Isabella Kniest

In Your Arms


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verbracht und dabei über unsere Trailermusic-Leidenschaft gesprochen. Als ich ihm einige Male Filmtrailer vorgespielt hatte, dessen Lieder ich nicht kannte, hatte er mir auf eindrucksvolle Weise bewiesen, wie unendlich sein Wissensschatz darüber ausfiel. Tobias benötigte keine zehn Sekunden, um Interpret und Produzent zu nennen sowie in welchem Internetshop man den Song käuflich erwerben konnte oder ob dieser überhaupt für den offiziellen Markt freigegeben war.

      Seine hellblauen Augen sahen in meine Richtung. Manchmal machten sie auf mich den Eindruck, mir bis in die entlegensten Winkel meiner Seele blicken zu können.

      »Hallo Lisa!«, rief er mir freundlich zu. »Schon Feierabend?«

      Lächelnd trat ich zu ihm. »Ja.«

      Es tat unsagbar gut, wenigstens von einer Person unbefangen angesprochen zu werden.

      »Und du? Auch fertig für heute?«

      Er bejahte.

      Ein sanfter Adrenalinausstoß brachte mein Herz erneut in Schwung.

      Sollte ich ihn heute fragen?

      Dutzende Male hatte ich es wagen wollen, es im letzten Moment jedoch stets einen Rückzieher gemacht. Immerzu aus demselben Grund: der Angst vor einer Zurückweisung. Der Angst, infolgedessen ignoriert zu werden.

      Wie damals … im Kurs. Und die Male davor …

      Mit ihm auf ein Getränk gehen.

      Gedanklich schüttelte ich den Kopf. Weshalb sollte er es nicht wollen? Schließlich tranken wir auch in der Mittagspause zusammen. Wieso dann nicht einmal außerhalb der Dienstzeiten?

      »Tobias?«

      Er lächelte. »Ja?«

      »Hast du Lust, nach der Arbeit mit mir etwas Trinken zu gehen?«

      Das Lächeln verschwand abrupt – und mein Herz hielt für den Bruchteil einer Sekunde inne. »Nein. Für so was habe ich leider keine Zeit.«

      Ich hatte die Situation noch nicht gänzlich realisiert, bog plötzlich Anna um die Ecke.

      »Hey, Schatz!« Sie warf sich ihm um den Hals und gab ihm einen innigen Kuss. »Wir gehen doch heute ins Kino, oder?«

      Er strahlte sie an. »Natürlich, Hase. Um neunzehn Uhr?«

      »Nun ja –« Mit dem Zeigefinger malte sie Kreise auf seine Brust – mir krampfte es das Herz zusammen. »Du könntest auch früher vorbeikommen … dann können wir gemeinsam duschen.«

      Mich überkam ein heftiger Schwindel. Durch die Seele jagte mir ein solch schmerzhafter Stich, es raubte mir für ein paar Sekunden die Luft.

      Anna drehte sich zu mir. »Was glotzt du so? Ist dein Dienst nicht schon vorbei?«

      Ohne mein Zutun setzten meine Beine sich in Bewegung.

      »Geh nach Hause und verkriech dich dort unter deine Bettdecke«, hörte ich sie nachrufen. Darauf folgte irgendetwas Unverständliches, das Tobias zu ihr sagte. Was es war … es war mir egal geworden. Das Einzige, das mich noch beschäftigte, war, meine Tränen erfolgreich zurückzuhalten.

      Alsbald ich in den strömenden Regen hinaustrat, verließen mich meine Kräfte.

      Die durch das Kleid dringenden kalten Regentropfen nahm ich bloß am Rande wahr – zu sehr schmerzte mir das Herz.

      Was hatte ich verbrochen? Warum passierten solche Dinge stets mir? Warum hatte ich kein Glück mit Menschen? Weshalb gab es keinen Mann, der sich mit mir abgeben wollte?

      Tropfnass stieg ich in meinen alten Fiat, startete durch und fuhr los. So wie der Regen erbarmungslos auf die Frontscheibe peitschte, wollten meine Tränen nicht mehr zu fließen aufhören. Gleichgültig wie sehr ich mich bemühte, an etwas anderes zu denken, diese schreckliche, sich hartnäckig um meine Seele geschlungene Traurigkeit gedachte nicht mehr abzunehmen. Im Gegenteil. Je stärker ich mich gegen sie auflehnte, desto größere Ausmaße nahm sie an.

      Wie lange dauerte es dieses Mal, bis der Schmerz zur Gänze vorübergezogen war?

      Ich lenkte in den Hinterhof des Wohnblocks, parkte den Wagen auf den Parkplatz mit der Nummer sechs – stets einen prüfenden Blick in den rechten Seitenspiegel, ob ich wohl kerzengerade dastand – fasste nach der Tasche und stieg aus. Flott schloss ich die Tür ab und eilte zum Eingang, unter dessen glasüberdachter linken Seite Frau Maier stand und genüsslich an einer Zigarette zog.

      Das dämmrige Licht ließ ihre verzwickten Gesichtszüge um einiges verbissener erscheinen, als sie für gewöhnlich wirkten. Die fahle, höchstwahrscheinlich von zu intensivem Sonnenliegen herrührende wie gegerbt aussehende Gesichtshaut, kurze dunkelgraue Haare, Schlupflider, ein spitzes Kinn und eine knochige Nase komplettierten ihre ausgemergelte vom Leben verbitterte dürre Statur.

      Sie warf mir einen giftigen Blick zu, von dem mir noch ein wenig unwohler wurde. »So ein weißes Kleid ist nicht gerade vorteilhaft bei Regenwetter.« Ihre tiefe rauchige Stimme unterstrich ihre ohnehin gut sichtbare und in den letzten Monaten oft zur Sprache gebrachte Abneigung gegenüber meinem Kleidungsstil. »Und rote Unterwäsche um einiges weniger.«

      Beschämt wie kein Wort über die Lippen bringend huschte ich an ihr vorbei ins Innere des Wohnblocks. Ich wandte mich zum rechts gelegenen Aufzug, entschied mich letztlich aber gegen dessen Benützung. Bis dieser im Erdgeschoss ankam, hätte Frau Maier womöglich fertig geraucht und sich zu mir gesellt.

      Mir wurde es mulmig zumute.

      Nein.

      Weitere Belehrungen und beleidigende Aussagen ertrug ich nicht mehr. Es war genug für heute.

      Ich drehte mich nach links. Drei Stockwerke lagen vor mir und einer heißen, entspannenden Dusche …

      Mit der letzten Kraft, die ich mir von irgendwoher zusammenkratzte, hechtete ich die Stufen hoch.

      Hoffentlich begegnete ich keinen weiteren Mietern. Mein durchnässtes Kleid mit der durchscheinenden Unterwäsche musste nicht jeder sehen. Darüber, da war ich mir sicher, würde sowieso Frau Maier berichten.

      Eine jäh in meinem Rücken ertönende, nach mir rufende weibliche Stimme vernichtete jegliche Hoffnung, um stattdessen eine frische Welle Schamgefühl über mich hereinbrechen zu lassen.

      Wieso jetzt? Wieso musste ausgerechnet jetzt jemand ins Stiegenhaus treten?

      Ich drehte mich um.

      Frau Müller mit ihrer wasserstoffblonden lockigen Mähne stand in der Haustür, die Arme vor ihrer Brust verschränkt. »Frau Hirter! Was habe ich Ihnen gesagt?«

      Ich verstand nicht …

      Genervt über meine verzögerte Reaktion und die daraus entstandene Unfähigkeit, ihr Antwort zu geben, wölbte sie eine Augenbraue. »Sie wissen, Sie sind heute mit der Stiegenhausreinigung dran! Aber bis jetzt ist noch nichts in dieser Richtung passiert.«

      Die Reinigung des Stiegenhauses übernahmen wir Mieter. Jede Woche wurde gewechselt. Diese Woche war ich dafür eingeteilt. Und wie jedes Mal liebte Frau Müller es, mich darauf aufmerksam zu machen. Sie selbst sah sich als die Ordnungshüterin des Hauses. Wenn es beispielsweise Beschwerden gab – gleichgültig welcher Art – war sie es, die dies an die Vermietung weiterleitete.

      »Ich war Arbeiten«, verteidigte ich mich, wohl wissend, dass ich die Reinigung vor Antritt meines Dienstes hätte erledigen können. Allerdings fühlte ich mich seit mehreren Tagen nicht fit genug, um irgendwann zwischen fünf und sechs Uhr morgens eine solche anstrengende Tätigkeit durchzuführen.

      »Alle Leute hier arbeiten«, fuhr sie mich an. »Das hält sie aber nicht davon ab, ihren Pflichten nachzukommen.«

      Es wurde mir kalt – ob von meiner regennassen Kleidung oder ihrer unheilschwangeren Bemerkung wusste ich jedoch nicht. »Keine Sorge … das mache ich noch.«

      »Ich habe keine Sorge«, gab sie schnippisch zurück. »Sie sollten sich eher Sorgen um sich machen. Wenn Sie so weitermachen, verlieren sie nämlich das