Martin Dolfen Thomas Strehl

... und am Ende wird alles gut


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Es war ähnlich schnell in seinem Mund verschwunden, wie das Erste. Dann atmete er tief ein und aus und ließ sich gegen die Rückwand fallen. »Das war lecker.« Ansgar musterte mich kurz. »Simon, darf ich Simon sagen?«

      »Natürlich.«

      »Simon, Sie haben eine meiner Kühe gerettet. Ohne Sie wäre das Tier vermutlich bis zur naheliegenden Landstraße gelaufen und dann …« Er schüttelte den Kopf. » … dann hätte es einen Unfall geben können.«

      »Nun ja, ich habe schon zu Ihrer Frau gesagt, dass es eine Selbstverständlichkeit ist.«

      »Sagen Sie bitte Ansgar.«

      Nickend nahm ich sein Angebot zur Kenntnis.

      »Noch jemand einen Kaffee?«, rief Sandra aus der Küche.

      Aus Anstand sagte ich nichts, doch Ansgars zustimmendes Grinsen ließ mich rufen: »Natürlich, sehr gerne.«

      »Für mich auch,« sagte der Hagere und rieb sich die Hände. »Ich habe ihren Akku in den Nebenraum gelegt.«

      Fragend schaute ich ihn an.

      »Ihr Akku. Er war so gut wie leer. Ich lade ihn gerade für Sie auf, Simon.«

      Der Akku. Soweit hatte ich gar nicht gedacht. Wahrscheinlich hätte ich in einigen Kilometern richtig treten müssen.

      »Okay, das ist aber sehr aufmerksam von Ihnen, Ansgar.«

      »Das ist ein außergewöhnlich gutes E-Bike. Sandra und ich haben auch welche, aber bei weitem nicht diese Qualität. Wenn ich unsere Akkus auflade, dann braucht das eine ganze Zeit und wir können etwa fünfzig Kilometer fahren. Bei Ihnen, Simon, lädt der Akku vielleicht eine Stunde bei der doppelten Reichweite.«

      Verblüfft hob ich die Augenbrauen. »Sie scheinen sich ja gut mit E-Bikes auszukennen.«

      »Nun, bevor wir uns welche gekauft haben, habe ich mich gründlich informiert.«

      »Klar, dass sollte man auch«, antwortete ich scheinheilig. Es sollte nicht unbedingt auffallen, dass ich nicht über technisches Wissen verfügte. Zum Glück ging Ansgar nicht weiter darauf ein.

      Nachdem wir unseren Kaffee getrunken hatten und Sandra mit dem Wegräumen des Geschirrs beschäftigt war, nahm mich Ansgar mit und zeigte mir den Hof der Waldhausens.

      Das Anwesen hatte einiges zu bieten. Neben Kühen, Schweinen und ein paar Hühnern bewirtschaftete die Familie auch noch zwei große Felder, die in diesem Jahr Weizen und Roggen trugen. Außerdem, so erfuhr ich, hatten sie eine Tochter und einen Sohn, die beide allerdings schon vor Jahren ausgezogen waren. Der Sohn lebte in Amerika. Er hatte hier Medizin studiert und arbeitete dort nun in einem großen Labor, das sich mit den Auswirkungen pandemischer Prozesse befasste. Die Tochter wohnte in Berlin und arbeitete dort als Vermögensberaterin. Sie hatte ebenfalls studiert, erzählte mir Ansgar stolz.

      Natürlich stellte er mir persönliche Fragen, aber ich versuchte meine Antworten weitestgehend zu umschreiben. Ich log. Aber ich log milde und schon gar nicht großkotzig oder bösartig. Was hätte ich ihm auch erzählen sollen? Ich bin ein kranker Diabetiker, der schon seit Jahren nicht mehr arbeitet und nun mit einem geklauten E-Bike Richtung Ostsee fährt, um sich umzubringen? Das hörte sich wirklich zu doof an. Außerdem … alles was dieser Mann geschaffen hatte, blieb mir verwehrt. Gab es da nicht diesen Spruch? Du sollst ein Haus bauen, einen Baum Pflanzen und Kinder in die Welt setzen. Nichts von dem hatte ich auch nur im Ansatz geschafft. Ich war ein Taugenichts und so nett wie diese Bauernfamilie sich gab, mir ging das alles zu weit. Ich fühlte keinen Neid, aber eine Ablehnung jeglichen Erfolgs. Wenn Leute mit ihren Kindern prahlten, schaltete ich auf Durchzug. Mir war es schlichtweg gleichgültig. Jegliche Form von Statussymbolen war mir fremd. Die ganzen Autoposer, Firmenbesitzer. Die, die jemanden Besonderen kannten und damit hausieren gingen. All das fand ich abstoßend.

      Somit hatte Ansgar, ohne es zu wollen, bei mir einen wunden Punkt getroffen. Ich spielte weiter den netten Gast, ließ ihn reden, wobei ich mir wirklich Mühe gab, seine Errungenschaften als erreichtes Ziel zu würdigen. Doch wie so oft sprach mein Kopf eine andere Sprache wie die, die aus meinem Mund kam. Und in diesem Fall tat es mir leid, weil sich die beiden wirklich Mühe gaben gute Gastgeber zu sein. Mir wurde mit einem Schlag bewusst, warum ich diese Reise angetreten hatte und warum ich dem Ganzen ein Ende setzen musste. Ich war einfach ein Griesgram, sah nur das Schlechte und bemühte mich gut zu sein. Alles verstellt, nicht echt. Ich lebte eine Lüge.

      Als ich wieder losfuhr, standen Sandra und Ansgar eng umschlungen vor der Haustür und winkten mir zum Abschied.

      »Vielen Dank für den Kuchen, den Kaffee und das Aufladen«, rief ich zurück.

      Der Weg Richtung Ende hatte mich wieder. Ein kleiner Hoffnungsschimmer, einmal das Gute im Menschen zu sehen, hatte sich durch meine schlechten Gedanken in Luft aufgelöst. Gedanken: Schranken in meinem Kopf. Die mein Leben bestimmten und mir nicht die Wahl ließen, frei oder einfach nur ich zu sein.

      Kapitel 3

      Ich trat kräftig in die Pedale, um möglichst viel Raum zwischen mich und die Waldhausens zu bringen. Ich floh förmlich aus ihrer heilen Welt, die mir all das gezeigt hatte, was ich nicht hatte und nie haben würde.

      Meter um Meter brachten mich weg von Dingen, die sich mir nie erschlossen hatten.

      War es doch Neid? Warum hatten manche Menschen einfach nur Glück und anderen schien das Pech für immer an den Schuhen zu kleben?

      Mir fiel dieses blödsinnige Märchen ein, indem Goldmarie und Pechmarie ihr Unwesen trieben. War es Frau Holle gewesen? Ich konnte es nicht mehr genau sagen. Ich wusste nur noch, dass die Moral der Geschichte war, dass man sich Glück erarbeiten musste.

      Aber war das wirklich so? Hatte ich nicht alles versucht, um ein brauchbares Mitglied dieser Gesellschaft zu werden?

      Oder war uns alles vorbestimmt? War unser Weg von unserer Geburt an festgelegt? Ein schöner und einfacher Gedanke. Denn wenn es so wäre, dann könnte man die Hände in den Schoß legen und sagen: Ich kann überhaupt nichts für meine Misere. Dieses miese Schicksal ist schuld.

      Doch so war ich nicht. Im Gegenteil. Jede meiner Handlungen, die zu meinem traurigen Dasein geführt hatten, hatte ich tausendfach hinterfragt. Und mir immer wieder eingestehen müssen, dass ich an Weggabelungen oft die falsche Abzweigung genommen hatte.

      Der Gedanke erinnerte mich an mein aktuelles Problem. Ich hatte meine Flucht vor der heilen Welt recht kopflos angetreten und als ich jetzt etwas langsamer fuhr, bemerkte ich, dass ich nicht den kleinsten Schimmer hatte, wo ich mich befand.

      Ich hielt an und blickte mich um.

      Aber auch das brachte mich nicht weiter. Keine Schilder in Sicht, nur ein asphaltierter Feldweg, Felder, Wiesen und ein kleines Wäldchen.

      Ich stieg vom Rad und bemerkte erstaunt, dass mir jetzt schon mein verlängertes Rückgrat wehtat. Dabei war ich, summa summarum, noch keine zwei Stunden im Sattel. Wie hielten das diese Irren bei der Tour de France eigentlich aus? Klar, Doping. Eine Sache, die mir, trotz aller Medikamente, die ich mit mir führte, nicht zur Verfügung stand.

      Ich angelte meine Tasche aus dem Fahrradanhänger, nahm eine Flasche Wasser heraus und tat einen kräftigen Schluck. Dann blickte ich mich noch einmal um.

      Was, zum Henker, tat ich hier eigentlich? Welcher Wahnsinn hatte von mir Besitz ergriffen? Wollte ich tatsächlich 600 Kilometer bis zur Ostsee radeln?

      Es dauerte einen Moment, bis ich mich wieder im Griff hatte.

      Nein, diese Distanz wollte ich nicht auf diesem unbequemen Sattel zurücklegen. Ich hatte nur einfach losgewollt und mich unüberlegt auf den Weg gemacht.

      In zwei oder drei Tagen würde neues Geld auf meinem Konto sein und dann würde ich die restliche Strecke mit der Bahn zurücklegen.

      Was in meiner jetzigen Situation aber bedeutete, dass ich noch mindestens zwei Tage und, was noch viel schlimmer war, zwei Nächte