Günther Dümler

Mords-Zirkus


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im Gemüsefach versteckt, mit einem Salatblatt bedeckt, denn ansonsten hätte er von seiner Betreuerin nur wieder heftige Vorhaltung zu hören bekommen, dass man sich nicht auch noch mit Alkohol betäuben muss, wenn man sowieso schon nicht mehr der Hellste ist. Von wegen. Er wusste immer noch alles und das Kreuzworträtsel in der Programmzeitschrift überforderte ihn noch nicht im Geringsten. Obwohl, in letzter Zeit kam es immer wieder vor, dass er Termine verwechselte oder ganz vergaß und das ein oder andere, von dem er sicher war, dass er es am gewohnten Ort abgelegt hatte, fand er an den unmöglichsten Stellen wieder. Aber der Neumann gegenüber würde er das niemals zugeben. Deren Rat kannte er schon zum Überdruss. Altersheim, Abschiebehaft!

      Als das unterste Fach offen stand staunte er nicht schlecht. Neben seiner geretteten Bierflasche lag der schmerzlich vermisste Kugelschreiber.

      „Ja sooch amaal, wo kummsdn du her?“, war das erste was der alte Mann brummte, bevor er mit seinen beiden Fundsachen und einem Flaschenöffner ins Wohnzimmer übersiedelte um sein Kreuzworträtsel endlich in Angriff zu nehmen.

      „Beder, du mussd sofford kummer, die elendiche Schmiddn will mer scho widder woss anhänger. Und scho widder weecher anner angeblichn Dierquälerei! Ich glaub, dee hodds nimmer alle. Horch amaal! Abber dess lasser mer dessmal von vorn herein nedd gfalln, wergli nedd, dee werd mi etz abber amal kennerlerner, werd mi dee. Dou bass auf!“

      Die aufgeregte, ja nahezu hysterische Stimme, die da aus dem Telefonhörer dröhnte gehörte eindeutig der Gisela Bräunlein. Sie sprach in einer derartigen Lautstärke, nein, sie schrie geradezu in den Hörer, dass man getrost annehmen durfte, ihre Botschaft wäre auch ohne Zuhilfenahme des Telefons von der Metzgerei Bräunlein, von wo aus sie natürlich anrief, bis zum Hause Kleinlein vorgedrungen.

      „Ja, woss iss denn blouß bassierd, Gisela, dassd gar so aufgreechd bisd? Wer hodd der denn woss dou? Die Schmiddn sachsd?“

      Peter war ganz verdutzt, dass Gisela so sehr aus dem Häuschen war. Er kannte sie bisher nur als gewiefte Geschäftsfrau die so leicht nichts erschüttern konnte. Ganz im Gegenteil. Wenn es im Betrieb tatsächlich einmal drunter und drüber ging, dann war stets sie der unerschütterliche Fels in der Brandung. Bisher jedenfalls. Es musste schon etwas ganz Schlimmes passiert sein, wenn sie sich so sehr erregte, dass sie anscheinend keine Luft mehr bekam. Für Peter war sofort klar, dass er mit einer gezielten Nachfrage nach dem Grund des Anrufs jetzt auch nichts Vernünftiges aus ihr herausbekommen würde und so versicherte er sie umgehend seiner Hilfe.

      „Ruich bleibn, Gisela! Ich komm sofford. Bin braggdisch scho underwegs!“

      Er sprang mehr in die Schuhe als dass er hineinschlüpfte und raste los. Die Gisela musste sich täuschen. Die Schmittn Hanne, von der sie am Telefon gesprochen hatte und die sie wohl, wegen was auch immer, in Verdacht hatte, die hatte bereits im vorigen Jahr für eine Riesenaufregung im Hause Bräunlein gesorgt. Ach was, Aufregung! Ein Skandal war das! Überall im Dorf hatte sie verbreitet, dass ihr Hund durch eine giftige Wurst aus ihrer Metzgerei Bräunlein ums Leben gekommen sei. Absicht hatte sie unterstellt und dem Geschäft dadurch einen immensen Schaden zugefügt. Kunden, in erster Linie Kundinnen mit einer Vorliebe für Hunde und dazu gehörten ganz sicher die so genannten Hundsweiber von Rödnbach, hatten von nun an das Geschäft des potentiellen Giftmörders boykottiert. Später, als der Ehemann selbiger Hanne auch noch erstochen aufgefunden wurde, war nicht nur dem Kommissar Schindler sofort sonnenklar, wer ausschließlich als Täter in Frage kam. Der Metzgermeister hatte wohl die Schande nicht ertragen und blutig zurückgeschlagen. Diese Schlussfolgerung schien vielen einleuchtend zu sein. Das kleine Dorf, normalerweise ein Musterbeispiel für den friedlichen Zusammenhalt einer Gemeinde, war seinerzeit urplötzlich in zwei Hälften gespalten, eine die es mit den Bräunleins und eine die es mit den Schmitts hielt, zwei Gruppierungen, die sich kampfbereit, sprichwörtlich mit gezogenen Schwertern und heruntergeklapptem Visier, gegenüberstanden.

      Angefangen hatte es damals wie heute mit Plakaten, die diese bösartige Intrigantin überall im Ort aufgehängt hatte und in denen sie Simon Bräunlein, Peters Freund und Kartelbruder, des Mordes beschuldigte. Sogar den Sonntagsgottesdienst hatte sie in gotteslästerlicher Weise für ihren verleumderischen Feldzug missbraucht. Letztlich war auch an der Ladentüre der Bräunleinschen Metzgerei eines dieser infamen Pamphlete aufgetaucht, genau wie heute. Sollte das Ganze nun wieder von vorne anfangen? Und das alles obwohl Peter damals die wahren Hintergründe aufdecken konnte. Er hatte im Laufe seiner Ermittlungen herausgefunden, dass der Ehemann der Schmittn der eigentliche Übeltäter war. Ein Fall, in dem es letztendlich gar nicht um eine vergiftete Wurst, sondern um einen über Jahre hinweg ausgeübten Amtsmissbrauch seitens des korrupten Lebensmittelkontrolleurs Schmitt ging, inklusive Erpressung und schließlich sogar Mord.

      Als Peter sich der Metzgerei näherte, konnte er das Malheur bereits von weitem erkennen. Er konnte die Gisela gut verstehen, auch wenn man nachträglich natürlich sagen muss, dass sie sich die Aufregung leicht hätte ersparen können. Sie hätte eben das Plakat nur genauer angesehen und nicht nur die mit grellroter Farbe nachträglich aufgetragene Schrift lesen müssen. Das stand zwar tatsächlich „Tierquälerei ist Mord auf Raten“. Aber die Anschuldigung war auf ein Werbeplakat des Zirkus Bellini aufgemalt und hatte überhaupt nichts mit der alten Geschichte zu tun. Jemand hatte offensichtlich etwas gegen die Zirkusleute und im Besonderen gegen die Tatsache, dass auch Tierdressuren ein Teil des Programms waren.

      Auf Peters Läuten kam Gisela sofort an die Tür. Sie schnaufte noch immer äußerst hektisch. Ihr bedrohlich rot angelaufener Kopf vermittelte auf drastische Weise den Eindruck, ein qualvoller Erstickungstod wäre nur noch eine Frage der Zeit. Von Sekunden vermutlich.

      „Und?“ Ein erneuter, heftiger Schnaufer folgte. „Woss sachsd?“

      „Servus Gisela erschd amaal. Reech di no glei widder ab. Dess Machwerk gehd dich garnix an. Dess hodd übberhaubds nix mid euerer Worschd zum dou, dess richded sich ausschließlich geecher den Zirkus, der wo auf der Fesdwiesn sei Lager aufgschlagn hodd. Dou,“ - er zeigte mit dem Finger auf das Plakat- „dou schau her! Dess iss doch eindeudich a Zirkusblakaad odder nedd? Dou hodd jemand draufgschmierd, waller woss geecher die wildn Diere im Zirkus hodd.“

      Und als Gisela immer noch nicht recht zu begreifen schien, fügte er noch eine Erklärung hinzu.

      „Dess härd mer etz fei immer öfder. Keine Diernummern mehr, Dressur iss Folder und so. Wassd ers doch selber. Sugoor im Nämbercher Diergardn drauer ser si nedd amaal mehr an Elefandn haldn, von derer Delfinlagune gornedd lang zu redn. Obwohl, dee hädds meiner Meinung aa nedd unbedingd brauchd. Seiddem iss dess in meine Augn scho aweng mehrer a Zirkus als wäi a Diergardn. Abber woss solls. Dess iss etz worschd. Dess Blakaad hodd jednfalls nix mid der Schmiddn Hanne zum dou, dess warn wahrscheinli irgndwelche millidandn Zirkusgegner.“

      Ob Gisela bereits gänzlich überzeugt war, das konnte man nicht mit Sicherheit sagen, sie atmete aber schon bedeutend ruhiger und schien langsam aber sicher wieder ganz die Alte zu werden.

      „Deswegn brauchd dess aa kanner an mei Schaufensder babbn. Mit sinn a Metzgerei und an jeden Kaschber sei Reklamedaafl“, schimpfte sie, nun schon etwas verhaltener. Sie riss das Corpus Delicti mit einem heftigen Schwung herunter, zerknüllte es und stopfte es in die Seitentasche ihrer weißen Schürze, die mit dem aufgestickten Emblem, bestehend aus dem Schriftzug „Gisela“ und dem Firmenlogo darunter: Ein Schwein, das auf den Hinterbeinen steht und ein riesiges Messer in der rechten Pfote hält und darunter „Qualität aus Meisterhand“.

      Was als hinterhältiges Attentat auf die Metzgerei Bräunlein begonnen hatte endete also völlig unspektakulär als ein Fetzen Altpapier in der blauen Tonne derselben. Für die Gisela war die Sache damit erledigt. Peter aber machte sich ernsthafte Sorgen darüber, dass erneut Unruhe und Zwist sich anschicken könnten in Röthenbach, seinem Rödnbach einzuziehen. Auch wenn es diesmal seine Freunde nicht direkt betraf. Die Sache gefiel ihm trotzdem ganz und gar nicht.

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