Günther Dümler

Mords-Zirkus


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Mission im nahen Nürnberg unterwegs. Für Marga als Vollzeithausfrau stellte so ein Ausflug keinerlei Problem dar, sie konnte sich ihre Zeit nach Belieben einteilen. Für Gisela aber bedeutete das, dass zuhause in der Metzgerei die wichtigste Kraft ausfallen würde, jedenfalls soweit es den Verkauf und die Organisation des Betriebes betrifft. Der Simon ist mit Sicherheit der beste Metzgermeister im ganzen Landkreis, vielleicht sogar weit darüber hinaus, doch ihn auf die geschätzten Kunden loszulassen, das ist schon ein heikles Unterfangen, das die Gisela deshalb auch tunlichst vermied, wann immer es möglich war. Handwerklich verdiente Simon zweifellos die Note Eins mit Stern, mundwerklich dagegen rangierte er eher bei mangelhaft bis ungenügend. Es ist nicht etwa so, dass er bewusst unfreundlich gewesen wäre. Oh nein, das ist nicht das Problem. Freundlich ist er schon, halt auf seine eigene Art und Weise, eher tief im Inneren und nach außen hin nicht gleich sichtbar. Für Giselas geniale Art von Verkaufsgesprächen, bei denen sie gerne einmal die eine oder andere Neuigkeit einfließen ließ, so brühwarm wie die Wienerle und die etwas würzigeren Regensburger aus der Bräunleinschen Wursttheke, dafür hatte der Simon so gar kein rechtes Talent. Wenn er nur nicht wieder eine der sensiblen, aber kaufkräftigen Kundinnen vergraulen würde, so hoffte die Gisela inständig. Er erklärte halt gar zu gern den gemäß seiner Empfindung krachdürren, schwindsüchtigen Kundinnen und dazu zählten in seinen Augen alle, die ohne ein ausreichendes Maß an gesundem Übergewicht durch das Leben vegetierten, was eine ordentliche Portion ist. Man konnte nur hoffen, dass er sich wenigstens heute mit seinen zwar gut gemeinten, aber völlig unangebrachten Ratschlägen zurückhalten würde. Gisela hatte leider keine andere Wahl. Der Einkaufsbummel in die Großstadt war dringend nötig und alternativlos, wie die Bundeskanzlerin es so gerne formuliert, wenn sie keinen Widerspruch zulassen will. Im Falle der Bräunleinschen Regierungschefin traf diese drastische Einstufung allerdings tatsächlich zu.

      Wie lange hatte die gute Maria jetzt eigentlich schon darauf hingearbeitet? Manche glauben, der Plan stand schon von der Minute an fest, da sie sich, damals in Kairo, in den Bus zu Lothar gesetzt hatte. Andere, naivere Beobachter, glaubten an eine Entwicklung in der jüngeren Vergangenheit. Wie auch immer! Nun endlich würde in weniger als zwei Wochen die von den Freunden schon lange als überfällig betrachtete Hochzeit von Maria Cäcilia Leimer, Inhaberin des örtlichen Kosmetikstudios, mit ihrem Lothar stattfinden, seines Zeichens Besitzer des alteingesessenen Friseursalons Schwarm. Genau genommen handelte es sich dabei längst um ein und denselben Verschönerungstempel, denn nachdem sich die beiden auf der erwähnten abenteuerlichen Ägyptenreise kennen und lieben gelernt hatten, war die ungebundene Maria kurzerhand aus Schöikiach in der Oberpfalz zu ihrem Lothar nach Röthenbach gezogen und beide hatten in der Folge ihre geschäftlichen Aktivitäten, die sich allein schon fachlich so gut ergänzten, aus praktischen Gründen zusammengelegt.

      Der heutige Einkaufsbummel der beiden Damen galt natürlich der Vorbereitung auf dieses mit Spannung erwartete Großereignisses. Ein passendes Geschenk musste ausgesucht werden. Eine Aufgabe, für deren Bewältigung man weder die jeweiligen Ehemänner noch deren unqualifizierte Ratschläge benötigte. Und dann musste man sich auch nach der richtigen, dem Anlass angemessen modischen und vor allem repräsentativen Garderobe umsehen. Vor allem hinsichtlich der finanziellen Aspekte, die es hierbei zu beachten galt, wären die vorwiegend knausrigen Herren der Schöpfung allerdings sogar eindeutig im Wege gewesen, denn Gisela ist schließlich nicht umsonst eine gelernte Fleischereifachverkäuferin durch und durch, so dass in allen Lebenslagen ihr ungeschriebenes, aber ebenso unumstößliches Credo lautet: „Derfs a bissler mehr sei?“ Nein, nein, die Männer sollten nur zuhause bleiben. Deren Auftritt würde schon noch bald genug kommen. Ein anderes Mal. Die würden doch nicht tatsächlich glauben, dass sie mit ihren in die Jahre gekommenen kombinierten Hochzeits- und Beerdigungsanzügen durchkommen würden. Nicht bei dem wichtigsten gesellschaftlichen Ereignis der letzten zehn Jahre in Röthenbach. Ganz sicher nicht!

      Doch zurück in die Gegenwart zu dem Anruf, der Peters Ruhe so jäh unterbrochen hatte. Nachdem er sich gemeldet hatte, hörte er am anderen Ende der Leitung zunächst nichts weiter als ein aufgeregtes und unverständliches Stimmengewirr.

      „Wer iss nern dord bidde? Hallo! Hallo!“

       Auf sein spürbar ungeduldiges Nachhaken hin meldete sich endlich eine aufgeregte Stimme, die er natürlich sofort erkannte, allein durch ihren Klang, auch ohne dass sich die Anruferin explizit mit ihrem Namen gemeldet hätte und trotz der am anderen Leitungsende herrschenden Verwirrung. Trotzdem fragte er reflexartig:

      „Heidi, bissd ers du? Woss iss denn bei euch los? Und woss iss nern dess für a Gwerch im Hindergrund?“

      In diesem Moment gab es einen dumpfen Knall. Anscheinend war der Hörer zu Boden gefallen. Nach einem aufgeregten, aber wegen fehlender Nähe zur Sprechmuschel nahezu unverständlich klingenden Ruf „Dess hod etz grod no gfehlt“ oder so ähnlich, da meldete sich eine weitere, diesmal deutlich jüngere Stimme.

      „Opa, bissd as du? De Mamma is von der Loata obi gfoin und hod si sauber wos broocha.“

      Es folgte anscheinend ein kurzes aber heftiges Handgemenge um die Vorherrschaft über das Telefon, das sich durch ein gelegentliches Stöhnen und dem erfolglosen Bemühen ein heftiges Schimpfen zu unterdrücken manifestierte. Letztlich meldete sich wieder Heidi, die Tochter der Kleinleins. Wie es schien hatte sie kurzfristig die Oberhoheit über die Kommunikationseinrichtungen im Hause Kellermann zurück erobert.

      „Ja, Babba, dess stimmt schoo.“

      Wieder dieses seltsame Gemisch aus Bayerisch und vereinzelten fränkischen Resten.

      „Der Hund hat die Leiter umgschmissn und ich bin auf den Bodn gfalln und jetzt muass i ins Kranknhaus. Ich konn ned lang redn. Die woin losfahrn. Horch Babba, könnt ihr euch so lang um den Basti kümmern, der Markus is in Indien auf Gschäftsreise und ich hob sonst koan.“

      „Na horch amal Kind, dess iss doch ka Fraach nedd, mier kummer sofford. Dou brauchsd der kanne Sorng machen. Glei setz mer uns ins Audo und fohrn los. In zwaa Schdund simmer dou.“

      „Und reech di nedd auf, Madler“, rief er noch hinterher, aber sie hatte bereits aufgelegt.

      Das mit dem “wir kommen“ war natürlich eine völlig falsche Formulierung, eine leere Versprechung, nur der Routine geschuldet, auch wenn es ihm im diesem Moment gar nicht bewusst war, denn niemand konnte vorausahnen wann die Marga von ihrem Einkaufsbummel wieder zurück sein würde. Gottseidank hatten die Damen das Auto nicht mitgenommen. Heute hatten sie, auch weil sie aufgrund der zu erwartenden Menge an Päckchen und Tüten natürlich nicht mit der S-Bahn fahren konnten, den geräumigen Mercedes der Bräunleins vorgezogen. Peter kritzelte noch rasch einen entsprechenden Hinweis auf einen Zettel und deponierte diesen auf dem Küchentisch, wo ihn die Marga sicher nicht übersehen konnte. Dann schnappte er sich im Flur den Autoschlüssel und trabte eilig zur Garage, nicht ohne zuvor noch schnell sein Handy einzustecken.

      Er neigte zwar dazu es immer wieder zuhause zu vergessen, obwohl er seiner Marga, die überzeugt war, dass das meist sogar absichtlich geschah, schon zum x-ten Mal geschworen hatte, es stets mitzunehmen, wenn er das Haus verließ. Erst Recht nach seinem überraschenden Infarkt im vergangenen Jahr. Dieses Mal konnte er sich einen solchen Fauxpas einfach nicht erlauben. Angesichts der auf dem Esstisch hinterlassenen alarmierenden Nachricht würde sie sich sowieso fürchterlich aufregen und ohne die Möglichkeit ihn zu erreichen würde die Lage schnell eskalieren. Das durfte er ihr natürlich nicht zumuten. Wenige Zeit später bog er bereits auf die Münchner Autobahn ein. Nicht nur sein nervös auf dem Gaspedal wippender Fuß gab deutliche Hinweise auf eine extreme Unruhe. In gut zwei Stunden würde er hoffentlich mehr wissen.

      Je näher er seinem Ziel kam, umso mehr Sorgen machte er sich. Die Heidi hatte zwar gesagt, dass sie ins Krankenhaus muss. Aber in welches? Das hatte er in der Aufregung glatt vergessen zu fragen. Und was war mit dem Buben? War der mit dabei oder hatte sie ihn allein zuhause gelassen? Wenn er mitgefahren sein sollte, wie sollte er anschließend wieder heim kommen, wenn wie zu befürchten war, seine Mutter doch einige Zeit in der Klinik bleiben musste? Der Junge war immerhin erst zwölf Jahre alt. Fast hätte Peter einen Motorradfahrer über den Haufen gefahren, so sehr lenkten ihn seine Überlegungen vom Straßenverkehr ab. Der Mann hatte gerade noch eine Vollbremsung hingelegt und winkte noch immer drohend mit dem