Gabriele Beyerlein

Die Göttin im Stein


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Besen wie einen Stab in die Hand und setzte sich auf die Bank – eben die Bank, auf der nur der Vater, Krugor oder ehrenwerte Gäste sitzen durften. »Und ihr tätet die Bauern sein!«

      Die kleinen Halbschwestern murrten etwas, gaben sich dann aber mit ihrer Rolle zufrieden und schleppten schwer an unsichtbaren Körben. Beide verbeugten sich tief. »Ich bringe Euch Gerste, Herr«, sagte die Größere. »Ich bringe auch Gerste«, ahmte die Kleinere nach.

      Amrox warf sich in die Brust und stieß mit dem Besen auf den festgestampften Boden. »So wenig?«, fragte er streng.

      »Wir haben nicht mehr, die Ernte war schlecht«, sagte die Größere und verbeugte sich wieder.

      »Die Ernte war schlecht«, wiederholte die zweite.

      Amrox fuhr mit spitzem Zeigefinger auf sie zu. »Und das soll ich glauben«, schrie er. »Muss ich euch bestrafen?«

      Die Größere fiel auf die Knie. Die Kleinere, vom Spiel ernsthaft erschreckt, begann zu weinen. »Nicht, Herr«, jammerte die Größere, »ich bringe Euch alles, was ich habe!« Sie sprang auf, schleppte noch einen unsichtbaren Korb heran.

      Amrox strahlte Zufriedenheit aus. »Na also!«

      »Amrox, was fällt dir ein! Runter von der Bank! Raus aus dem Herrenraum!« Die Mutter stand in der Tür. »Wenn ich das dem Vater sage!«

      Amrox sprang von der Bank, ließ den Besen fallen, schob die Unterlippe vor. »Das tust du nicht!«, bettelte er. Seine Unterlippe zitterte.

      Die Mutter strich ihm über den Kopf. »Wenn du es nicht noch einmal machst!« Dann trat sie neben Moria, prüfte mit den Fingern den Stoff und seufzte: »Hier hast du schon wieder einen Fehler gemacht, Moria, hast du das nicht bemerkt? Es hilft alles nichts, das musst du noch einmal auftrennen! Und pass auf, dass der Rand endlich gerade wird! Du ziehst manchmal den Faden zu fest, siehst du, hier!«

      Moria stöhnte. Die Mutter stützte das Kinn in die Hand. »Ich frage mich nur, in welcher Farbe wir die Borte wählen sollen. Vielleicht rot?«

      »Nein, nicht rot!«, entfuhr es Moria.

      Die Mutter wiegte den Kopf. »Vielleicht hast du recht. Vielleicht wäre ein zartes Lila kleidsamer, zurückhaltender. Für ein Brautkleid besser. Also lila?«

      Moria stimmte zu und begann mit dem Auftrennen. »Fehlt nur noch der Bräutigam«, meinte die Mutter.

      Moria spürte die Wärme im Gesicht. Die Mutter wusste es ja noch nicht.

      Hufschlag wurde hörbar. Die Nebenfrau stürzte herein, gefolgt von der Magd: »Die Herren! Sie kehren schon zurück!«

      Die Mutter fuhr herum, ihre Augen glitten durch den Herrenraum: »Wie sieht es hier aus! Räumt auf, rasch! Ich versuche sie etwas aufzuhalten! Macht das Feuer an und Wasser heiß! Mädchen, kämmt euch! Agala, das Bier!«

      Amrox rannte in den Hof, um die Pferde in Empfang zu nehmen, Agala eilte zur Vorratsgrube, die Mutter griff zwei hohe Becher vom Wandbord und gab letzte Anweisungen, ehe sie das Haus verließ, um gemeinsam mit Agala die Männer mit einem Trunk willkommen zu heißen.

      Die Nebenfrau nahm den Korb mit dem Baby, es wachte auf und schrie wieder, sie trug es im Korb in den dritten Raum des Hauses, zog die schwere Tür zu und schöpfte hastig Wasser in einen Kochtopf. Die Magd brachte zwischen zwei Holzstecken Glut vom Kochfeuer zur Herdstelle im Herrenraum und beeilte sich, ein Feuer zu entfachen. Moria aber räumte mit fliegenden Händen auf, zog die bunten Webdecken über den beiden Bettstellen zurecht, die Felle auf der Ehrenbank, fegte mit dem Arm die Kräuter, die zum Trocknen auf den niedrigen Tischen lagen, in ihren aufgehaltenen Rock, riss Kleidungsstücke von Haken und Stangen und warf sie in die Truhe – und wies neben allem die kleinen Halbschwestern an, Abfall und herumliegenden Kleinkram aufzusammeln und rasch die durcheinander geratenen Binsen zu richten, die den festgestampften Boden bedeckten.

      Schon hörte man Stimmen. Hastig flohen sie alle nach nebenan und brachten ihre Kleidung und Haare in Ordnung. Da kam der Vater in den Herrenraum, hinter ihm her die Mutter. Er rief nach Moria. Noch einmal fuhr sie sich durch die offenen Haare, dann lief sie hinüber und knickste vor ihm.

      Er nickte ihr zu. »Ich habe eine wichtige Nachricht für euch!« Halb sprach er zu ihr, halb zur Mutter. »Der König hat unserem Haus große Ehre erwiesen!« Er warf seinen nassen weißen Mantel auf den Boden und setzte sich auf die Bank.

      Moria hob den Mantel auf und hängte ihn über eine Stange. Die Mutter reichte dem Vater Bier. Er trank, wischte sich den Mund und streckte sich. »Schön, wieder zu Hause zu sein!«

      Moria schüttete warmes Wasser in die Schale, kniete bei dem Vater nieder und hielt ihm das Wasser zur Handwaschung. Sie merkte kaum, was sie tat. Der Vater trocknete die Hände, fasste leicht ihr Kinn. Sie kniete vor ihm, schlug nicht die Augen nieder wie sonst.

      Er lächelte ihr zu. »Der König hat für seinen besten Krieger um deine Hand angehalten! Ich habe sie ihm zugesagt.«

      »Der König!«, rief die Mutter aus. »Sein bester Krieger! O Moria, was für ein Glück! Du wirst …« Sie stockte, sagte rasch in verändertem Ton: »Welch verdienter Ruhm für dich, mein Rösos!«

      Moria presste die Hände aufs Herz. Den Namen, Vater! Sag den Namen!

      »Nun, in der Tat, es hat mich erfreut. Und der junge Mann hat alle Voraussetzungen, ein angesehener Herr zu werden. Er war der Anführer des letzten Kriegszuges und hat reiche Beute gemacht. Bei der Siegesfeier wurde von seinen Taten gesprochen und gesungen, und es war recht eindrucksvoll. Er hat Ehre, Tatkraft, Stärke und Mut, er verfügt über Weitblick, und er weiß sich Achtung und Gehorsam zu verschaffen. Mir scheint, er wird es weit bringen. Sein Name ist übrigens Lykos, Sohn des Nuerkop. Es heißt, Nuerkop wisse sich dem Tode nah. Wenn Lykos sein Erbe angetreten hat, wirst du Lykos‘ Frau, Moria! Vielleicht schon diesen Herbst!«

      »Ja, Herr«, flüsterte sie. »Ich danke Euch.« Wie im Traum stand sie auf, ging zur Tür und trat hinaus.

      »Moria, dein Vater hat dir nicht erlaubt zu gehen!«, rief die Mutter hinter ihr her. Doch der Vater sagte ruhig: »Lass sie! Ich habe Verständnis dafür, dass sie jetzt allein sein möchte!«

      Moria blieb unter dem Vordach stehen, sah in den Regen hinaus und lehnte sich an die Wand. So schwach war ihr plötzlich, ihre Knie weich und nachgiebig, ihre Hände zittrig. Sie schloss die Augen.

      Lykos. Er hatte gesiegt. Und er hatte Wort gehalten. Sie würde ihn lieben, ja, das würde sie. Sie tat es ja schon längst! Tränen rollten die Wangen hinab. Sie wischte sie ab: Warum weinte sie? Sie war doch glücklich, so glücklich.

      Was hatte der Vater gesagt? Er hat Ehre, Tatkraft, Stärke und Mut. Er weiß sich Achtung und Gehorsam zu verschaffen.

      Gut. Es würde eine Freude sein, ihm zu gehorchen. Mit ihm und ihr würde es anders sein als mit Krugor und Agala.

      Göttin der Morgenröte, jungfräuliche Tochter des mächtigen Himmelsvaters, ich danke dir. Du hast meine Gebete erhört. Du hast dich für mich verwendet. Du hast mir den Bräutigam gewährt, den ich mir erhofft habe! Hilf, dass ich ihm immer gefalle! Dass ich ihm viele Söhne schenke! Dass er mich immer liebt!

      »Moria, ich habe gehört, du wirst verheiratet!« Agalas leise Stimme neben ihr. Moria umarmte die Schwägerin.

      Sie hielten einander. »Ich wünsche dir Glück, Moria! Möge dieser Lykos ein guter Herr und freundlicher Gebieter für dich sein«, sagte Agala in Morias Haar hinein. »Und ein rücksichtsvoller Mann!«

      »O Agala!« Plötzlich weinte Moria. Agala streichelte ihr Haar, gab leise Laute des Trostes von sich.

      Sicher dachte Agala, dass sie vor Angst weinte, sie musste es ihr sagen, aber es ging nicht, die Tränen flossen einfach, und es war schön, von Agala getröstet zu werden. Endlich trocknete sie die Tränen, rückte von der Schwägerin ab, lächelte ihr zu. »Danke, Agala. Ich bin so glücklich.«

      Agala wandte ihr Gesicht ab, schwieg. Und dann sagte sie mit nüchterner Stimme: »Ein Gutes hat diese Heirat allemal: Du wirst nur