war.

      »Oh ja. Alles was leuchtet, was Farbe hat, liebe ich.«

      Klirrendes Geschirr verriet mir, dass die gute Dame dabei war mir etwas Gutes zu tun.

      »Sie brauchen sich wegen mir keine Umstände zu machen.«

      »Aber das mache ich doch gerne«, sagte sie und betrat den Raum mit einem übergroßen Stück Apfelstreusel und einer dampfenden Tasse Kaffee, serviert auf, wie sollte es anders sein, knallbuntem Porzellan.

      »Hui«, sagte ich erstaunt. »Das am Vormittag.«

      »Ist es Ihnen nicht recht?«

      Ich zögerte etwas. Mein Zuckerwert würde in astronomische Höhen schießen, aber auch das war völlig egal. Also antwortete ich: »Alles bestens. Das sieht sehr, sehr lecker aus.«

      Nun lachte die Frau. »Ich fasse das mal als Kompliment auf. Hoffentlich schmeckt es auch so gut, wie es aussieht.«

      Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, verschwand meine Kuchengabel mit dem ersten dicken Stück in meinem Mund. Ich neigte oft zu Übertreibungen und mir gingen wirklich nicht schnell die Superlative aus, aber zu diesem Kuchen fiel mir kaum noch etwas ein. Sensation, wäre wohl passend gewesen, doch selbst das war eine maßlose Untertreibung. Noch nie hatte ich einen so leckeren Kuchen gegessen.

      »Und, schmeckt es Ihnen?«, fragte sie und sah mich mit erwartungsvollen Augen an.

      Ich war kaum in der Lage einen ordentlichen Satz zu formulieren. Als hätte man einen Schalter umgelegt, hatte ich in den Genießermodus umgeschaltet, beinah unfähig zu sprechen.

      »Un-glaub-lich!«, jubelte ich als Meister der Silbentrennung mit vollem Mund.

      Wieder lachte die Frau und wies daraufhin, dass ich auch noch eine Kanne Kaffee auf dem Tablett stehen hatte. Also schenkte ich mir aus dem bunten Porzellan einen Kaffee in die Tasse und veredelte ihn üppig mit Kondensmilch und Zucker.

      Höchstwahrscheinlich hätte mich mein Diabetologe erschlagen, was man in meiner Situation allerdings als Sterbehilfe hätte durchgehen lassen können.

      »Darf ich fragen, was sie hier in diese Gegend treibt?« Die Dame des Hauses setzte sich mir gegenüber an den Tisch.

      »Nun«, nur ungern wollte ich die nette Frau belügen. »Ich hatte mich zu einer Radtour aufgemacht und da ich heute nichts Besseres vorhatte, bin ich einfach drauflos gefahren und hier gelandet.« Naja, es war die ein wenig ausgeschmückte Wahrheit, aber ich wollte eine so freundliche Person nicht verunsichern.

      Sie nickte lächelnd. »Ich hatte eben gesagt, dass Sie treue Augen haben. Ihre Augen sagen aber auch etwas von Trauer. Ich hoffe, Ihnen geht es gut.«

      Zugegeben, es wurde ein wenig spooky. Dass sie den besten Kuchen gebacken hatte, schien mir schon ein kleines Wunder zu sein. Dass sie über hellseherische Fähigkeiten verfügte, versetzte mich in Erstaunen.

      »Danke, es geht mir gut«, log ich nun doch. Sie nickte und verschwand wieder in der Küche.

      Genüsslich ließ ich mir den Streuselkuchen schmecken, als plötzlich der Mann den Raum betrat, der eben noch mit dem E-Bike die Kuh verfolgt hatte. Ohne ein Wort zu sagen, ging er an mir vorbei und verschwand in einem Raum hinter dem Esszimmer. Verdutzt hörte ich damit auf, den Kuchen in mich hineinzuschaufeln. Hatte ich etwas Falsches getan?

      Nach ein paar Sekunden betrat der Mann mit der Latzhose wieder das Zimmer und setzte sich mir gegenüber an den Tisch.

      »Danke, dass sie mir ihr Rad geliehen haben. Die Kuh ist wieder auf der Wiese.«

      Das Alter des Mannes war schwer zu schätzen. Alles an ihm sah nach harter Arbeit aus. Die sonnengegerbte Haut, das breite Kreuz und die kräftigen, Schwielen behafteten Hände, die er mir entgegenstreckte. »Mein Name ist Ansgar Waldhaus und wie ich sehe haben Sie sich schon mit meiner Frau Sandra bekannt gemacht.« Er deutete auf das Stück Kuchen und grinste, wobei sich die Falten um seine Augen wie eine Ziehharmonika zusammenzogen.

      Ich stand auf und drückte seine Hand. Wobei ich genauso gut ein Stück Stahl hätte drücken können. »Sehr erfreut, Simon Winkel mein Name«, stellte ich mich vor.

      Sandra kam aus der Küche gerannt und stellte Ansgar ein Stück Kuchen vor die Nase, welches ähnliche Ausmaße hatte wie das, welches ich gerade aß. Mir kam es so vor als hätte der Herr des Hauses jahrelang gehungert, so schnell schlang er den Kuchen hinunter. »Gerne noch eins«, sagte er zu Sandra und reichte ihr den Teller entgegen, während ich mit dem ersten Stück immer noch zu kämpfen hatte. Etwas überrascht nahm ich zur Kenntnis, dass Ansgar kein Gramm zu viel auf den Rippen hatte, was man von mir wahrlich nicht behaupten konnte.

      »Sie haben aber einen gesegneten Appetit.«

      »Wer