Günther Dümler

Mords-Zirkus


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des Krankenhauses. Die sichtlich gestresste Dame am Empfang erkundigte sich nach dem Namen, nicht ohne zu fragen „Und wer san sie. San sie verwandt mit der Frau Kellermann?“ Peter kam gar nicht dazu die Verhältnisse zu klären, da war der Basti auch schon vorgeprescht und hatte der Dame entrüstet erklärt: „Dees is mei Mamma und dees do is der Opa, oiso ned vo der Mamma, aber vo mir.“

      Das entlockte der sonst so korrekten Schwester dann doch ein freundliches Lächeln und sie sah auf ihrem Monitor sofort nach, wohin man Heidi Kellermann denn gebracht hatte.

      „Das ist jetzt gar nicht so einfach“, ließ sich daraufhin vernehmen, „die Frau Kellermann ist im Moment noch im Röntgenbereich, denn es ist nicht sicher, dass es mit dem Schlüsselbeinbruch getan ist. Es besteht schon noch ein Verdacht, dass die Schulter einen weiteren Schaden davon getragen hat. Sie werden sich deshalb noch ein Weilchen gedulden müssen, vielleicht weiß man nach der Untersuchung ja schon mehr.“

      Aus dem Weilchen wurde eine ganze Weile. Und auch diese wuchs von Minute zu Minute weiter an bis sie auch diese Bezeichnung nicht mehr verdiente. Es verging eine Stunde und noch eine halbe bis die Dame am Empfang endlich ein Zeichen machte. Die beiden Herren Kleinlein und Kellermann schnauften unisono tief aus. Endlich. Die Patientin wäre jetzt auf ein Krankenzimmer gebracht worden und man könne kurz mit ihr sprechen. Kurz, denn noch sei mit der eigentlichen Behandlung nicht begonnen worden, doch die Ärzte könnten jeden Augenblick wieder kommen. Die nette Dame konnte ihnen gerade noch die Zimmernummer geben und den Weg dorthin schildern, da waren die zwei auch schon unterwegs. Man konnte unmöglich sagen, wer von den Beiden mehr aufgeregt war.

      Bastis Mama hatte offensichtlich mit unangenehmen Schmerzen zu kämpfen. Als ihre beiden Männer eintraten huschte jedoch trotz allem ein erfreutes Lächeln über ihr Gesicht. Sie war sichtlich gerührt darüber, dass ihr Vater angesichts der Krise so schnell herbei geeilt war und noch mehr wegen der Sorge, die sich auf den zerknirschten Gesichtszügen Bastis deutlich abzeichnete. Schließlich war es sein Hund gewesen, der, wenn auch unabsichtlich, den Unfall verursacht hatte. Dennoch oder gerade deshalb fühlte der sich verpflichtet seinen vierbeinigen Freund zu verteidigen.

      „Mama, dees woit der Jennerwein ganz bestimmt ned, dass du von der Loata foist. Es war ja no bloß wega dera bleeden Katz. Wos hod nacha dee in unsern Wohnzimma zum suacha?“

      „Nix, gar nix“, pflichtete ihm sein Großvater bei, „aber etz iss erschd amal wichdich, wie‘s mid der Mama weidergehd. Woss sachdn der Doggder Heidi?“

      „Naja, dass dess Schlüsslbein brochn is, dess war ja sofort klar. Aber aufm Röntgenbild habns auch noch an leichtn Einriss am Schulterblatt festgstellt. Des dauert länger. Ganz genau wissns des erst, wenn ein CRT oder MRT oder woss woas i gemacht is. Auf jedn Fall kann der Basti ned so lang aloa dahoam bleibn. Bitte Papa, konn er dawei zu euch nach Rödnbach mitkomma. Es san ja glücklicherweis Ferien, da verpasst er ja nix. Mei, a so a Mordszirkus!“

      Natürlich konnte er. Das war ohnehin Peters Plan gewesen, schon von dem Moment an, als er von dem Unfall erfahren hatte. Was für eine gute Gelegenheit, seinen Enkel einmal besser kennen zu lernen als bei den kurzen Besuchen der Kellermanns in Röthenbach oder umgekehrt. Dass es dazu erst einer schweren Verletzung der Heidi bedurfte hatte war sehr bedauerlich und eigentlich ein Armutszeugnis. Aber so ist es halt. Gute Vorsätze gibt es immer, aber im Alltag kommt halt immer etwas dazwischen. Aber das würde ab sofort anders werden. Ganz bestimmt.

      Es gab noch eine Menge Details zu besprechen, was für den Basti eingepackt werden musste und wo es zu finden wäre. Das Spielzeug für den Hund, die zerschlissene Decke auf der er so gerne sein Schläfchen hält, Anweisung für die Futterzubereitung und so vieles mehr. Die dringend benötigten Toilettenartikel für Heidi, die in der Eile ja nichts mitnehmen konnte, sollte ihre beste Freundin vorbeibringen, was Peter auch ganz Recht war, denn es wäre ihm nicht wirklich angenehm gewesen in den Unterwäscheschüben seiner Tochter herumzuwühlen. Zudem hätte er als Mann wahrscheinlich sowieso nur das Falsche mitgebracht. Und die beiden Frauen hatten ohnehin schon telefonisch das Wichtigste besprochen. Als Peter und Basti sich schließlich verabschiedeten, da flossen reichlich Tränen, sowohl bei dem tapfer dagegen ankämpfenden Jungen, als auch bei seiner Mutter. Peter konnte sich gerade noch beherrschen, seine krächzende Stimme verriet ihn aber dennoch.

      Es wurde schon dunkel als die Beiden sich endlich auf dem Weg nach Röthenbach befanden. Der Jennerwein, der gottseidank sehr gerne Auto fährt, lag dösend auf dem Rücksitz, das heißt auf dem Teil, der nicht von Reisetaschen und Koffern belegt war. Der Basti war ebenfalls hundemüde, jedoch von dem Erlebten noch so aufgekratzt, dass er nicht einschlafen konnte und Peter musste natürlich ohnehin wachsam sein, denn es lagen noch fast zweihundert Kilometer vor ihnen.

      Die Marga hatte, als sie den unübersehbar auf dem Küchentisch liegenden Zettel gelesen hatte, sofort auf den Alarmmodus umgeschaltet und einen Rundruf bei Gisela und Maria gestartet. Zu Recht, denn immerhin wurde ihr soeben eine häusliche Katastrophe angekündigt. Auch wenn diese im entfernten Odalfing stattfand, so gehörte sie doch in die Kategorie von Ereignissen, die einen sofortigen Kriegsrat erforderten. Noch bevor sie mit Peter Kontakt aufnahm, musste jeder Aspekt der neuen Situation aus der Sicht krisenerprobter, weiblicher Spezialistinnen diskutiert und analysiert werden. Solche Angelegenheiten waren Chefsache. Wer im Bekanntenkreis hatte bereits einschlägige Erfahrung mit Stürzen von Haushaltsleitern und ähnlichen Unfällen gemacht? Was musste in einem solchen Fall als Erstes beachtet werden? Welche Versicherung wäre da überhaupt zuständig? Alles lebenswichtige Fragen, die man nicht leichtfertig in Männermanier vor sich herschieben oder gar völlig außer Acht lassen konnte.

      Als sie Peter schließlich auf seinem Handy anrief, da war er bereits an Ingolstadt vorbei und würde in etwas mehr als einer Stunde zusammen mit seinen beiden neuen Schützlingen in Röthenbach eintreffen. Die guten Ratschläge allgemeiner Natur, die die Marga versuchte anzubringen, wies er ebenso rigoros zurück wie ihre konkreten Handlungsanweisungen. Peter kam sich vor, als würde jemand gegen seinen Willen ein gewaltig großes Fass voller Allerweltsweisheiten über ihm ausschütten. Ein Schaudern durchlief ihn. Ice Bucket Challenge auf Rödnbacherisch.

      „Ja, jaaa, ja Marga. Horch etz langts widder amal. Dee Doggder in dem Granggnhaus in Münchn wissen scho woss machen. – Naa, dess glaabi nedd. – Nein, d a s g l a u b e i ch n i ch t ! - Dee wern sowoss scho nedd zum erschdn Mal machen. Beschdimmd nedd. Dess iss a schbezielle Unfallchirurgie! – Ja, Marga, ja. - Naa, nach Großhadern hommers nedd. – Etz hör hald amal auf mid deiner Baanigmache, mir iss etz worschd, woss der Gisela ihr Kusine brochn ghabd hodd. In anner Schdund binni derhamm und dann red mer weider. Also, bis dann. Ade! – Nedd etz! Ich bin im Audo, iech derferd eigndlich gornedd dellefoniern!“

      „Uff“. Er schnaufte hörbar genervt aus. „Woss ner dee Weiber immer für a Gschieß machen müssn. Mer könnt scho maaner, die Weld gäihd under!“

      Er drehte das Radio an in der Hoffnung, eine flotte Melodie würde ihn von der ganzen Aufregung etwas ablenken und für die dringend notwendige Beruhigung sorgen.

      „Das ist Waaahnsinn, warum schickst du mich in die Hölle - Hölle, Hölle, Hölle!“ tönte es aus den Lautsprechern. Wolfgang Petry war im Moment auch keine wirkliche Hilfe.

      „Dess hodds etz aa nu brauchd. Hodd si denn heid alles geecher mich verschworn“ brummte er missmutig vor sich hin und drehte den Radioknopf sofort wieder ab.

      „Host an Stress mit da Oma?“, wollte der Basti dann auch noch wissen.

      „Naa“, versuchte Peter ihn zu beruhigen, „dess iss ganz normal. Frauen denner hald immer aweng überreagiern“ und auf Bastis verständnislosen Blick hin ergänzte er beruhigend: „Dess leechd si scho widder, wemmer erschd amaal derhamm sin.“

      “De Mama is do fei grod aso. Immerzua muass ois perfekt funktioniern, sonst rastet ‘s immer glei aus. Do san hoit mir Männer scho vui cooler, gell.“

      Peter schmunzelte leise vor sich hin über so viel Selbstbewusstsein, aber auch über die simple Vorstellung des Jungen vom Leben. Aber alles musste man mit gerade einmal Zwölf ja auch noch nicht wissen. Da würde