Isabella Kniest

Love's Direction


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rieb sich über die Nase, schluckte seinen Groll hinunter und bog in die Feldkirchnerstraße ein.

      Zum Glück fiel der Nachmittagsverkehr heute nicht allzu zäh aus. Schleichende, die zweite Spur blockierende Autofahrer waren das Letzte, mit dem er sich nun herumärgern wollte – zumal er heute bereits dreimal damit zu kämpfen gehabt hatte.

      Just drängte sich ein rot lackierter zweihundertvierziger Mercedes Benz Kombi zwischen ihn und den vor ihm fahrenden dunkelgrünen Skoda Octavia. Soviel er erkennen konnte, saß in dem Neunzigerjahre-Mercedes ein alter Sack samt Hut am Steuer – der, sich eben eingereiht, logischerweise sofort das Tempo verringerte.

      »Na ganz fein!«, polterte Tracey. »Nicht noch einmal!«

      Er blickte auf den Tacho: Vierzig.

      Dieser halb tote Sack fuhr tatsächlich vierzig!

      Verfluchte Senioren!

      Was hatten diese sabbernden, inkontinenten, senilen Flachwichser hinter einem Lenkrad verloren?! Das waren tickende Zeitbomben – gleichzusetzen mit alkoholisierten oder unter Drogeneinfluss stehenden Lenkern! Die sollten sich besser in ihre Stammkneipe oder den örtlichen Seniorenklub verziehen, Bingo spielen und ›Willkommen Österreich‹, ›Klingendes Österreich‹ oder ›Mei Liabste Weis‹ glotzen.

      Weitere dutzende gedankliche Schimpftiraden später ordnete Tracey sich zur Ruhe. Es half nichts, durchzudrehen. Es half nichts. Und wer wusste, war dieser Pensionist bald einer seiner nächsten Kundschaften …

      Sein erhitztes Gemüt ein winziges bisschen abgekühlt, erhöhte er den Abstand zum schleichenden Mercedes und schaltete das Radio an. ›Umbrella‹, ein Song, der ihn an Fingernägel erinnerte, welche über eine Schultafel kratzten, drang blechern aus den alten Boxen.

      Innerlich fluchend tat er das einzige Vernünftige: Er schaltete wieder ab.

      Ja, die Sache mit dem Urlaub … Wenn es dabei bloß geblieben wäre! Der Gipfel dieses beschissenen Tages bildete jedoch der neue Dienstplan: Sein Chef hatte ihn die nächsten Wochen für die vormittäglichen Krankentransporte eingeteilt! Die Dienstzeit war zwar klasse – immerhin kam er jeden Abend um siebzehn Uhr nach Hause –, alte jammernde Leute von einem Arzt zum nächsten zu kutschieren stellte allerdings nicht unbedingt die befriedigende berufliche Herausforderung für ihn dar.

      Noteinsätze waren es, für die er lebte.

      Das Gefühl, der Allgemeinheit helfend unter die Arme zu greifen bedeutete schlichtweg alles für ihn.

      Selbstverständlich fielen alltägliche Krankentransporte ebenso in dieselbe Rubrik, dessen ungeachtet lasteten solche Aufgaben ihn nicht aus. Krankentransporte langweilten, ja unterforderte ihn regelrecht. Tracey wollte helfen, anpacken, etwas verändern – notleidenden Menschen in ihrer ausweglosen Stunde zur Seite stehen. Er wollte ihnen Sicherheit vermitteln … und jetzt saß er hinter dem Lenkrad und wurde von Schleichern ausgebremst!

      Scheiße!

      Nun, zumindest ein Gutes hatte es: Sein dunkelhaariger Kollege Franz, den er nicht eben zu seinen besten Freunden zählte, durfte hinten sitzen und sich die langweiligen Geschichten der zittrigen Greise anhören.

      Jetzt ebenfalls.

      Er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

      Die ihn jäh fürchterlich blendende, tief stehende Frühlingssonne riss ihn aus seinen Grübeleien.

      Abermals fluchte er – dieses Mal zur Abwechslung gut hörbar –, hatte er doch seine Sonnenbrille daheim vergessen.

      Was, zur Hölle, lief heute eigentlich nicht schief?

      Da erinnerte er sich an eine weitere klitzekleine Bedeutungslosigkeit zurück: Die demenzkranke Rentnerin, die ihn von oben bis unten vollgekotzt hatte.

      In aller Früh.

      …

      Scheiß Drecksmontag!

      Den Mercedes nachkriechend, der vermutlich ebenso altersschwach war wie dessen Fahrer, bog Tracey in die Rosentalerstraße ein.

      Wann würde dieser Vollidiot endlich von der verfickten Straße verschwinden?!

      Eben wollte er zum Überholvorgang ansetzen, da schwenkte das Opamobil ebenfalls nach rechts – ohne optische Vorwarnung, sprich den Blinker zu betätigen.

      »Ja, hat der sonst keine Probleme, oder was?!«, keifte Tracey. »Verfluchte Pensionisten!«

      Nicht mehr lange, und er würde ernsthaft durchdrehen …

      Nun … zum Glück war endlich die Straße frei geworden.

      Er atmete tief durch und beschleunigte.

      Bloß noch Mr. Herzkrank zu Hause abliefern, dann war Schluss für heute.

      Eine sanfte Vorfreude breitete sich in ihm aus.

      Alsbald er den Krankentransporter zurück zur Basis gebracht hätte, würde er heimfahren, sich heiß duschen, eine Bretterljause richten und sich einen knallharten Actionfilm reinziehen.

      Vielleicht einen Van Damme? Oder einen Stallone? Nein, einen Seagal!

      Hinter einem grässlich pink lackierten Wagen hielt Tracey an. Dieser wartete, wie dutzende weitere PKWs, links und rechts neben, vor und hinter ihm, an der vorletzten Kreuzung des Klagenfurter Randbezirks.

      Er betrachtete die schief angeschraubte Nummerntafelhalterung, die verbeulte pinkfarbene Stoßstange, das mit Rostbeulen übersäte Heck …

      Was für eine blonde Schnepfe saß da wohl hinter dem Steuer? Sicherlich eine ohne Job …

      Die Ampel sprang auf Grün und der Pussywagon fuhr an.

      Wohl rief das Auto Augenkrebs und Bindehautentzündungen hervor, doch zumindest würgte die Fahrerin den Motor nicht ab.

      Wenn man dermaßen viel Zeit wie Tracey auf der Straße verbrachte – insbesondere in der Stadt –, wurde man zwangsläufig Zeuge von Erlebnissen, die man nicht einmal in einem durchgeknallten Quentin-Tarantino-Film zu sehen bekam. Beispiele gefällig? Vor rund drei Jahren hatte er einen italienischen Fahrer angetroffen, dessen Fahrzeug weder Rücklichter noch Seitenscheiben besessen hatte. Zudem gelang es dem Trottel nicht ein einziges Mal, die Kupplung vernünftig zu betätigen. Dies bedeutete, alsbald der Fahrer in den nächst höheren oder niedrigeren Gang wechselte, sprang die schrottreife Kiste einen halben Meter weit nach vorn. Ein andermal hatte Tracey sich gegen rücksichtslose GTI-Fahrer zur Wehr setzen müssen. Diese hatten in einer unübersichtlichen Kurve zu einem Überholmanöver angesetzt. Auf gleicher Höhe mit ihm tauchte logischerweise ein entgegenkommendes Fahrzeug auf, womit diese verkackten Piefke sich schneidend vor ihn hatten drängen müssen. Ähnlich brutal verhielten sich sämtliche slowenischen Staatsbürger. Da wurde geschnitten, gedrängt und mit wahnsinniger Geschwindigkeit drei, vier oder fünf Wagen gleichzeitig überholt – verständlicherweise in ähnlich unübersichtlichen Kurven wie bei der zuvor erwähnten GTI-Vollpfosten-Geschichte.

      Wer nun dachte, lediglich verrückte Ausländer stellten Straßenrowdys dar, der irrte: Fahrunfähige Österreicher gab es ebenfalls zu Genüge! Ausgesprochen waghalsige Raser stellten sämtliche verschissenen Wiener dar, die vorzugsweise mit präpotenten PS-Schleudern aka BMWs durch die Stadt preschten. Spittaler und Klagenfurter teilten sich den zweiten Platz, wenn es um überhöhte Geschwindigkeiten und eine schneidende, drängelnde Fahrweise ging.

      Woher all diese unterbelichteten, die Allgemeinheit gefährdenden Dreckskrüppel ihren Führerschein erhalten hatten – gerade einparken, Blinker benützen und sich den Witterungsverhältnissen anpassen, war für all diese erwähnten Idioten ein Ding der Unmöglichkeit –, fragte er sich nahezu tagtäglich. Er begnügte sich mit der Ansicht, dass wohl mehrere Fahrschullehrer bestochen worden waren.

      Der vor sich hin tuckernde Pussywagon vor ihm brachte ihn ins Hier und Jetzt zurück.

      Er schaute auf den Tacho.

      Dreißig.

      Was zur