Günther Dümler

Mords-Zirkus


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vor dem einen oder anderen Besucher zur Schau stellte, seine Eifersucht anfeuerte. Wie eine Hure im Rotlichtmilieu, um Kundschaft buhlend. Man sprach im Zirkus beinahe schon offen darüber, dass sie im Laufe der letzten Zeit tatsächlich den einen oder anderen Besucher mit in ihren Wohnwagen genommen hatte. Um die Erfüllung von Autogrammwünschen ging es dabei sicher nicht. Die nach außen dringenden Geräusche waren eindeutig und unverkennbar. Dazu lebten die Zirkusleute einfach zu dicht aufeinander, als dass dieses Gebaren lange unbemerkt bleiben konnte.

      Annunzio Bellini seufzte resignierend. Die Dinge schienen ihm langsam aber sicher über den Kopf zu wachsen. Da waren auch noch die militanten Tierschützer, die gegen jegliche Art der Dressur protestierten. Nicht einmal vor der harmlosen Pudelnummer von Signorina Renata machten sie Halt. Dabei liebten die Tiere es offensichtlich, sich vor dem applaudierenden Publikum zu präsentieren, ihre Kunststücke zu zeigen. Was war schon dabei, wenn die herausgeputzten Pudel durch Reifen sprangen, keinesfalls brennende Reifen, wie man angesichts der Heftigkeit der Proteste hätte vermuten können, sondern lediglich glänzende Metallringe, die die Chefin der Truppe den Tieren hinhielt, damit sie ihr Können zeigen konnten. Signorina Renata, die eigentlich eine Signora war, war nicht nur die Chefin der Hundenummer, sondern leitete zusammen mit Annunzio, ihrem Ehemann, auch die Geschicke des Zirkus.

      Es hatte vor wenigen Wochen damit begonnen, dass urplötzlich Besucher der Abendvorstellung von ihren Sitzen aufgesprungen waren und Pappschilder mit der Aufschrift „Stoppt die Tierquälerei“ und „Dressur ist Folter“ hochgehalten hatten. Eines Tages fanden sich diese Anschuldigungen auch auf den Plakaten des Zirkus Bellini, in grellen Farben aufgepinselt. Seither hatten sich diese Angriffe auf die Integrität des kleinen Unternehmens an jedem Ort wiederholt, an dem sie ihre Zelte aufgeschlagen hatten. Nur noch eine Station, nur noch Röthenbach, dachte Annunzio, danach würde der Spuk hoffentlich ein Ende finden, denn dann würden sie die nähere Umgebung für längere Zeit verlassen und weiter nach Norden ziehen in ein anderes Bundesland. Dort hoffte er vor den Anfeindungen einigermaßen sicher zu sein.

      Peter hat schon bei der Heirat seiner Heidi mit einem Preußen befürchtet und das sind Menschen, die aus Oer-Erkenschwick stammen nun mal, dass ein zukünftiger Enkel einmal nur ein halber Franke sein würde, halb Preiß, halb Frangge. Aber wo die Liebe hinfällt, da fällt sie hin. Da kann man nichts machen. Sie lässt sich da keine Vorschriften machen. Die Heidi nicht und die Liebe schon gleich gar nicht. Die Heidi war mit ihrem Markus so augenscheinlich glücklich, dass es die Eltern schließlich auch waren. Der Markus stellte sich in der Folge sogar als perfekter Ehemann und sehr angenehmer Schwiegersohn heraus. Bassd scho. Trotzdem nagte die Unterbrechung der Jahrhunderte währenden Linie rein fränkischer Ahnen schon ein bisschen an Peters Stolz. Und nun stellte sich sogar heraus, dass so gut wie gar nichts von dem fränkischen Erbe übrig geblieben war. Der Basti war in der Tat halb Preiß, halb Oberbayer. Na, wenigstens in den paar Wochen, die sie zusammen verbringen würden, würde er seiner Pflicht zur Erhaltung des fränkischen Kulturerbes nachkommen und dem letzten Spross einer jahrhundertelangen Ahnenreihe reinrassiger Kleinleins schon das eine oder andere von seinen glorreichen Wurzeln vermitteln.

      Sie hatten nach den ganzen Aufregungen des Vortags alle nicht ganz so gut geschlafen wie sonst und saßen daher schon sehr früh am reichlich gedeckten Frühstückstisch. Die Marga hatte alles aufgefahren, was Kühlschrank und Keller zu bieten hatten. Selbst gemachte Marmelade eingeschlossen. Sogar der Jennerwein hatte eine Sonderportion Leckerli bekommen. Er soll doch auch nicht leben wie ein Hu…. . Naja, er soll halt auch spüren, dass er in Röthenbach willkommen ist. Und das waren die zwei Neuankömmlinge tatsächlich. Doch was sollte man mit einem zwölf Jahre jungen Burschen anstellen, wenn man sich selbst zwar nicht gerade zum alten Eisen zählte, aber doch kaum mehr Kontakt mit der Jugend hatte. Normalerweise. Und was hatte Röthenbach schon für einen Buben aus der Großstadt zu bieten? Radfahren könnten die zwei, solange die Marga ihre tägliche Hausarbeit erledigte. Ein Fahrrad, das für einen Zwölfjährigen geeignet wäre, ließe sich bestimmt irgendwo finden. Peter könnte ja eines der alten Räder, die noch von ihren Kindern im Schuppen lagerten – man wirft nichts Gutes weg, wer weiß wofür man es nochmal brauchen kann – in Gang setzen. Oder sie könnten alle zusammen nach Nürnberg in den Tiergarten fahren. Aber nicht heute. Das Kind muss sich erst einmal von seinem Schreck erholen, entschied Marga. Man musste die Sache langsam angehen. Da hatte sie eine Idee:

      „Horch Beder, du konnst doch dem Basdi erschd amaal unser Rödnbach zeign, dasser si glei aweng auskennd und wass, wo er dou überhaubd iss. Und ich ziech derwall des Bedd widder ab und such a andere Beddwäsch raus. Dem Basdi solls doch a gfalln bei uns.“

      Ein Gedanke, auf den Peter nie gekommen wäre. Auf den mit der Bettwäsche. Aber auch der Junge winkte lässig ab.

      „Konnst scho lassn, Oma, brauchsd da koa Oabat macha. Bei der Nacht hobi ja eh die Augn zua.“

      Der Bursche schien ja tatsächlich ein waschechter Kleinlein zu sein. Immer praktisch. Peter und Basti marschierten los, der Jennerwein immer ein paar Schritte voraus. Ab und zu schaute der sich um, ob nicht bald einer seiner Begleiter ein Stöckchen werfen würde und wohl auch weil er sich nicht auskannte. Peter zeigte seinem Enkel das ganze Dorf, den Sportplatz, die Kirche, wo er und die Marga immer sonntags hingingen, den Friedhof, wo seine Vorfahren ruhten, das Rathaus oder besser gesagt das Gebäude in dem die Ortsverwaltung ihre zwei Amtszimmer hatte. Und den steinernen Gedenkstein in der Form eines mittelalterlichen Sühnekreuzes, dessen Einweihung anlässlich der Neunhundertjahrfeier der Dorfgründung – über deren Sinn gingen die Ansichten der Alteingesessenen immer noch weit auseinander - für so viel Aufregung gesorgt hatte. Der Opa erzählte dem Basti von dem großen Ereignis, dem Mittelaltermarkt und dem Ansinnen des Bürgermeisters den Kleinleinschen Garten umgraben zu lassen um den Originalstein aus dem Jahr 1114 zu finden, was Peter seinerzeit jedoch energisch abgeschmettert hatte. Seine Rosen waren ihm heilig. Von den Morden im Umfeld des Ereignisses sagte er vorsichtshalber nichts. Er wollte den Buben doch nicht verschrecken.

      Peter hatte schon seit jeher Talent dafür, seine Mitmenschen zu parodieren. Besonders dafür geeignet waren natürlich diejenigen, die sich durch die eine oder andere Macke von der Allgemeinheit abhoben. Und dazu gehörte ganz gewiss der Bürgermeister Holzapfel, der bei seinen großspurigen Reden immer wie einst Franz-Josef Strauß auf den Zehenspitzen zu wippen pflegte. Eben ahmte ihn Peter nahezu perfekt nach und er war gerade unter heftigem Rollen der Rs bis zu einem wiederholten „Meine lieben Bürrrgerinnen und Bürrrger von Rrröthenbach“ gekommen, als ihn der Basti unterbrach.

      „Und wia war des nacha mit dem Mord in dem Bierzelt, Opa? De Mama hod zwar ned ois erzählt, oba dass du dee Verbrecher auffliagn hosd lassn, des hobi scho mitgriagt. Zeigst mer amoi, wo des war?“

      Peter dachte kurz nach. „Na ja, warum nedd“, sagte er schließlich, „dess iss etz aa scho worschd und dess iss ja etz scho widder a boar Jahr her. Inzwischn iss ja aa widder im wahrsten Sinn des Wordes a Gras übber di Sach gwachsen.“

      Als sie sich der besagten Wiese näherten, staunten die zwei nicht schlecht. Da stand eine ganze Reihe bunter, farbenfroher Fahrzeuge, wie lose hingeworfene Legobausteine auf der grünen Wiese verteilt. Was hatte das zu bedeuten, gab es wieder ein Volksfest? Bei näherem Hinsehen erkannten die beiden Neuankömmlinge ihren Irrtum. Mit großen, schwungvollen Buchstaben war auf zweien der grell angemalten Wohnwagen die Aufschrift Zirkus Bellini angebracht. Zirkus! Was für ein geschäftiges Treiben. Man hörte schon von weitem ein Rufen und Hämmern, Metall auf Metall. Muskulöse Männer schleppten lange Stangen, brachten Zeltplanen und Absperrgitter herbei. Eine schlanke, durchtrainierte Frau kletterte einen Mast hoch, um ein Seil zu befestigen. Der Zeltaufbau war in vollem Gange. Jetzt fiel es Peter auch wieder ein. Hing nicht bereits gestern Vormittag, als er die Frühstücksbrötchen holte, ein entsprechendes Plakat an der Tür zur Bäckerei Hufnagel? Er hatte es nicht weiter beachtet, denn seine Gedanken waren zu diesem Zeitpunkt vollauf mit Margas bevorstehendem Ausflug in die Stadt ausgelastet, der bevorstehenden Hochzeit von Maria und Lothar, sowie dem riesigen Loch in der Haushaltskasse, das die Einkaufstour seiner besseren Hälfte voraussichtlich reißen würde.

      Sie näherten sich dem geschäftigen Treiben, um besser sehen zu können, als einer der Arbeitenden sie