einem knappen »In Ordnung« verabschiedete ich mich und eilte die letzten Stufen hoch zu meiner Wohnungstür.
Ich musste die Arbeit schnellstmöglich erledigen. Wenn sie sich bei der Vermietung über mich aufregte, hatte ich richtige Probleme.
Bereits des Öfteren war mir zu Ohren gekommen, wie Mieter von heute auf morgen aus ihren Wohnungen geworfen worden waren.
Sollte ich in diesen Genuss kommen … es war nicht auszudenken.
Das Problem lag auf der Hand: Ich kannte niemanden in Klagenfurt oder Umgebung, bei dem ich kurzzeitig unterkommen konnte. Die einzige Möglichkeit der Obdachlosigkeit zu entgehen, wäre somit gewesen, wieder bei meinen Eltern einzuziehen, welche knapp drei Autostunden entfernt von mir lebten. Dies wiederum bedeutete, meine Arbeit aufgeben zu müssen. Und davor fürchtete ich mich weit mehr, als vor einem Wohnungsverlust.
…
Ewig hatte ich gebraucht, um eine Arbeit zu finden – und dann sollte ich meine im Anwachsen befindliche Selbstständigkeit von einem Tage auf den anderen verlieren, alleine aufgrund der Gegebenheit, das Stiegenhaus nicht gewischt zu haben?
Hochzüngelnde Sorgen verdrängend sperrte ich die Tür auf und trat in meine Fünfzig-Quadratmeter-Wohnung.
Ein an Quittenblüten erinnernder, von meinen langsam verblühenden Surfinien, welche ich vor der Herbstkälte vom Balkon gerettet und in den kleinen Vorraum gestellt hatte, herrührender und mit Rosenduft meiner Duftlampe vermischter Geruch wehte mir entgegen, erweckte sanfte Geborgenheit und erlaubte mir die bleierne Traurigkeit der letzten Ereignisse für einen kurzen Moment zu verscheuchen.
Ehe ich etwas aß oder die Wäsche machte, sprang ich erst einmal unter die Dusche.
Mir war furchtbar kalt. Eine Erkältung war das Letzte, das ich jetzt brauchte.
Sobald meine kalte Haut das heiße Wasser empfing, mich allmählich in eine innige Umarmung nahm, brach eine weitere Welle Melancholie über mich herein, welche in Form neuer Tränen einen Weg aus meiner Seele fand.
Weshalb war es so schwer geworden, sich glücklich zu fühlen?
Immerhin besaß ich alles, was ich brauchte: eine Wohnung, gutes Essen, warmes Wasser, schöne Kleidung … Dennoch tat mir der grobe Umgang meiner Mitmenschen jedes Mal in der Seele weh.
War ich zu verweichlicht? Zu empfindlich? Zu sensibel?
Das Stiegenhaus.
Eine Hitzewelle brauste mir durch den Leib, veranlasste mich, mich flott abzutrocknen, in meinen einzigen, alten, dafür unbeschreiblich bequemen Trainingsanzug zu schlüpfen und einen Eimer mit Wasser zu befüllen. Ich schüttete etwas Allzweckreiniger hinzu, fasste nach dem Wischmopp und eilte nach draußen.
Wie jedes Mal brauchte ich eine gute Stunde, bis ich das Erdgeschoss erreichte – müde, mit Kreuzschmerzen und schwachen Armen. Ich drehte mich zurück und blickte zum glänzenden Marmorboden.
Hoffentlich würde es den Mietern passen …
Eine sich schlagartig ausbreitende brutale Müdigkeit verwandelte meine Extremitäten in Blei. Ich drückte die Nach-Oben-Taste des Aufzugs. Es dauerte lange, bis die Türen sich öffneten und ich eintreten durfte. Während der Fahrstuhl nach oben fuhr, wischte ich dessen Boden, ehe ich völlig erschöpft meine Wohnungstür aufsperrte.
Für so was habe ich leider keine Zeit, hallten Tobias’ Worte mir durch den Kopf.
Ohne es zu wollen, kamen mir die Tränen.
Wann waren die beiden ein Paar geworden? Nie hatte ich die zwei zusammen gesehen.
Ich schniefte.
Wie er Anna angelächelt hatte … Würde auch mich irgendwann einmal jemand auf eine solche zärtliche Weise anlächeln wollen?
Einen Kloß hinunterwürgend spülte ich den Eimer aus und stellte ihn hinter die Badtür.
…
Jemand, der mit mir ausging … mit mir verbringen wollte – miteinander lachen, Spaß haben, reden …
Nachdem ich eine Kleinigkeit gegessen hatte, verkroch ich mich ins Bett. Normalerweise las ich gerne ein paar Seiten eines Romans oder sah ein wenig fern. Heute hingegen sehnte ich mich einzig nach Schlaf – einschlafen und nicht mehr über diesen schrecklichen Tag nachdenken. Doch sosehr ich es mir wünschte, der Schlaf wollte sich nicht einstellen … Ich drehte mich von einer Seite auf die andere, tausend Gedanken durch meinen Geist irrend.
Wer will dich schon sehen?!
Spaßbremse!
Zieh dir was Vernünftiges an! Wie läufst du rum!
Bei dir hat man die Nachgeburt aufgezogen.
Seht euch die an … seht sie euch genau an! Die ist verrückt. Mit der dürft ihr euch nicht abgeben.
Tränen quollen aus meinen geschlossenen Augen hervor, benetzten mein Kissen, brachten meinen Körper zum Beben …
Wie viel mehr hatten sie mir an den Kopf geworfen? Wie viel hatte ich verdrängt? Wie viel musste ich noch zu hören bekommen?
…
Die Beleidigungen waren hart – doch gab es da tausendmal fürchterliche Geschehnisse: die Ausgrenzungen, das Stehenlassen, das Ignoriert-Werden, die kalten verächtlichen Blicke.
Schniefend kuschelte ich mich inniger in die Decke.
Wann endlich würden mir ihre Aussagen egal werden? Wann würde ich darüber stehen und ihnen mit einem Lächeln antworten können?
Du kannst es sowieso nicht. Also lass es besser gleich bleiben!
Da wo nichts ist, da kann auch nichts werden!
Gott, ist die blöd!
Ein heftiger Weinkrampf erfasste mich. Ich presste die Lippen aufeinander und betete, dass der brutale Seelenschmerz schnell verschwinden möge.
…
Weshalb wuchsen andere an Schwierigkeiten, hingegen ich an ihnen zu zerbrechen drohte? Woher nahmen andere Menschen diese Stärke? War es möglich, selbst dergestalt stark zu werden?
Tief einatmend wischte ich mir über die nasse Wange.
Ich wünschte lediglich eines: Mich glücklich fühlen – aus vollem Herzen lachen und die kleinen Wunder wiederentdecken können, welche mich einst in ihren Bann gezogen hatten. Ich wollte mich wieder an der Natur, an den kleinen Dingen des Lebens erfreuen … an der Magie der Stille … des Augenblicks …
Es dauerte endlos lange, bis der erlösende Schlaf sich endlich über mich zu legen gedachte und ich den Schmerzen zu entfliehen vermochte.
Christina
Ich sehe, wie sie durch die Türe tritt. Ein buntes Kleid schmiegt sich an ihre langen Beine, die goldenen Haare trägt sie aufgesteckt, ihre hellrosa Lippen erinnern mich an eine süße Tortenglasur.
Freundlich grüßt sie mich und legt die Briefe auf den Tresen.
Wie jeden Dienstagnachmittag.
Seit nunmehr einem halben Jahr arbeitet sie in der internen Postverteilung.
Christina.
Dieser Engel einer Frau.
Doch solcherweise gerne ich sie ansprechen will, fehlt mir letztlich jedes Mal der Mut, es zu wagen. Aus diesem Grunde grüße ich bloß zurück und nehme die Briefe an mich. Sie wirft mir ein herzerwärmendes Lächeln zu. Blaue Augen leuchten wie Saphire in der Sonne, bringen mein nach ihr rufendes Herz zum Klopfen.
Was würde ich alles geben, um bei ihr sein zu dürfen! Was würde ich alles tun, um sie in meinen Armen halten zu dürfen!
Allein