Günther Dümler

Mords-Zirkus


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Hilfe seiner Großeltern angewiesen.

      Er beschloss, erst einmal zu Heidis und Markus‘ Haus zu fahren. Sollte der Bastian zuhause sein, dann wäre diese Vorgehensweise sowieso das Beste, wenn nicht, dann wussten vielleicht die Nachbarn Näheres. Sicherlich waren die Sanitäter mit Blaulicht und Sirene vorgefahren. Da wäre es doch nur zu verständlich, wenn die Nachbarschaft interessiert Anteil genommen hätte.

      Noch drei Minuten Fahrzeit zeigte das Navi an. Eine Errungenschaft, die sich die Kleinleins, nach einigen Irrfahrten in der jüngeren Vergangenheit, nun doch endlich zugelegt hatten. Gleich würde er um die Ecke biegen, von der aus man das Einfamilienhaus der Kellermanns schon sehen konnte.

      Er drückte ungeduldig auf die Klingel am Gartentor, dann, nachdem er die kleine Ewigkeit von zehn Sekunden gewartet hatte, noch dreimal, aber niemand kam um ihn einzulassen. Also gut, dann Plan B. Er wandte sich gerade nach links, um bei den nächsten Nachbarn Erkundigungen einzuziehen, als ihn eine weibliche Stimme vom Haus gegenüber anrief.

      „San sie der Herr Kleinlein aus Nüanberg?“

      Eine Dame um die Fünfzig kam über den gepflasterten Gartenweg in Richtung Straße auf ihn zu.

      „D‘ Frau Kellermann hod ma scho gsagd, dass ihra Vadder boi kimmt, wegan Buam. Oba, sie hobn ja goa koa Nüanberga Nummer neda, drum hoobis a ned glei kennt, dass sie der Opa san.“

      Peter lächelte freundlich.

      „Ja, mir wohner aa nedd direggd in Nürnberch. Mer sachd ner hald bloß immer Nürnberch, wall Rödnbach, dou wo mir dadsächlich herkumma, die Leit erschd amal nedd vill sachd. Und bevor mers hundertmal erglärd. Wissns, Rödnbachs gibbds bei uns in Franggn wäi Sand am Meer. Abber nach Nürnberch hommers daadsächlich nedd weid.“

      Nachdem der Höflichkeit Genüge getan war, kam Peter endlich auf den Kern seines Anliegens zu sprechen.

      „Wissen sie vielleichd Näheres drüber, woss mid meiner Dochder bassierd iss und vor allem, woss midn Basdi iss. Ob er mid ins Granggnhaus gfahrn iss odder wo er sonsd sei könnd?“

      „Jo feili woas is des. Aber kemmern doch erschd amoi einer. Da Bua is so lang bei uns. Mir homma denkd es war besser, wanner ned mitfahrt. Helfa konna der Muatter etz sowieso neda, oiso is besser, wanner dahoam bleibt, des hoasd natürlich bei uns. An Hund hätt er jo eh ned ins Krankahaus mitnehma derfa.“

      Also der Basti war einstweilen bei den Nachbarn untergekommen. Schön, dass die Leute so bereitwillig zusammenhelfen, wenn Not am Mann ist. Peter bedankte sich auch entsprechend wort- und gestenreich bei der hilfreichen Dame und fragte schließlich, wo der Junge denn jetzt sei. Im Garten, hinter dem Haus würde er mit dem Jennerwein spielen, war die Antwort der netten Nachbarin, der Frau Stadler, wie sich im Verlauf des Gesprächs herausstellte.

      „Midn Jennerwein, aha.“

      Man sah ihm deutlich an, dass er keine Ahnung hatte, wovon die Frau Stadler sprach. Der berühmte Wildschütz Jennerwein würde es ja kaum sein. Der lag ja schon seit mehr als hundert Jahren in Schliersee, seinem Heimatort im kühlen Grabe und wartete, wie das Volkslied zu berichten weiß, auf den jüngsten Tag, an dem er uns den feigen Jäger zeigen wollte, der ihn von hint‘ so feig derschossen hat.

      „Na der Jennerwein hoid, der Hund vom Basti“.

      „Ja ner freili, der Hund. An den hobbi etz fei gar nedd glei denkd. Mer iss ja scho ganz durchanander vor lauder Aufregung. Also mier hodds an gscheidn Schreggn verseddsd, wäi die Heidi angrufn hodd“ und falls es noch einer weiteren Erklärung bedurft hatte, dass er wirklich etwas neben der Spur ging, fügte Peter völlig unnötig noch hinzu: „Die Heidi, dess is mei Dochder, die Frau Kellermann.“

       Der Basti wurde geholt und stand nun, abgekämpft und zerzaust vom wilden Spiel mit dem Hund und sichtlich noch aufgeregt von dem zuvor hautnah miterlebten Unfall seiner Mama mit hochrotem Kopf vor seinem Großvater. Das letzte Mal, als die Kleinleins ihre Kinder besucht hatten war der Bastian gerade zu einer Skifreizeit mit der Schule unterwegs und so hatten sich die beiden über ein halbes Jahr nicht mehr gesehen. Die folgende Bemerkung Peters war deshalb zwar unvermeidlich, deshalb aber nicht weniger peinlich. Er hätte es aber schon wissen müssen, denn noch nie war diese Standardfloskel bei einem der Adressaten jemals begeistert aufgenommen worden.

      „Allmächd Basdi, du bisd abber grouß worn seid ich dich äs letzde Mal geseeng hobb. Du bisd doch mindesdns an halbn Meder gewachsn.“

      Auch der Basti machte in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Am Zucken seiner Mundwinkel war deutlich abzulesen, dass ihn die Anspielung auf seine tatsächlich mittlerweile eher lange, aber extrem schlanke Gestalt nicht gerade froh stimmte. Spargeltarzan hatten sie ihn in der Schule letzthin genannt. Wenigstens machte der Opa nicht auch noch eine unpassende Bemerkung über seine dadurch noch viel auffälliger abstehenden Segelfliegerohren derentwegen er von den Kameraden oft genug gehänselt wurde. Auch der Peter hatte gemerkt, dass seine Begrüßung nicht gerade optimal ausgefallen war und beendete die kurzfristig entstandene unbeholfene Situation mit einer herzlichen Umarmung und der unleugbaren Erkenntnis:

      „Bisd hald doch a echder Gleinlein. Wenni mi rechd erinner, dann war ich in dein Alder ganz genau aso. Also, ich frei mi fei gscheid, dassd etz amal wenigsdns für a boar Wochn zu uns kummsd, aa wenn der Anlass nedd grod a angenehmer iss. Die Oma wass nu garnix, dee iss heid in der Schdadd beim Eikaufn. Dee werd villeichd Augn machen, wenn mier zwaa daher kommer.“

      „Drei“, war die trockene Antwort Bastis auf den Überfall. „Der Jennerwein is aa no do, ohne den gäh i need weg.“

      „Ach der Hund, ja ner freilich, der kummd nadürlich aa mid. Denn kämmer doch nedd ganz alaans lassn. Wassd woss Basdi, etz fahr mer erschd amal zur Mamma ins Granggnhaus und dann entscheid mer, wäis weider gehd. Woss mer alles eibaggn müssn und so weider. Villeichd derf der Jennerwein derweil noch bei der Frau Stadler bleim bis mer widderkommer und deine Sachn abholn. Ich denk ins Granggnhaus derf er kaum mid nei.“

      Die Frau Stadler lächelte freundlich und stimmte dem Vorschlag bereitwillig zu worauf Peter sich höflich bedankte. Auch Bastian, der mit ihr sehr vertraut schien, stattete ihr artig seinen Dank ab, dafür, dass er einstweilen bei ihr hatte bleiben dürfen und für das Eis, das er von ihr bekommen hatte. Ein sehr lieber Junge, freute sich sein Opa. Und Manieren hat der Bou, wäi a ausgwachsner Dibblomaad. Hald doch a richdicher Gleinlein.

      Der Besuch im Krankenhaus gestaltete sich etwas schwieriger als man zunächst annehmen sollte. Wohin war die Heidi denn eigentlich gebracht worden? München ist bekanntermaßen eine Millionenstadt und die Auswahl an infrage kommenden Kliniken dementsprechend groß. Die Nachbarin wusste in dieser Hinsicht auch nicht Bescheid. Dass es ein Krankenwagen der Malteser war, der sie abgeholt hatte, half hier auch nicht wirklich weiter. Bis der Basti, ein echtes Kind seiner Generation, eine Idee hatte.

      „Do ruaf mer hoid einfach amoi bei deene Sani an. Dee weans dann scho wissn, wo‘s hie gfahrn san.“

      Ja, natürlich. Er hatte absolut Recht. Als Peter schon über die Straße und auf die Gartentür der Kellermanns zueilte, da zupfte ihn sein Enkel kopfschüttelnd am Arm.

      „Opa, du hosd wohl gor koa Handy ned?“

      Wieder hatte er Recht. Warum nicht das Handy benutzen. Aber woher sollte Peter die Nummer der Malteser wissen. Er stand daher einige Zeit unschlüssig herum, bis erneut der Junge mitleidig mit dem Kopf schüttelte.

      „Du Opa, mit dem Internet, do hosd as du need aso, oder?“ Schon hatte er sein glänzendes Smartphone aus der Hosentasche gezogen und eine entsprechende Recherche angestoßen. Man muss ja nicht alles auswendig wissen. Es reicht doch wenn Google es weiß. Und so hatte Peter innerhalb kürzester Zeit eine Verbindung mit der Notrufzentrale der Malteser hergestellt. Ja, eine Frau Kellermann habe man befördert, vorläufig habe man sie in die nächstgelegene Unfallchirurgie nach Ottobrunn gebracht. Ob sie noch dort sei, wisse man natürlich nicht. Das käme ganz auf die genaue Diagnose an.

      Das reichte den Beiden, um sich unverzüglich auf den Weg machen zu können.