Ewa A.

1001 Dattelkeks


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Wie sollte es nur weitergehen?

      Musste sie wirklich das einzig Wertvolle, das sie von ihrem Vater geerbt hatte, verkaufen müssen? Omid hatte ihr das Amulett kurz vor seinem Tod gegeben. Sie war überrascht gewesen, denn sie hatte nicht gewusst, dass er ein solch wertvolles Schmuckstück besaß. Mitten in der Nacht hatte er es ihr in die Hand gedrückt und sie ermahnt, es niemandem zu zeigen.

      Verstohlen suchte Shanli in der Innenseite ihres Kopfkissens nach der geheimen Tasche, wo das Amulett versteckt war. Kaum hatten ihre Finger das Fach ertastet, zwängten sie sich durch die kleine Öffnung und wurden fündig. Sie barg das schwere Schmuckstück, dessen Kälte sie leicht erschaudern ließ. Wehmütig betrachtete sie den daumengroßen Smaragd, der die Form eines Tropfens hatte und an einer groben Goldkette hing. Seine goldene Fassung war kunstvoll verarbeitet und mit vielen winzigen Diamanten verziert. Selbst jetzt noch, in der schwachen Nachmittagssonne, glitzerten diese wie blanke Sterne. Und der geschliffene Smaragd schien regelrecht zu glühen, als loderte eine Flamme in ihm. Wie gebannt starrte Shanli auf das Medaillon. Sie konnte sich gar nicht satt sehen an seiner Schönheit.

      Sollte sie diese Kostbarkeit wirklich verkaufen? Sicher würde sie für das Schmuckstück eine Menge Geld bekommen, aber sie würde es nie wiedersehen. Das war ebenso sicher. Denn nie im Leben würde sie mit ihren Süßigkeiten so viel verdienen, um dieses Schmuckstück zurückkaufen zu können. Verzweifelt schloss Shanli die Augen und die Hand, in der das Amulett lag. Sanft rieben ihre Fingerspitzen über den kühlen Stein.

      Alles könnte so einfach sein, wenn nur … Ja, es gab einiges, was ihre aussichtslose Situation verbessern würde.

      »Ich wünschte … ich wünschte …«, nuschelte Shanli in die Stille ihres Zimmers.

      Ja, was sollte sich alles erfüllen? Dass Parviz sich in sie verlieben würde, dass sie nicht mehr dick war, dass sie genügend Geld hatte … oder wenigstens, dass sie auf dem Markt verkaufen dürfte. Oder etwas, dass dies alles unnötig machen würde.

      »Ich wünschte … Ich wünschte, ich wäre ein Mann!«

      Erschrocken öffnete Shanli die Augen, denn ein Ruck war durch das Medaillon gegangen. Was war nur mit ihr los? Wieso sah sie plötzlich Sterne vor Augen? Vielleicht war sie übermüdet.

      Shanli kniff die Augen zusammen und hörte im nächsten Moment eine Männerstimme.

      »Naja, ich weiß nicht, ob das jetzt eine Verbesserung ist?«

      Sie riss ihre Lider auf und rang nach Luft, denn vor ihrem Bett stand ein Mann. Ein Kerl in einer lila Pumphose! Er hatte die Arme vor seiner Brust verschränkt, die in einer seidenen Tunika mit Weste steckte. Die Krönung seiner Erscheinung waren jedoch seine Glitzerschuhe, deren Spitze sich zu einer Schnecke kringelten.

      Ungläubig starrte Shanli nach deren Musterung wieder in sein Gesicht, und als sich seine Braue in einer zynischen Geste erhob, war es soweit: Sie holte tief Luft und brüllte sich die Seele aus dem Leib.

      Doch anstatt zu flüchten, runzelte der braunhaarige Eindringling lediglich die Stirn und meinte: »Was schreist du denn so? Du hast mich doch herbeigerufen.«

      Weil er nach wie vor keine Anstalten machte, zu flüchten, sprang Shanli aus dem Bett und begann, mit dem Kissen auf ihn einzuschlagen.

      Das Amulett noch immer fest in der Hand, brüllte sie ihn an: »Verschwinde! Was willst du von mir? Ich bin eine anständige Frau! Raus aus meinem Haus!«

      Der Mann wehrte sich nicht, sondern versuchte bloß, sich vor den Schlägen zu schützen. »Aua! Hör auf mit dem Unfug! Autsch! Bist du verrückt?«

      Schließlich konnte er ihr das Kissen wegnehmen, wobei das Amulett zu Boden fiel. Doch das kümmerte den Eindringling nicht, vielmehr fing er Shanlis Handgelenke ein, weil sie angefangen hatte, ihm eine Ohrfeige nach der anderen zu verpassen.

      Erneut fing sie an, zu schreien, allerdings in Richtung Fenster: »Hilfe! So helft mir doch!«

      »Wieso rufst du denn jetzt nach Hilfe?«, fragte er kopfschüttelnd.

      Shanli geriet in Panik, denn der Kerl schaute sie so komisch an. »Er will mir Gewalt antun!«

      »Äh, igitt, nein, will ich nicht!« Angewidert verzog sich das Gesicht des jungen Mannes.

      »Ein Frauenschänder! So kommt mir doch zur Hilfe!«, rief die Bäckerstochter und versuchte vergeblich, sich von ihm zu befreien.

      Verdattert zog der Braunhaarige den Kopf ein und ließ Shanlis Hände los. »Nur zur Erinnerung: Du bist keine Frau mehr!«

      »Was?!«, murmelte sie und hielt verdutzt inne. Seine Worte, wie auch seine erhobenen Hände, die ihr seine Handinnenflächen zeigten, in einer Gebärde des Aufgebens, verwirrten sie.

      Der Eindringling zuckte mit den Schultern. »Du hast dir doch gewünscht, ein Mann zu sein. Jetzt bist du einer.«

      »Wie?« Shanli schüttelte unverständig den Kopf.

      Doch als der Pumphosen-Mann mit seinem Kinn auf sie deutete, blickte sie an sich herunter. Der nächste Schock stand ihr bevor: Ihr Busen war weg, dafür war ihr Bauch noch kugliger als zuvor.

      Mit riesigen Augen starrte Shanli wieder den Eindringling an, der sie still beobachtete. Abermals senkte sie ihren Blick und fasste sich nach kurzem Zögern zwischen die Beine, um gleich darauf zu schreien – mit einer Stimme, die, wie sie nun bemerkte, viel tiefer war, als gewöhnlich. Völlig entgeistert, aber immerzu brüllend, schlug sie die Hände vors Gesicht, wo sie prompt einen Bart fand. Total überfordert von ihrem neuen männlichen Körper, fing sie an, vor dem Fremden zu flüchten. Denn nur er konnte schuld daran sein. Rückwärtslaufend, stetig schreiend, wich sie zurück, und als sie glaubte, den Ausgang hinter sich zu haben, drehte sie sich um. Allerdings donnerte sie mit ihrer Stirn gegen die Tür, was ihre Flucht abrupt beendete.

      Besinnungslos sank Shanli zu Boden. Der Fremde trat näher an Shanli heran. »Wunderbar! Da kommt man nach einem Jahrhundert endlich mal wieder an die frische Luft, und dann das!« Er schnaufte laut. »Vergiss es! Dich werde ich nicht ins Bett tragen! Bei so einem Brocken, wie dir, heb ich mir ja einen Bruch!«

      Kapitel 5

      Glitzerschuhe und andere schreckliche Dinge

      Langsam öffnete Shanli ihre Lider. Im selben Moment malträtierte sie ein wummerndes Pochen an ihrer Stirn.

      Was war geschehen? Ach, ja sie war gegen die Tür geknallt, wegen des komischen Kerls. Kerl?!

      Die Erinnerung stürzte auf Shanli ein wie ein Eimer eiskaltes Wasser. Sofort rappelte sie sich auf, bis sie, aufrecht sitzend, mit ihrem Rücken an der geschlossenen Tür lehnte. Zu ihrem Entsetzen stand der seltsame Eindringling nach wie vor in ihrem Zimmer herum. Was bedeutete, dass es kein verrückter Traum gewesen war und dass sie … Nein, das konnte sie nicht glauben!

      Ängstlich blickte sie an sich hinunter. Tatsache, sie war ein Mann!

      »Nein, nein, nein! Das kann nicht sein!«, hechelte Shanli und verfiel zusehends erneut in Panik.

      Der Mann hatte sich, in seiner anscheinend typischen Pose, mit verschränkten Armen, vor ihrem Bett aufgebaut. Seine Brauen wanderten seinem braunen Haarschopf entgegen, als er sie argwöhnisch betrachtete.

      »Jetzt komm mal wieder runter von der Palme!«, fuhr er sie an, was sie wohl beruhigen sollte. »Du tust so, als wäre es das Schrecklichste auf der Welt, ein Mann zu sein!«

      Fassungslos starrte Shanli den braunhaarigen Eindringling an, der lediglich ein paar Jahre älter als sie sein konnte. »Das ist es doch auch!«

      »Naja, wenn man so aussieht wie du, dann wahrscheinlich schon!«, meinte er amüsiert.

      Wütend wippte Shanli mit ihrem Kopf. »Sagt der Mann in lila Pumphose.«

      »Hey, zu meiner Zeit war das total angesagt, ja?!«

      Shanli prustete: »Wann soll das gewesen sein? Im letzten Jahrhundert?«

      Der