Isabella Kniest

In Your Arms


Скачать книгу

die Kehle zu.

      Weshalb mussten sie solche gemeinen Dinge sagen? Ich regte mich schließlich nicht auf, wenn ihnen Fehler passierten – obgleich dies so gut wie nie geschah.

      Schluckend hob ich den Blick an. »Warum interessiert dich das überhaupt?« Ich klang genauso unsicher, wie ich mich tagein, tagaus fühlte. »Mich interessiert es ja auch nicht, ob du einen Freund hast oder nicht. Oder, wie viele du bereits hattest.«

      Es überraschte mich, wie leicht diese Äußerung aus mir drang. Doch gleichermaßen schnell, wie ich mich an meinem Mut erfreute, überfiel mich eine Welle Panik, ausgelöst durch Annas ebenmäßiges Gesicht, welches sich zu einer zornerfüllten Fratze verzog.

      »Was mich das interessiert?! Ich muss schließlich deine Fehler ausbessern!« Ihre braunen Augen funkelten. »Also halt den Mund und schreib die richtigen Beträge auf, anstatt dich aufzuregen!«

      Aufwallende Furcht unterdrückend setzte ich meine Arbeit fort.

      Es hatte keinen Sinn, etwas Weiteres zu entgegnen. Sie fand andauernd Widerworte – ob sie im Recht lag oder nicht. Darüber hinaus war mein Mut längst verschwunden.

      »Wahrscheinlich ist sie bloß frustriert, weil sie keinen abbekommt«, hörte ich Saskias Kratzstimme verlauten. »Das musst du ihr schon durchgehen lassen … Sie hat halt niemanden. Da bleiben ihr nur Fantasien übrig.«

      Anna kicherte. Es klang weniger schadenfroh, als vielmehr böswillig. »Wie viel Fantasie kann ein unerfahrenes Ding, wie die, haben? Die weiß bestimmt nicht mal, wie ein Männerschwanz aussieht.«

      Mir wurde es übel.

      Wie ich solche Bezeichnungen verachtete! Dermaßen aufgestylt und ladylike sich diese zwei Frauen gaben, derart taktlos klangen sie, alsbald sie den Mund aufmachten.

      »Die weiß ja nicht einmal, wie eine richtige weibliche Brust aussieht!«, flötete Saskia.

      »Ja, genau«, gab Anna sarkastisch zurück. »So flach, wie die ist.«

      »Und damit wäre geklärt, weshalb sie keinen Macker abkriegt.«

      Ein Kichern beiderseits folgte.

      Das Zittern meiner Hände nahm an Intensität zu.

      Ihre Worte taten mir unbeschreiblich weh.

      Warum mussten sie sich ausgerechnet über das lustig machen, was ich mir so sehr wünschte, aber niemals bekam?

      »Also, Kitty.« Säuselnd lehnte Anna sich zu mir. Ein Schwall an ekelerregendem süßen Parfum kroch mir in die Nase. Zugleich durchbohrte ein Stich mein schmerzendes Herz. »Du kommst jetzt alleine zurecht oder?«

      Auf diese erniedrigende Weise nannte sie mich, seitdem sie ein Gespräch zwischen mir und einer Kollegin aufgefangen hatte, in welchem wir über Haustiere unserer Kindheit gesprochen hatten.

      Von meinen Eltern hatte ich im zarten Alter von acht Jahren eine Katze geschenkt bekommen. Lieber wäre ihnen ein Hund gewesen. Bedauerlicherweise fehlte dazu das nötige Geld. Mir selbst war es komplett egal. Ich war einfach glücklich, ein Haustier mein Eigen nennen zu dürfen. Schließlich hatte ich keine Freunde oder Geschwister, und mit dieser kleinen süßen Katze fühlte ich mich bedeutend weniger allein. Sie war ein wunderbarer Spielgefährte gewesen. Und oft, wenn sie sich zu mir ins Bett gekuschelt hatte, hatte ich mir meinen Kummer von der Seele geweint … Das Mobbing, die Ängste, das Gefühl der Unfähigkeit …

      Da ich der Kollegin damals von den vielen Abenteuern mit meiner kleinen Katze erzählte – unter anderem, wie niedlich sie in meinem Bett geschlafen oder in der Wiese herumgetollt hatte – nahm Anna dieses Gespräch selbstredend zum Anlass, sich über mich lustig zu machen. Erst hatte sie darüber gespottet, wie ich ein schmutziges Tier, das weiß Gott, wo überall herumstreunte, in meinem Bett schlafen lassen könne. Dann meinte sie, eine Katze sei kein Spielgefährte. Ein Tier wäre schließlich bloß ein dummes Tier – ohne Emotionen oder Intellekt. Und zu allem Überfluss folgte der Spitzname »Kitty«.

      Anfangs hatte ich die Spöttelei mit dem Hintergedanken ignoriert, dass Anna irgendwann ihre Freude daran verlieren würde. Alsdann selbst nach mehreren Wochen keine Veränderung eintreten wollte, hatte ich ihr zu erklären versucht, nicht auf diese Weise genannt werden zu wollen. Ihre Antwort kam prompt: »Du magst doch Katzen, oder hast du gelogen?« Ich verneinte. »Na, dann passt der Name ja perfekt. Was regst du dich auf? Außerdem kann ich mir diesen Namen besser merken.« Es hatte eine Pause gefolgt, ehe sie mit gerümpfter Nase fortgefahren hatte: »Liza … Wer heißt schon so? Deine Mutter muss damals in einer ganz großen Krise gesteckt haben, als sie dir diesen abscheulichen Namen gegeben hat.«

      Damit hatte ich mein Brandzeichen erhalten – einen Spitznamen, der überhaupt nicht zu mir passte. Schließlich besaß ich kein Haustier mehr. Wie denn auch! Die Verantwortung war viel zu groß und die Zeit dafür fehlte mir ebenfalls, immerhin arbeitete ich dreißig Stunden in der Woche.

      War es bereits schmerzlich genug, auf eine solche Weise genannt zu werden, hörte der herablassende Ton, mit welchem Anna dieses Wort andauernd aussprach, sich noch tausendmal fürchterlicher an.

      »Hast du mich gehört?!«, drang Annas polternde Stimme mir ins Ohr.

      Ich schreckte hoch. »Ja.«

      »Na dann, Kitty.« Sie zeigte mir ein verzogenes Lächeln, dann drehte sie sich um und schritt von dannen – Saskia ihr wie ein treuer Hund nachtrottend.

      …

      Gott sei Dank waren sie weg.

      Lautlos, deshalb nicht minder erleichtert ausatmend drehte ich mich zum Fenster.

      Der Herbst war hereingebrochen. Dunkle Regenwolken zierten den Himmel. Ein heftiger Wind wehte, welcher die Zweige der hochgewachsenen Pappeln bedrohlich tief Richtung Boden bog.

      Die kriegt doch nie einen ab, echote es mir durch den aufgewühlten Verstand.

      Ja, es stimmte. Ich hatte keinen Freund … Ich hatte noch nie einen gehabt.

      Weshalb auch? Männer interessierten sich nicht für mich. Das hatten sie nie. Weder im Teenageralter noch jetzt mit dreißig. Weder als ich mit Jeans und Shirts herumgelaufen war noch mit Kleidern. Unbedeutend was ich tat – es hatte nie gereicht.

      Vielleicht lag es tatsächlich an meiner Oberweite? Oder an der Brille? Vielleicht auch bloß an meiner Art?

      Lange Zeit hatte ich gegrübelt. Jetzt war es mir gleichgültig geworden. Ich war mir im Klaren darüber, dass irgendetwas mit mir nicht stimmte. Lediglich was genau es war, wusste ich nicht. Wahrscheinlich war ich – wie Anna stets zu sagen pflegte – ein Mauerblümchen und darum uninteressant.

      Einen entstehenden Weinkrampf hinunterschluckend richtete ich den leicht getrübten Blick auf die Buchhaltung.

      Ich musste die Aufgabe fertigstellen und mich bemühen, einen anderen Posten zu erhalten. Ursprünglich war ich für die Ablage, Datensicherung und Rechnungslegung aufgenommen worden, allerdings hatte Saskia es vermocht, sich meinen Posten anzueignen, wodurch ich mich nun gezwungen sah, eine Arbeit zu machen, die mir bereits in der Schule ärgste Probleme bereitet hatte.

      Ich atmete tief durch, fasste nach dem Stift und fuhr damit fort, die restlichen Belegsummen einzutragen.

      Um vierzehn Uhr dreißig packte ich meine Sachen und machte mich auf den Weg nach draußen. Während ich das großräumige mit beigen Marmorfliesen ausgelegte Foyer durchquerte, erblickte ich meinen Arbeitskollegen Tobias. Die linke Hand lässig in die schwarze Hosentasche gesteckt, stand er alleine neben dem Kaffeeautomaten.

      Unwillkürlich beschleunigte sich mein Puls.

      Tobias war der einzige Mann, mit dem ich mich längere Zeit unterhalten durfte, ohne dabei veräppelt, schief angesehen oder in einer anderen Form beleidigt zu werden. Dies war ein Grund, weshalb ich ihn sehr mochte. Dazu gesellte sich sein unglaublich gutes Aussehen, ebenso sein Kleidungsgeschmack.