Ewa A.

1001 Dattelkeks


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sie Talimans Worten nicht ernst nehmen. Wie hätte Parviz ihr »goldenes Herz« entdecken sollen? Welchen Mut? Vielmehr hatte sie ihm vorgeführt, dass sie sich in ihrer Verzweiflung mit Männern prügelte, im nassen Zustand erbärmlich aussah und mit ihren zahnzerschmetternden Süßwaren ein Attentat begehen konnte. Letzteren Eindruck sollte sie jedoch heute ändern können. Aber … vielleicht hatten Golroo und Taliman recht, und Parviz war ihr gegenüber gar nicht so abgeneigt, wie andere ledige Männer es waren? Schließlich hatte er sie angelächelt und nicht ausgelacht, wie es die Händler getan hatten. Während diese sie verhöhnt hatten, gewährte Parviz ihr eine zweite Chance. Er war tatsächlich der erste Mann gewesen, der mit ihr geturtelt hatte. Und das ohne Angstschweiß.

      Hmm, sie wollte sowieso in den Palast, um ihm das Konfekt anzubieten, dabei könnte sie doch gleich ihre Bewerbung als Braut einreichen. Wenn Parviz sie nicht als Hoflieferanten wollte, dann möglicherweise als Braut. Oder umgekehrt. Mehr als ein »Nein!« konnte ihr nicht passieren. Doch, eigentlich schon, aber darüber wollte sie jetzt lieber nicht nachdenken, denn sonst würden sie keine zehn Pferde in die Nähe des Palastes bringen.

      »Also gut. Ich wollte ihm heute eh eine Kostprobe meiner neuen Süßigkeit bringen. Dann kann ich mir das Spektakel ja mal anschauen.«

      Die Nachbarsleute strahlten zufrieden.

      »Braves Kind!«

      »Tu das, Mädchen.«

      Und so kam es, dass Shanli sich, mit ihrer neuen Süßigkeit, in die Schlange der Bewerberinnen einreihte, die vor den Toren des Palastes endete. Es schien, als hätten sich alle heiratsfähigen Mädchen der Stadt eingefunden, um die Braut des Schahs zu werden. Da war Bitu, die Tochter des Schneiders, die mit ihren achtzehn Jahren nicht nur in Shanlis Alter war, sondern auch die gleiche füllige Statur hatte. Zwei Mädchen weiter, vor Bitu, stand Nisra. Sie war das jüngste Kind des Metzgers, aber drei Jahre älter als Shanli. Die schlanke Nisra stach einem sofort ins Auge, da sie hochgewachsen war und die meisten Wartenden überragte. Viele beneideten Nisra um ihre wohlgestaltete Figur, allerdings nicht um den Höcker auf ihrem Nasenrücken und ihre etwas zu lang geratenen Zähne. Es waren jedoch auch viele fremde Gesichter unter den Bewerberinnen auszumachen.

      Ein weiteres Mädchen kam angerannt und stellte sich hinter Shanli in der Reihe an. Sie war jedoch nicht aus dem Ort gekommen, sondern aus dem Palast. Augenscheinlich musste sie eine Bedienstete sein. Shanli begrüßte sie mit einem scheuen Lächeln, welches umgehend erwidert wurde.

      »Du bist die Bäckerstochter, die gestern die Süßigkeiten in den Palast brachte, nicht wahr?«

      »Ja. Woher weißt du das?«, fragte Shanli freudig erstaunt, bis ihr der Grund einfiel, weshalb das Mädchen wissen konnte, wer sie war. »Oh, nein. Es hat sich schon herumgesprochen, dass ich die kleine, dicke Shanli bin, die dem Schah mit einem einzigen Keks fast das Gebiss zerlegt hat?«

      Angesichts Shanlis ängstlicher Grimasse musste die Bedienstete laut lachen. »Was? Nein, ich habe dich in der Halle mit dem Korb gesehen, und der Diener sagte mir, dass du vielleicht die neue Hoflieferantin werden würdest.«

      Shanli pustete laut erleichtert ihren Atem aus. »Ich dachte schon …«

      »War das dein Ernst? Hat dein Keks wirklich Schah Parviz‘ Zähne beschädigt?«, wollte das Mädchen wissen.

      »Äh, nein. Nein, das war nur ein Scherz«, erwiderte Shanli mit einem unechten Grinsen. Sie war doch nicht so dumm und würde selbst für die Gerüchte über sich sorgen.

      »Ich bin Simin, die Tochter des Wesirs. Außerdem arbeite ich als Aazars Zimmermädchen.«

      Shanli betrachtet Simin genauer. »Dein Vater ist Ziar?«

      »Ja, und das ist nicht immer ein Zuckerschlecken, glaub mir.«

      Unglaublich, dass das hübsche Ding die Tochter des kahlköpfigen Wesirs sein sollte, dessen Gesicht einen in Angst und Schrecken versetzen konnte. Dies lösten entweder seine tiefen Narben oder sein gewaltiger Schnauzbart aus. Ja, es lag wohl eher an seinem gezwirbelten Schnauzer, denn dessen Ausmaße und Ebenmäßigkeit grenzten schon an Zauberei. Das haarige Teil war ihr einfach unheimlich. Simin dagegen zählte zu jenen Menschen, die man auf Anhieb gern haben musste. Sie war nicht außergewöhnlich schön, aber sie besaß eine Natürlichkeit, die sie von innen heraus strahlen ließ. Ihr Lächeln war herzerfrischend. Und all dies machte sie so einnehmend. Bestimmt auch für Parviz. Es war zum Heulen!

      »Wieso denn das? Liegt es an seinem Schnauzer?«, fragte Shanli.

      Simins Lachen klang glockenhell durch die Luft. »Shanli, du bist wirklich witzig. Nein, er wollte nicht, dass ich dem Schah meine Hand anbiete. Er ist davon überzeugt, dass Parviz mich ablehnt und diese Schmach ihn für immer und ewig verfolgen würde.«

      »Oh!«

      »Ja, du sagst es«, nickte Simin und rückte dichter an Shanli heran. »Dabei bin ich über beide Ohren in Parviz verliebt. So wie alle hier wahrscheinlich!«

      Betroffen verzogen sich Shanlis Lippen, als sie stumm bejahte. Die Mädchen unterhielten sich und schwärmten über Parviz‘ Vorzüge, während Shanli in der Schlange langsam vorrückte. Stück um Stück wurde die Reihe vor ihr kürzer, und immer wieder liefen weinende Mädchen an ihnen vorbei, deren Bewerbung abgewiesen wurde. Irgendwann standen sie im Gang vor der Tür zum Iwan, wo Parviz die Audienzen abhielt. Nisra ging hinein, und Shanlis Magen beschloss spontan, sich zu verknoten. Würde Parviz die Metzgerstochter in die engere Auswahl nehmen?

      Für Shanli fühlte es sich an, als wäre nur ein Augenblick vergangen, als Nisra wieder herauskam. Sie versuchte, ihr Gesicht hinter den Händen zu verbergen. Doch ihr lautes, herzzerreißendes Schluchzen war nicht zu überhören. Ohne sich umzuschauen, rannte das Mädchen aus dem Palast. Shanlis Knie wurden weich wie Reismehlpudding. Die arme Nisra!

      Dann kamen die nächsten Mädchen an die Reihe. Mit ihren hellbraunen Mähnen hoben sich diese Bewerberinnen von den restlichen ab, die so gut wie alle schwarzhaarig waren. Seltsamerweise kamen diese mit einem euphorischen Lächeln wieder aus dem Saal heraus und verkündeten jedem, auch denen, die es nicht wissen wollten, dass sie der Schah in den engeren Bewerberinnenkreis gewählt hatte.

      Simin sah Shanli herausfordernd an. Grimmig fragte sie: »Hast du auch den Verdacht, dass Parviz sich nur Frauen aussucht, die seinen Schönheitsvorstellungen entsprechen? Offensichtlich steht er auf helle Haare.«

      »Ja«, erwiderte Shanli bitter. »Wie beinahe alle Männer in Al Hurgha.«

      Dann war Bitu an der Reihe. Die Tochter des Schneiders zog laut die Luft ein, bevor sie die Audienzhalle betrat. Shanli glaubte, bereits zu ahnen, was passieren würde. Als einen Moment später Bitu wieder lautstark die Tür hinter sich schloss, war ihre Miene regungslos. Shanli hätte sie am liebsten geschüttelt, um von ihr einen Anhaltspunkt zu bekommen, wie die Audienz ausgegangen war. Aber Bitus energische Schritte und ihr wütendes Schnauben ließen bei Shanli den Verdacht aufkommen, dass sie nicht gut verlaufen sein konnte.

      Schließlich wurde Shanli die Tür zur Audienzhalle geöffnet. Ein Engegefühl zog in ihre Brust ein, und sie bemühte sich, weiterzuatmen.

      Als Simin ihr »Viel Glück!« zuflüsterte, drehte sie sich seufzend nach ihr um.

      »Danke«, wisperte Shanli und schritt über die Schwelle.

      Parviz und seine Mutter saßen in zwei üppig verzierten Thronsesseln. Während der Wesir und ein weiterer Mann, der augenscheinlich ein Schreiber war, mit gelangweilten Gesichtern neben ihnen ihre Plätze eingenommen hatten.

      Die Miene des Schahs heiterte sich auf, als Shanli näher kam.

      »Ah, die Bäckerstochter. Bringst du mir heute deine versprochene Leckerei, die mich alles vergessen lassen soll? Das ist aber nett.«

      Shanli kniete nieder. »Ich möchte Euch nicht nur mein Gebäck anbieten, Schah Parviz, sondern auch meine Hand.«

      »Was?«, lachte er ungläubig.

      Trotz ihres galoppierenden Herzens sprach Shanli es erneut aus. Vielleicht hatte er sie nicht