Martin Dolfen Thomas Strehl

... und am Ende wird alles gut


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und weit über mir eine Decke aus Holzbrettern.

      »Das ist ein Hochstand, für die Jagd«, meinte einer meiner neuen Freunde, der meinen ratlosen Blick bemerkt hatte.

      Langsam fand ich meine Stimme wieder. »Danke, dass ihr mir geholfen habt«, sagte ich und fand es gar nicht mehr seltsam wildfremde Menschen zu duzen.

      Jetzt hatte ich die Gelegenheit, meine Retter näher zu betrachten. Der eine war klein, aber unglaublich kräftig gebaut. Mit blonden kurzen Haaren und einem gestutzten Vollbart. Der Zweite war hager und groß, mit einer lockigen Matte, wie Wolle Petry zu seinen besten Zeiten und einem wilden Vollbart, der ihm bis auf die Brust fiel. Beide trugen schwarze Cordhosen, weiße Hemden unter einer schwarzen Weste, grobe Schuhe und breitkrempige Hüte lagen an ihren Seiten.

      »Ihr seid auf der Walz«, es war keine Frage von mir, sondern eine Feststellung und ich war verdammt stolz auf meine Scharfsinnigkeit.

      Der Blonde nickte und zeigte wieder sein Zahnpastalächeln. »Wenn das die eine Million Euro Frage gewesen wäre, dann bräuchtest du dir über deine finanzielle Situation jetzt keine Gedanken mehr zu machen.«

      »Ich dachte so etwas gibt es gar nicht mehr«, meinte ich und fühlte mich sofort gar nicht mehr so klug.

      »Ist ein aussterbender Brauch«, meinte der Lockige mit einer tiefen Bassstimme. »Aber wir halten die Fahne hoch.« Er streckte mir die Hand hin. »Ich bin Hans Zimmer, der Zimmermann«, meinte er und bellte lachend.

      »Hans Zimmer, der Zimmermann«, wiederholte ich doof.

      »Ist tatsächlich wahr«, meinte sein Kumpel. »Und er hängt den Zimmermann immer an, damit er nicht mit dem erfolgreichen Filmkomponisten verwechselt wird.«

      Okay, von dem hatte sogar ich schon mal gehört.

      »Ich bin übrigens Franz Heese«, ergänzte der Blonde und jetzt musste ich tatsächlich schmunzeln.

      »Hans und Franz«, ich konnte es kaum fassen.

      »Ja«, grinste der Schlacks. »Wie die Möpse von Heidi Klum.« Und wieder ließ er sein bellendes Lachen hören.

      Wenigstens würde er damit eventuelle wilde Tiere in die Flucht jagen.

      »Ich bin Simon«, stellte ich mich vor. »Simon Winkel.«

      Ich schüttelte beiden die Hand.

      Der Blonde zeigte auf einen kleinen Gaskocher, der vor ihm stand und hielt plötzlich, wie von Geisterhand, eine kleine Dose Ravioli in den Fingern.

      »Hunger?«

      Mein Magen knurrte zur Antwort, lauter als das Lachen des Lockigen. Mein letztes Mahl war der Kuchen der netten Bauersleute gewesen und das schien Jahre her.

      Er öffnete die Dose, schnippte den Gaskocher an und platzierte den Blechbehälter darauf.

      »Du bist auf der Reise?«, keine Frage des Blonden, sondern ebenfalls eine Feststellung. Er deutete auf meine Tasche. »Sorry«, sagte er, »aber wir haben deine Sachen durchsucht, weil wir wissen wollten, ob du irgendwelche Krankheiten hast und Tabletten brauchst.« Sein Kumpel lachte. »Dann haben wir dein Medikamentensammelsurium entdeckt und, da wir beide nicht Medizin studiert haben, beschlossen wir, dir nichts zu geben.« Er wurde ernst. »Aber du solltest vielleicht mal deinen Zucker messen.« Hans zuckte die Achseln. »Meine Mutter ist auch Diabetikerin und ich weiß, dass damit nicht zu spaßen ist.«

      »Nach dem Essen«, meinte ich und erinnerte meine Freunde an die Dose, die mittlerweile einen angenehmen Geruch verströmte.

      Franz stellte den Kocher aus, wickelte das heiße Blech in einen Lappen und reichte es mir, nebst Löffel.

      »Ist meiner«, sagte er entschuldigend, »wir waren nicht auf Besuch eingestellt, sonst hätten wir das gute Porzellan mitgenommen.« Er grinste wieder. »Ich hab keine ansteckende Krankheiten«, meinte er noch.

      Ich nickte nur freundlich und begann damit, die Nudeltaschen in mich hineinzuschaufeln. Es war kein First-Class Menü, aber es war warm und sättigte. Herz, was willst du mehr.

      »Verpfeif uns bloß nicht bei der Innung«, meinte Hans dann. »Ein Gaskocher ist eigentlich nicht erlaubt.«

      »So strenge Regeln?«, fragte ich nur und hatte damit einen wahren Redefluss angestoßen.

      Während ich mir die Ravioli einverleibte, bekam ich einen kleinen Einblick des Lebens auf der Walz. Es war schwer Arbeit zu finden, Geld war immer knapp, nur wenige Gasthäuser nahmen Handwerker auf und ließen sie gegen kleine Reparaturarbeiten bei sich wohnen. Die beiden Männer, die allenfalls Mitte Zwanzig waren, trauerten der guten alten Zeit nach. Echt witzig.

      »Und trotzdem zieht ihr es durch?«

      »Klar. Wir sind schon zweieinhalb Jahre unterwegs. Den Rest der drei Jahre und einen Tag schaffen wir auch noch. Dann geht es ab nach Hause.«

      »Und das ist wo?«

      »In der Nähe von Bremen.«

      Ich zuckte ein wenig und Hans deutete es richtig. »Liegt das auf deiner Route?«

      »Irgendwie schon. Ich will an die Ostsee.«

      »Mit dem Fahrrad? Mit Verlaub gesagt, du siehst jetzt nicht wie der geborene Sportler aus.«

      »Ich wollte auch eigentlich die Bahn nehmen«, meinte ich nur und wunderte mich, dass ich wildfremden Menschen mein Herz ausschüttete.

      »Und das hat nicht funktioniert?«

      Ich überlegte, wie viel ich erzählen konnte, doch der alte, verschlossene Simon kam wieder durch und ich winkte nur ab. »Lange Geschichte«, sagte ich nur und mein Tonfall schien weiteres Nachfragen zu verbieten.

      »Was habt ihr für einen Weg?«

      »Weiter nach Süden. Immer der Nase nach.«

      Ich bewunderte die Zimmermänner, die scheinbar in den Tag leben konnten, ohne Angst vor dem morgen.

      »Ich hoffe, ihr findet Arbeit«, sagte ich nur.

      »Mach dir um uns keine Sorgen«, meinte der Lockige. »Wir kommen schon klar. Wir haben ein Dach über dem Kopf«, er deutete auf die Bretter über uns, »etwas zu essen, und ...«, er zwinkerte Franz zu, »... und wir haben uns.«

      Wie meinte er das? Waren die beiden am Ende mehr als Freunde auf der Walz?

      Ich wusste es nicht und fragte auch nicht nach. Es war mir auch völlig schnuppe. Die beiden hatten mich in meiner Notlage unterstützt und das Herz auf dem rechten Fleck.

      »Nimm es uns nicht übel«, meinte der Blonde dann. »Aber wir sind seit fünf Uhr auf den Beinen. Wir hauen uns jetzt hin.« Er sah mich an. »Mit dir ist wirklich wieder alles in Ordnung?«

      »Alles bestens«, meinte ich. Was für eine Lüge.

      »Wir schlafen oben«, sagte er dann und deutete auf den Hochstand. »Willst du auch hinauf?«

      Ich betrachtete die morsche Leiter und schüttelte schnell den Kopf.

      »Ist ganz gemütlich hier unten.«

      Sie erhoben sich und kletterten hinauf. »Danke nochmal«, sagte ich, doch sie winkten nur ab.

      Einige Sekunden später knarrten die Bretter über mir, dann wurde es ruhig und ich war mit den Geräuschen des Waldes allein.

      Ich machte tatsächlich eine Zuckermessung und spritzte Insulin. Pure Gewohnheit. Aber auch weil ich ein Dickschädel und eigen war. Ja, ich wollte sterben, aber zu meinen Bedingungen. Ich spülte zusätzlich meine Tablettenration mit dem letzten Schluck der ersten Wasserflasche herunter und legte mich wieder hin.

      Das Gezirpe und Gepiepse um mich herum war ungewohnt, das Knacken im Unterholz im ersten Moment ein wenig unheimlich, doch ich hatte ja noch meine Schutzengel in der ersten Etage.

      Dicke Freunde oder mehr.

      Ich dachte an das Bauernehepaar und an die beiden Zimmermänner.