Martin Dolfen Thomas Strehl

... und am Ende wird alles gut


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gedacht?

      Um bei der Wahrheit zu bleiben: Nichts!

      Trotzdem wollte ich erfahren, wo ich mich eigentlich befand und angelte mein Handy aus der Tasche.

      Es war ein relativ neues Modell, erst drei Monate alt und die Akkulaufzeit war zum Glück noch in Ordnung. Stand jetzt 94%. Aber ich hatte auch noch eine Powerbank bei mir, die mir noch drei oder viermaliges Aufladen gestattete. Des Handys natürlich, für das E-Bike würde es nicht reichen.

      Ich schaltete Google Maps, nebst GPS ein und erfuhr schnell, dass ich mich auf dem Weg nach Krefeld befand.

      Okay, dafür musste ich noch fünfzehn Kilometer hinter mich bringen, aber die grobe Richtung stimmte schon mal.

      Und von Krefeld an die Ostsee war es ja quasi nur noch ein Katzensprung.

      Ich durchsuchte noch einmal meine hastig gepackte Tasche. Zwei T-Shirts, eine kurze Hose, Unterwäsche, Ladegerät fürs Handy, eine Jacke, Kekse und jetzt nur noch eineinhalb Flaschen Wasser.

      Ich überlegte kurz, ob ich meine lange Jeans gegen die kurze Hose tauschen sollte, entschied mich aber dagegen.

      Noch ein kurzer Schluck aus der Flasche und dann wieder zurück in den Sattel.

      Mein Hintern protestierte sofort, aber auf Einzelschicksale konnte ich keine Rücksicht nehmen.

      Mein Handy gab die Richtung vor und ich folgte.

      Ich achtete nicht darauf wie viele Kilometer ich schaffte, wollte mich nicht selbst entmutigen. Natürlich war ein E-Bike bequemer zu fahren als ein gewöhnlicher Drahtesel, aber ich musste mir selbst eingestehen, dass mich dennoch jeder Tritt anstrengte. In den letzten Jahren war die größte Entfernung, die ich zurückgelegt hatte, die Meter zwischen Couch und Kühlschrank gewesen. Kondition hatte ich dabei nicht aufgebaut.

      Eine Dame mit Hund kam mir entgegen und sie musste schon von weitem mein Keuchen gehört haben. Sie hielt sich nicht mit einer Begrüßung auf, sondern rief mir nur ein besorgtes: »Geht es Ihnen gut?«, zu.

      Ich winkte nur, unfähig zu sprechen und quälte mich an ihr und ihrem mitleidig blickenden Hund vorbei.

      Was hätte ich ihr auch sagen sollen? Bin unterwegs zur Ostsee, um mein Leben zu beenden?

      Sie hätte mir nicht geglaubt. Sah ich doch eher danach aus als würde ich schon in den nächsten fünf Minuten tot vom Fahrrad fallen.

      Als die Dame nicht mehr zu sehen war, ging ich noch weiter vom Gas.

      Nur ganz anhalten wollte ich nicht, weil mir klar war, dass ich dann nie wieder weiterfahren würde.

      Trotzdem wurde mein Gehirn wieder etwas besser mit Sauerstoff versorgt und sofort meldete es Probleme an.

      Es konnte nicht ewig dauern, bis es dunkel wurde und ich musste eine billige Unterkunft finden. Mit fünfzig Euro schied eine Suite im Hilton jedenfalls aus.

      Ich kam jetzt an vereinzelten Häusern vorbei, Vorboten vom wunderschönen Krefeld Forstwald.

      Ich war noch niemals hier gewesen, es sah jedoch nicht so aus, als würde hier Gasthaus an Gasthaus und Hotel an Hotel stehen. Ich fürchtete es gab nicht einmal eine Jugendherberge.

      Mir war allerdings auch klar, dass ich heute nicht weiterkommen würde. Meine Oberschenkel schmerzten. Meine Arme zitterten so stark, dass ich Schlangenlinien fuhr und mein Gesicht brannte von Sonne und Fahrtwind. Nur mein Hintern meldete sich seit gut einer Stunde nicht mehr. Wahrscheinlich war er abgestorben.

      Sollte ich einfach anhalten, an einer Tür klingeln und nach einer Bleibe für eine Nacht fragen?

      Die würde ich sicherlich bekommen. Allerdings in einer Polizeizelle.

      Schon wurden die Häuser wieder spärlicher und ich durchfuhr ein kleines Waldstück. Der Schatten tat gut, ein kühles Lüftchen wehte, nur die Sicht war nicht besonders gut, weil sich helle und dunkle Flecken stetig abwechselten.

      Oder mein Kreislauf versagte schon.

      So genau konnte ich es nicht sagen, aber es war wenigstens eine kleine Entschuldigung dafür, dass ich beinahe einen Mann umfuhr.

      Ich bremste, hätte es aber nicht mehr geschafft, rechtzeitig zum Stehen zu kommen, doch der Mann hatte hervorragende Reflexe und sprang von der Straße ins Unterholz.

      Als das Fahrrad endlich anhielt, sprang ich ab und wollte nach dem Rechten sehen, doch meine Beine machten nicht mehr mit.

      Plötzlich hatte ich stechende Schmerzen und schien keinen Schritt mehr machen zu können.

      Meine Augen flimmerten und die hellen und dunklen Flecken blieben. Schien vielleicht doch der Kreislauf zu sein.

      Der Mann kam wieder auf die Straße und jetzt bemerkte ich erst, dass es zwei waren. Oder sah ich schon doppelt oder halluzinierte?

      Ich richtete mich auf Ärger ein, wollte eine Entschuldigung brabbeln, aber mein Mund war plötzlich so ausgetrocknet wie die Wüste Gobi und meine Zunge schien auf die doppelte Größe angewachsen zu sein.

      »Ich, also ich...«, schaffte ich doch noch irgendwie, dann versagten mir meine Beine völlig den Dienst.

      Ich sah noch den staubigen Asphalt auf mich zukommen, dann wurde es dunkel.

      Ich erwachte. Jedenfalls glaubte ich es. Vorsichtig öffnete ich die Augen, doch die Dunkelheit blieb.

      Ich bemerkte, dass ich nicht mehr auf dem asphaltierten Feldweg lag, sondern auf weichem Waldboden. Jemand hatte mir meine Tasche als Kissen unter meinen Kopf geschoben und mich mit meiner Jacke zugedeckt.

      Eigentlich ganz gemütlich, trotzdem wollte irgendetwas in mir wissen, was hier vor sich ging.

      Vorsichtig richtete ich mich auf und sah nicht weit von mir zwei Gestalten sitzen. Offensichtlich hatte man nicht vor, mich zu berauben, denn auch mein Fahrrad stand in der Nähe.

      Ich zog die Beine an und ging in die Hocke. Es war Nacht, aber Sterne und Mond lugten durch Baumkronen und ich konnte die Szenerie überblicken.

      Mein Stöhnen blieb nicht ungehört und einer der Männer blickte zu mir herüber.

      »Oh«, machte er nur und stupste seinen Kameraden an. »Unser Patient ist erwacht.« Er grinste und im Mondlicht blitzten seine strahlend weißen Zähne.

      »Komm rüber, setz dich zu uns«, forderte der andere mich auf und ich kam seinem Wunsch nach.

      Wieder stöhnte ich, als meine Knie knackend protestierten und meine Oberschenkelmuskulatur in Flammen aufging.

      Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen, schleppte mich näher an die beiden heran und ließ mich sofort wieder fallen, wie ein nasser Sack.

      »Wie geht es dir?«, fragte einer der beiden und ich versuchte cool abzuwinken. »Muss«, sagte ich knapp, aber sie brauchten keine Hellseher zu sein, um meine Lüge zu durchschauen.

      Ich musterte meine Retter und wunderte mich gleichzeitig über diese völlig irreale Situation. Normalerweise hätte mir die Begegnung mit Fremden Unbehagen bereiten müssen. Noch vor ein paar Stunden hätte ich vermutlich Angst gehabt. Jetzt war ich vollkommen ruhig. Was sollte mir auch schon passieren? Ich hatte mit dem Leben abgeschlossen. Nichts konnte mir etwas anhaben. War das eine seltsame Art von Freiheit?

      Mir fiel ein alter Song ein. Me and Bobby McGee von der genialen, viel zu früh verstorbenen Janis Joplin. Okay, eigentlich hatte Kris Kristofferson das Ding verbrochen, aber die Version von Janis war die bekanntere. Schwamm drüber!

      Freedom's just another word for nothing left to lose, heißt es darin.

      Hatte ich diese Freiheit erreicht, weil ich wirklich nichts mehr zu verlieren hatte? Außer dem bisschen Leben natürlich.

      Meine Gedanken kreisten.

      »Kannst du auch reden?«, wurde ich wieder angesprochen. Ich war in letzter Zeit so wenig unter Leuten gewesen, dass es mir gar nicht mehr auffiel, dass ich nur in Gedanken unterwegs