Gabriele Beyerlein

Die Göttin im Stein


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sie Cythia. Vor dem Gebüsch lag die Schwester, nackt und merkwürdig zusammengekrümmt, warum war die Schwester so weiß, nur um den Hals, da war die Schwester rot, warum zitterte die Schwester, es war doch heiß, ihr Gesicht blutig, Nasenbluten, die Schwester hatte nie Nasenbluten, sie selbst schon oft, aber nicht Cythia, und die Haare: offen und zerwühlt, keine Zöpfe mehr, sie hatte ihr so schöne Zöpfe geflochten –

      Der Vater zügelte den Hengst unmittelbar vor der am Boden liegenden Cythia, Cythia blickte nicht auf, schlug die Hand vors Gesicht, kroch auf das Gebüsch zu, rote Flecken auf der blassen Haut, der Hengst stieg auf die Hinterhand, hart fasste der Vater zu. Und der Vater wendete den Hengst, preschte weiter.

      Cythia, wollte sie schreien, was ist mit Cythia, lass mich zu Cythia, helfen, ich muss ihr helfen. Kein Ton. Der Vater ritt. Weg von Cythia.

      Dort auf dem Weg – Rot.

      Ein Schrei. War sie es, die da schrie?

      Rot fuhr herum. Ein Krieger.

      Der Vater ließ sie los, fast wäre sie gestürzt, sie klammerte sich an die Mähne des Pferdes. Es blieb einige Schritte von dem Krieger entfernt stehen. Der Vater hatte den Bogen gehoben, den Pfeil auf der Sehne.

      »Eine Bewegung, und du bist tot!« Kalt zerschnitt die Stimme des Vaters die Luft.

      Der Krieger erstarrte. »Rösos!«, sagte er. »Ihr!«

      »Ja, ich. Und du, Wolfskrieger, hast meine Tochter geschändet!«

       »Eure Tochter geschändet? Ich verstehe nicht …«

      Ein kurzer Ruck, der Bogen spannte sich. »Willst du behaupten, du wärst es nicht gewesen, der Mädchenschänder eben, hier unter der Linde?«

      Der Krieger erbleichte, stieß hervor: »Aber, es war doch, ich dachte, es war nur ein Bauernmädchen … Eure Tochter? O ihr Himmlischen, wenn ich geahnt hätte! Rösos, bei der alles erspähenden Sonne, beim alles verzehrenden Feuer, bei des Himmelsvaters alles vernichtendem Donnerkeil, ich schwöre Euch: Ich glaubte, dass es ein Bauernmädchen war! Nie und nimmer hätte ich mich an Eurer Tochter vergriffen!«

      Der Vater ließ den Bogen sinken. »Ich glaube dir. Aber das ändert nichts daran, dass meine Tochter geschändet ist!«

      Der Krieger riss seinen Mantel auf, bot dem Vater die Brust. »Tötet mich, so habt Ihr Genugtuung!«

       Cythia, was ist mit Cythia, ist mit Cythia, helfen, ich muss ihr doch helfen …

      Wie ein Rad ging es in ihren Gedanken herum. Und dennoch hörte sie jedes Wort dieser Unterhaltung, hörte es und sollte es in den Tiefen ihrer Erinnerung vergraben:

      »Genugtuung durch deinen Tod?«, fragte der Vater voller Verachtung. »Und was ist mit meinem Verlust? Wertlos wie weggeschüttetes Wasser hast du meine Tochter gemacht, und sie war doch einmal ein kostbarer Besitz! Eine Herde hätte ich als Brautpreis für sie bekommen! Ich will keine Rache, ich will Ersatz. Du wirst mir Recht widerfahren lassen, Wolfskrieger, das wird meine Genugtuung sein. Wie ist dein Name?«

      »Ich bin Hairox, Sohn des Plicovit, und ich stehe zu Eurer Verfügung.«

      »Nun denn! Da du meine Tochter geschändet hast, wirst du sie heiraten! So verlangt es der Brauch. Und du wirst mir zur Sühne den doppelten Brautpreis zahlen. Ich fordere achtzig Schafe, zwölf Kühe, vier Ochsen, drei Stuten und zwei Hengstfohlen. Und wenn du meine Forderungen nicht erfüllst, so ziehe ich dich vor den Rat der Weisen und vernichte dich und deinen Vater und deine ganze Sippe!« Damit wendete der Vater das Pferd.

      Endlich ritt er zu Cythia. Cythia kauerte am Boden, hatte sich notdürftig mit ihrem zerfetzten Kleid bedeckt, hielt es mit gekreuzten Händen an der Brust zu. Der Vater sprang vom Pferd, riss Moria mit sich. Cythia wich vor ihm zurück. Der Vater nahm sich den Umhang von der Schulter und hielt ihn Moria hin: »Da! Leg deiner Schwester das um! Ich will ihre Schande nicht sehen!«

      Moria zog sich die Decke über den Kopf, krümmte sich zusammen. Wenn sie so weit war, konnte sie auch der anderen Erinnerung nicht mehr entfliehen, sie wusste es. Verzweifelt versuchte sie dennoch, sich dagegen zu wehren und das Bild des Lykos vor ihren Augen zu beschwören. Zu spät.

      Die Stimmen der Eltern im Nebenraum. Der Vater, erregt: »Dieser Wolfskrieger, dieser Hairox, er hat sich gerechtfertigt, er habe Cythia für ein Bauernmädchen gehalten. Warum?! Wie konnte so etwas geschehen?!«

      Die Mutter, schluchzend: »Sie hatte ein altes Kleid an. Und sie hatte sich Zöpfe geflochten …«

      Der Vater, brüllend: »Zöpfe? Und du hast das gewusst? Du hast das zugelassen?!«

      Die Mutter, noch heftiger schluchzend: »Ich hab‘ es ihr noch verboten, das gehört sich nicht, habe ich gesagt, mach sofort die Zöpfe wieder auf, wenn dein Vater das sieht, hab‘ ich gesagt, aber sie ist einfach in den Wald gelaufen …«

      Der Vater, kalt: »Dann ist es ihre eigene Schuld! Diese verfluchte Widerspenstigkeit! Und meine eigene Mutter hat ihr früher auch noch den Rücken gegen mich gestärkt! Was habe ich an Strenge gegenüber Cythia walten lassen, aber sie musste sich ja immer wieder auflehnen! Das hat sie nun davon. Zöpfe flechten!«

      Die Zöpfe! An allem sind die Zöpfe schuld.

      Ich war es. Ich, ich, ich. Ich habe ihr die Zöpfe geflochten. Ich bin schuld.

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