Ewa A.

1001 Dattelkeks


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Palast schlichtweg atemberaubend. Immer wieder musste Shanli an die Decke starren, die in weiter Ferne zu thronen schien. Über und über war die Kuppel mit einem filigranen Muster verziert. Stuck in Ranken, Blüten und Schnörkel prunkte verschwenderisch an Decke und Wänden. Der Fußboden war eine spiegelnde Fläche aus wolkenweißem Marmor.

      Um ihrer Aufregung Herr zu werden, atmete Shanli tief durch. Sie hatte eine kleine Auswahl an Leckereien eingepackt, von der sie glaubte, dass sie ihr am besten gelungen war. Dass eine Sorte davon Schah Parviz oder seiner Mutter Aazar besonders gut schmecken würde, konnte sie nur hoffen. Ungeduldig ruckelte sie auf ihrem Stuhl umher und sah sich eingeschüchtert um.

      War ihr Backtalent wirklich so gut, um es mit dem derzeitigen Hoflieferanten aufnehmen zu können? Sicherlich benutzte er nur das teure Rosenwasser aus Apunqur. Sie dagegen bereitete es selbst zu und sammelte dafür die zarten, rosaroten Blütenblätter der kniehohen Buschrosen, die sie vor den Toren von Al Hurgha fand. Bestimmt war der Hoflieferant ein alter, erfahrener Bäcker, der nur doppelt gemahlenes Mehl verwenden würde. Oh, nein, sie würde sich nur blamieren.

      Genau in diesem Moment, als die Angst Shanli zu überwältigen drohte, kam ein Diener daher.

      »Folge mir. Schah Parviz und sein Mutter trinken nun ihren Mokka. Sie möchten deine Süßigkeiten kosten.«

      Hastig erhob sich Shanli mit ihrem Korb und folgte dem Diener durch die Halle, einen langen Gang entlang, zu einem Iwan. Von dieser halb offenen Halle aus hatte man einen herrlichen Blick auf den gepflegten Garten des Palastes. Die gigantischen weißen Vorhänge schwebten wie rauschende Wasserfälle im warmen Wind und verliehen dem Raum etwas Unwirkliches. Der Schah und seine Mutter saßen halb liegen auf niedrigen Ottomanen. Auf zierlichen Tischen hatte man ihnen den Mokka griffbereit zur Seite gestellt.

      Der Diener verbeugte sich. »Schah Parviz, die Bäckerstochter.«

      Parviz hob erfreut den Kopf. »Ah, ja! Tritt näher – Bäckerstochter.«

      Shanli ging langsam auf Mutter und Sohn zu. Sie schluckte und klammerte sich ängstlich an den Korb, der mit seinen Backwaren den Schlüssel ihrer Zukunft enthielt.

      Während der Schah ihr entgegenlächelte, verzog seine Mutter, Aazar, keine Miene. Nicht nur der kalte Blick der älteren Frau ließ Shanli verzagen, sondern auch deren Erscheinung. Aazar war trotzt ihres Alters, das bei Anfang vierzig liegen musste, die schönste Frau, die Shanli je gesehen hatte. Sie hatte eine hohe, gewölbte Stirn, die in eine edle, schmale Nase überging. Ihre Augenbrauen waren feine Bögen, über eindrucksvollen Augen, welche eine leichte Schräglage hatten. Ihre wallenden Locken waren von einem fast durchsichtigen Schleier bedeckt. Trotz ihrer weiten, kostbaren Kleider war zu erkennen, dass sie gertenschlank war. Shanli schätzte, dass Aazar ihr mit Leichtigkeit auf den Kopf spucken könnte, wenn sie auf ihren schier endlosen Beinen stand und es darauf anlegen würde. Abgesehen davon hatte Parviz‘ Mutter ausgesprochen grazile Hände und nicht solche Dattelfinger wie sie.

      Wie sollte diese Frau, die augenscheinlich sehr auf ihre Figur achtete, an ihren reichhaltigen Leckereien Gefallen finden? Aazar sah wahrlich nicht danach aus, als würde sie irgendetwas tun, was ihrem Aussehen schadete. Im Ganzen wirkte sie kühl und verbittert. Es war ein Wunder, das Parviz eine solche zuversichtliche und einnehmende Ausstrahlung hatte. Wahrscheinlich kam er mehr nach seinem Vater als nach seiner Mutter.

      Der Schah winkte Shanli zu sich. »Komm, zeig uns deine Ware.«

      Eilig wuselte das Mädchen zu dem jungen Herrscher und kniete vor ihm nieder. Shanli schlug die Tücher beiseite und holte die Süßigkeiten hervor, die sie sogleich Parviz darreichte.

      Ein Schmunzeln floh über sein Gesicht. »Das sieht alles sehr lecker. Ähm, wie war noch gleich dein Name?«

      »Shanli, Hoheit«, erwiderte die Bäckerstochter und blinzelte verwirrt.

      »Genau, Shanli. Shanli, ja, welche deiner Köstlichkeiten würdest du denn empfehlen?«

      Unruhig schaukelte das Mädchen auf ihren Knien. »Nun, es kommt darauf an, was Ihr bevorzugt. Wenn es eher etwas Frisches und Fruchtiges sein soll, solltet Ihr diese probieren.«

      Ohne die Backwaren zu berühren, deutete Shanli auf kleine Halbmonde, welche mit hauchdünnen Orangenstreifen kunstvoll verziert waren. »Das sind Mandelkekse mit einem fruchtigen Orangenaroma. Falls Ihr jedoch einen herberen Geschmack bevorzugt, munden Euch jene vielleicht besonders gut. Das ist Mandelkonfekt, das winzige Knusperperlen aus kandierten, zerstoßenen Mokkabohnen enthält. Und wenn Ihr lieber Pikantes mögt, so habe ich hier Ziegenkäsekringel mit einem Hauch Honig und einer Prise Kreuzkümmel«

      »Beeindruckend, nicht wahr, Mutter?«

      Aazar legte den Kopf schief und unterzog Shanli einer strengen Musterung. »Ja, tatsächlich scheint sie wesentlich mehr Fantasie zu besitzen als unser bisheriger Bäcker.«

      Ein Grinsen huschte über Shanlis Gesicht. »Danke, Euer Hoheit.« Anscheinend war diese herbe Schönheit doch keine Kostverächterin.

      Mit einer Verneigung hielt sie Aazar das Gebäck vor die Nase und zeigte auf braune, kreisrunde Plätzchen. »Darf ich Euch noch diese Gewürzkekse ans Herz legen. Sie enthalten eine fein abgestimmte Mischung aus Muskatblüte, Piment und Kardamom. Sie schmecken nicht nur gut, sondern sind auch eine Wohltat für den Magen und eine schmackhafte Bereicherung zu Eurem Mokka.«

      Aazar schaute Shanli tief in die Augen, bevor sie mit spitzen Fingern nach einem der Gewürzkekse angelte. In Mäuschen-Manier begann sie, an dem Keks herumzuknabbern. Gebannt warteten Parviz und Shanli auf Aazars Urteil. Schließlich nickte die Schah-Mutter, und nachdem sie hinuntergeschluckt hatte, meinte sie: »Wirklich vorzüglich. Du bist eine talentierte Bäckerin.«

      Shanli stieg sofort die Röte ins Gesicht, und als sie bemerkte, wie Parviz sie voller Stolz anlächelte, senkte sie schüchtern ihren Blick.

      »Nun, Fanli …«

      »Shanli, Euer Hoheit«, berichtigte das Mädchen den Schah flüsternd.

      Dieser erwiderte daraufhin: »Gesundheit!« Danach brachte er Shanli mit seinem Lächeln schier um den Verstand und fuhr fort: »Also, von welchen Keksen soll ich kosten? Ich mag es ausgesprochen süß, und du scheinst mir auf diesem Gebiet eine wahre Kennerin zu sein.«

      Shanli schaffte es fast, sich das Kichern zu verdrücken. Allerdings wurde aus dem Lachen ein Grunzen, weshalb sie Parviz schnell mit den Leckereien ablenkte. »Diese Marzipankugeln sind dann genau das Richtige. Sie enthalten nicht nur Feigen- und Dattelstückchen, sondern sind auch von einem gezuckerten Rosenblatt umhüllt.«

      »Mmmh! Was für eine Versuchung«, brummte Parviz und versank dabei in Shanlis Augen, während er sich gleichzeitig eine Marzipankugel griff.

      Ein tonloses Hecheln entfloh der Bäckerstochter, denn kein Mann hat sie jemals mit dem gleichen Hunger betrachtet wie ihre Süßigkeiten.

      Gemächlich schob der Schah die Leckerei in seinen Mund. Nicht einen Moment wich sein Blick von Shanli, die kurz vor einer Ohnmacht stand.

      Wie war es möglich, dass sie innerlich schier verbrannte, nur weil sie ihm beim Essen zuschauen durfte?

      Parviz ließ sich die Köstlichkeit erst im Munde zergehen. Doch dann biss er in mahlenden Bewegungen zu, was ein jähes Ende fand.

      »Autsch!«, schrie er auf und verzog schmerzhaft das Gesicht.

      Shanli stockte vor Schreck der Atem. Mit schreckensweiten Augen wurde sie Zeugin, wie er angewidert den Inhalt seines Mundes auf den Boden spuckte.

      »Beim Barte des Propheten, was war das? Ich habe mir fast den Zahn ausgebissen.«

      Entsetzt nahm die Bäckerstochter wahr, wie Parviz sich den Mund abwischte und Blut an seinen Händen fand.

      »Das … Das tut mir entsetzlich leid. Das … das kann nur ein winziges Stückchen einer Mandelschale gewesen sein«, stammelte Shanli und warf sich mit bebender Brust vor dem Schah nieder.

      Sie wusste genau: Keiner vergoss ungestraft das Blut des Herrschers. Ihre Stimme zitterte, als sie