Markus Vieten

Freeland


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nein, ja, es ist nur, weil ich mich gerade sehr auf etwas konzentriert habe und jetzt ist eine Idee weg.“

      „Ach, die kommt schon wieder. Hat mein Vater auch immer gesagt: Gute Ideen sterben nie aus.“

      „Tja, das ist eben…“

      „Ich hab verstanden. Es ist gerade ungelegen. Tut mir Leid, kein Problem, Schatz. Dann will ich Dich nicht weiter aufhalten. Ich freu` mich schon auf heute Abend.“ Ihre Stimme hatte einen Unterton, der sich anhörte wie „dann führ´ ich Dir ein paar kleine Spielereien aus dem Dessousladen vor“.

      „Ja, ich mich auch. Bis nachher.“ Er konnte eigentlich gar nicht genau sagen, ob er sich freute. Er konnte auch nicht sagen, dass er sich nicht freute. Es war eben so. Er ging nach Hause und Lisa würde da sein. Sie würden essen und wie es sich anhörte, würde Lisa dann wohl mal kurz im Bad verschwinden (warum musste sie eigentlich vorher immer noch mal ins Bad?), um ihn dann zu verführen. Das waren ganz angenehme Aussichten, aber einmal mehr fragte er sich, warum er nicht das Bedürfnis hatte, ihre Stimme zu hören. Natürlich war der Anruf gerade zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt gekommen, aber es gab natürlich auch günstigere Zeitpunkte und Momente, in denen er sie gut anrufen konnte, um noch einmal ihre Stimme zu hören. Wollte er aber nicht. Einerseits bereitete ihm das etwas Sorgen, aber andererseits war das für ihn so normal wie das nächste Tiefdruckgebiet, das nach jeder Schönwetterperiode kam.

      Mit Sophie hatte er es immerhin sieben Jahre ausgehalten, und als sie dann Benni bekamen, schien er endlich angekommen zu sein. Er war so stolz gewesen, Familienvater zu sein, mit einem kleinen Sohn. Aber nach drei Jahren Alltag gab es nur noch Streitereien, die sich immer um die Arbeit im Haushalt und die Versorgung von Benni drehten. Sophie hatte verlangt, dass er etwas weniger arbeiten sollte, damit auch sie allmählich wieder in ihren Architektenberuf einsteigen konnte. Vielleicht zunächst von zu Hause aus. Sie wollte das unbedingt alles unter einen Hut bekommen.

      Aber auch wenn er die Kerle bewunderte, die sich den ganzen Tag mit Windeln, Schnuller und Bäuerchen beschäftigten, war das einfach nicht sein Ding. Das hätte er so natürlich nie sagen können. Wahrscheinlich wäre ihm sogar wegen frauenfeindlicher Äußerungen gekündigt worden – oder war das jetzt männerfeindlich? –, aber so sah er das nun einmal. Und Sophie hätte nur noch drei Jahre weitermachen müssen. Wäre Benni dann in der Schule gewesen wäre, wäre es bestimmt einfacher geworden, das alles zu organisieren, aber sie wollte partout nicht länger warten. Und so hatte sie schließlich irgendwann ihre Taschen gepackt und Benni mitgenommen. Das war jetzt über fünf Jahre her. Benni traf er theoretisch alle 14 Tage, praktisch aber einmal im Monat. Und jetzt war er Chef, zumindest einer von Dreien, und seine Ungebundenheit als Mann hatte ihm einen zweiten Frühling beschert. Er hatte ja keine Ahnung gehabt, dass es so viele Frauen gab, die offenbar ihren ersten Frühling erheblich verlängert hatten, und als er erst einmal seinen Ehering abgelegt hatte, gab es Gelegenheiten für Stelldicheins zuhauf. Er bekam rasch wieder Übung in den kleinen Spielchen mit Blicken und Gesten, die er schon lange nicht mehr gespielt hatte, und bevor er begann, sich Sorgen um sich selbst zu machen, ließ der ständige Drang nach neuen Abenteuern wieder nach und er wünschte sich eine Beziehung, doch das war jetzt zu einer völlig unerwarteten Baustelle für ihn geworden. Im Schnitt brachte er es seit dieser Zeit auf zwei Beziehungen pro Jahr. Nach ein paar Monaten war jedes Mal Schluss. Es war immer der gleiche Ablauf: heiße Flirts, tolle Nächte, die gemeinsamen Frühstücke, die alten Geschichten, die Fotoalben, die Kinos, das Schweigen.

      Dabei war es gar nicht mal er, der die Beziehungen immer beendete. Oftmals fand das im so genannten gegenseitigen Einvernehmen statt, und wenn es dazu gekommen war, dass die Frau bei ihm einzog, dauerte es etwa noch vier Monate, im Schnitt. Gebrochene Herzen gab es selten. Man stellte nur immer wieder fest, dass es nicht passte. Und die Frauen, die erst Anfang oder Mitte Dreißig waren, spürten oft sehr genau, wenn etwas für sie und ihre biologische Uhr keine Zukunft hatte. Da klappte es sogar noch besser, wenn er eine ebenfalls getrennte oder geschiedene Frau mit Kindern kennen lernte. Aber da war er dann wieder schnell beim Ausgangsproblem. Und das Ganze begann so allmählich ihm ganz gehörig auf den Senkel zu gehen, weil er aus dieser Nummer scheinbar nicht mehr herauskam, denn auch mit Lisa zeichnete sich bereits der vertraute Ablauf ab. Vielleicht würde ihm ja der kleine Trip mit Fred und Tom ein wenig Abstand zu allem verschaffen.

      Sven beendete die Suche nach dem flüchtigen Gedanken und hoffte darauf, dass er von selbst wiederkäme, wenn er ihn einmal losgelassen hatte. Jetzt lagen noch zwei Besprechungen vor ihm, bevor dann am Abend Tom und Fred zu ihm kommen würden, um die Einzelheiten der Fahrt zu besprechen. Fred hatte ihn ganz schön angefixt. Die Idee war gut! Einfach mal ganz weg, was ganz anderes machen. Und warum nicht so eine Revival-Tour. Spielte doch keine Rolle, was genau man machte. Es bot sich einfach an. Eine Rucksacktour durch den Himalaja wäre auch gegangen, war aber viel schwieriger umzusetzen. Dagegen so eine kleine Tour, das hatte schon was. Und obendrein versprach es einigen Spaß. Fred konnte zwar bierernst sein, manchmal geradezu unlocker, aber er konnte auch rasend witzig sein, und Tom war ein lieber Kerl, mit dem er einfach gerne zusammen war. Freundlich, fröhlich, lustig und man konnte mit ihm gut einen Draufmachen. Das war bei Fred nicht immer so. Er hatte keine allzu große Ausdauer, wenn es um Sauftouren und ähnliches ging. Aber die Zeit, die man mit ihm hatte, machte Spaß. Er war mehr der ehrliche Typ, sehr zuverlässig, einer der im Restaurant auch die Garnitur aß.

      Zusammen waren sie mal ein Gespann gewesen, das auch bei Frauen gut ankam. Dabei waren sie sich glücklicherweise nie in die Quere gekommen, da sie auf wundersame Weise auf unterschiedliche Typen standen. Während er selbst mehr den großen, schlanken, etwas spitzen Typ Frau mochte, hielt sich Fred mehr an die kleinen Süßen, wo ein Kilo mehr auch ein Kilo mehr Frau war. In der Schulzeit schon drehte sich Fred nach den wippenden Pferdeschwänzen und großäugigen Gesichtern um, während Sven sich auch mal in die hochgewachsene Querflötenspielerin mit der roten Löwenmähne verliebte.

      Von Tom hatte er nie soviel mitbekommen, was die Freundinnen betraf. Eigentlich hatte er immer eine Freundin gehabt, meist aus der Politszene der frühen Grünen oder auch mal bei einer K-Partei. Immer da, wo er gerade aktiv war, suchte er sich seine möglichst gleichgesinnten Partnerinnen. Und das führte auch vor Anke schon zu manchen kuriosen Geschichten, wie sie nur echte Ökopaxe zustande brachten.

      Mit Anke hatte er dann seinen Prinzipienkäfig ausbruchssicher gemacht. Sie führte einen Dritte-Welt-Laden, in dem sie seit Ende der Achtzigerjahre überteuerte Produkte von mäßiger Qualität an echte Idealisten verkaufte. Anke selbst war bei diesen Themen völlig humorfrei, und da sie kaum über andere Themen als die Zerstörung der Welt verfügte, war es mit ihr entsprechend abturnend. Sie war Toms Frau und damit hatte es sich. Und Tom hatte sich auf all das eingelassen. Der Verzicht war ihm mit einem Hang zur Sozialromantik zur zweiten Haut geworden. Seine Vorstellung vom Paradies auf Erden war das Leben eines Wirtshausbesitzers in einem kleinen südeuropäischen Dorf, der den ganzen Tag mit Gleichgesinnten Boule spielte und zwischen selbst gepresstem Cidre und einzigartigem Rotwein Lebensweisheiten absonderte, um sich dann wieder eine Zigarre anzuzünden. Die gerne rechten Lebensweisheiten solcher Herrenrunden wurden ausgeblendet.

      Sven erinnerte sich, wie sie mal spät in der Nacht bekifft um eine Feuerstelle saßen und versuchten, noch irgendwie mitzubekommen, was die eigene Zunge so anstellte. Dabei wurden auch Träumereien von einer alten Harley, großzügigen Villen und Segeltörns um die Welt enthüllt. „Macht es dir eigentlich gar nichts aus, dass dich die Welt mit ihren falschen Freuden und plumpen Versprechungen so einnimmt?“, wandte sich Tom plötzlich an Sven. „Du legst dir mit all diesen Dingen nur neue Fesseln an, anstatt dich endlich zu befreien. Du zahlst dein Haus ab, das dich an einen Ort festnagelt und dafür musst du viel arbeiten und wachsen und Leute einstellen, denen du dann wiederum verpflichtet bist, und weil du sie aber ausbeutest, machst du weitere Gewinne, von denen du dir dann ein größeres Auto leisten kannst. Ist das dein ganzer Lebensinhalt? Es gibt doch nur das eine Leben. Erforsche deinen Geist! Beschränke dich auf das Nötigste und werde frei! Wann bist du zum letzten Mal in Ehrfurcht vor der Schönheit der Natur in die Knie gegangen? Geh´ einmal mit offenen Augen durch die Straßen und zeig mir eine Sache in all den Geschäften und Supermärkten, die die ganze Mühe wirklich wert ist. Willst du deine ganze Lebenszeit damit vergeuden, vor dem Fernseher oder dem Internet zu sitzen oder sabbernd