Markus Vieten

Freeland


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ich war ja oft genug hier. Ich denke, wir kommen auch alleine gut klar.“ Fred zeigte den beiden anderen gerade auf dem Stadtplan, welchen Weg sie noch zu fahren hatten, um möglichst glatt zwischen den vielen Grachten und Brücken hindurch zu kommen.

      Sie hatten eine gutes Stück Strecke hinter sich gebracht und am späten Nachmittag Amsterdam erreicht, nachdem ihnen alle Winde der Nordsee Stunden lang die Stirn geschliffen hatten.

      Sie sprachen kaum ein Wort, sondern sogen nur die ersten Eindrücke auf. Für Sven und Tom war es der erste Besuch, aber auch Fred sah die Stadt jetzt mit anderen Augen, wo er zum ersten Mal ohne Aufsicht dort war. Sogar das Radfahren war anders als zuhause, wo er stets das Gefühl hatte, auf der Straße nur geduldet zu sein. Hier kehrten sich die Verhältnisse schon durch die schiere Masse der Radfahrer in den engen Gassen um. Und im Auto hatte man zwischen den Grachten und Brückchen schon verloren. Überall sausten die viel flinkeren und wendigeren Räder herum. So ging die größte Gefahr für Radfahrer von anderen Radfahrern aus, aber Fred, Tom und Sven waren sehr geübt und hatten trotz schwerer Beladung kaum Mühe, sich den herrschenden Regeln anzupassen.

      In einer kleinen Seitenstraße der Prinsengracht erreichten sie einigermaßen erschöpft ihr vorläufiges Ziel, ein Studentenwohnheim aus rotem Ziegel in der engen Egelantierstraat. Auf den Klingeln stand lediglich die Nummer der Etage, vier an der Zahl. Nach Namen suchte man vergebens. Nun hatte aber Lothar lediglich den Namen seines Freundes Preis gegeben, sodass Fred nichts anderes übrig blieb, als auf gut Glück irgendwo zu klingeln. Während der Türöffner summte und Fred das Haus betrat, passten Tom und Sven vor dem Haus auf die Fahrräder auf. Die Luft war sommerlich, aber am Spätnachmittag nicht mehr zu warm. Auf der nahen Gracht scheuchte ein kleines Motorboot und ein paar Möwen auf. Tom und Sven lehnten sich an die Hauswand und freuten sich, dass die Sonne zufällig noch den Weg durch eine Baulücke in ihre Gesichter fand.

      Freds erster Blick fiel auf eine Wand mit gut und gerne einhundert Briefkästen. Gleich daneben am Treppenaufgang war ein riesiges Cannabisblatt auf die Wand gemalt. Vielleicht sollten sie lieber hier bleiben, als in irgendeine Neureichenbude zu gehen. In der zweiten Etage stand ein großer, langhaariger Kerl mit freundlichem Gesicht in der Tür, der offenbar geöffnet hatte.

      „Hoi!“

      „Daag“, grüßte Fred in seinem nur spärlichen Niederländisch, „Ik zoek Kees Van Hoeve“, wobei er neben seinem starken deutschen Akzent auch „Hoeve“ wie „Höfe“ aussprach, ein verbreiteter Fehler unter Deutschen.

      Der Niederländer stutzte kurz, schien etwas ratlos und bemühte seine sprachliche Fantasie.

      „Oh, jij zoekt Kees Van Hoeve“, wobei er es jetzt richtig wie „Huwe“ sagte, „Dan moet jij een etage lager zijn.“

      „Ok, dank U!“, sagte Fred freundlich und wählte dabei die völlig unpassende „Sie“-Form.

      „Doei“, sagte der Langhaarige, den das nicht zu stören schien, und verschwand wieder.

      Fred stieg die Treppe wieder ein Stück nach unten und blickte durch eine verschlossene Glastür in den Flur. Als gerade jemand innen entlangging, klopfte Fred an der Scheibe und es wurde ihm prompt von einer hübschen Frau mit blondiertem Punker-Haarschnitt und Halsband geöffnet.

      „Ik zoek Kees Van Hoeve“, sagte Fred.“

      „Ja, kom binnen. Ga maar naar het keuken. Kees komt zo.“

      Mit dem Verstehen ging es ganz gut, und so ging er in die Richtung, die sie ihm gewiesen hatte zur Küche, wo er sich hinsetzte. Er überlegte kurz, ob er den anderen Bescheid sagen sollte, doch dürfte Tom und Sven klar sein, dass es ein paar Minuten dauern konnte. Außerdem war ihnen allen nach Verschnaufen zumute. Die Küche war denkbar karg eingerichtet, so wie sich Fred ein amsterdamer Studentenwohnheim vorgestellt hatte: großer Tisch, Küchenstühle, Herd, Spüle, Kühlschrank, ein Regalbrett mit Gewürzen, Kaffeedosen und Einweckgläsern, ein altes Radio auf einem hoch unter der Decke angebrachten Brett (wahrscheinlich hatte hier einmal eine Lautsprecherbox gestanden) und dahinter, wohl, weil noch Platz war, ein vertrockneter Efeu. Manch einem wäre es heruntergekommen vorgekommen, Fred fand es ab-so-lut cool, und bei aller Schlichtheit hing noch der Duft längst gekochter Menus in der Luft.

      Als Fred gerade überlegte, ob er sich wohl einfach etwas Wasser nehmen konnte, trat ein ebenfalls langhaariger Mann in die Küche, der deutlich älter aussah als der Student eine Etage darüber.

      „Du bist bestimmt Fred“, sagte er freundlich in recht gutem Deutsch und reichte Fred die Hand.

      „Ja, hallo Kees“, sagte Fred und war froh, das erste kleine Sprachabenteuer heil überstanden zu haben.

      „Habt ihr eine gute Reise gehabt?“

      „Ja, danke. Hat alles gut geklappt.“

      „Wo sind denn deine Freunde? Ich habe gedacht, dass du mit zwei Freunden unterwegs seid?“

      „Ja, die warten unten…“

      „Musst du mitbringen!“, sagte er beinahe empört, während er eine Flasche Wasser und zwei Gläser nahm.

      „Du siehst aus, als ob du Durst hast. Richtig?“, sagte er mit seinem schon beinahe niedlichen Akzent und goss für Fred und sich selbst ein, um sich dann zu Fred zu setzen.

      „Wir wollten gerne auch gleich wieder los und nur den Schlüssel holen“. sagte Fred, um seiner leichten Unruhe Ausdruck zu verleihen. Er wollte Tom und Sven wirklich nicht zu lange warten lassen.

      „Ihr seid wahrscheinlich müde und könnt nicht warten, die Stadt unsicher zu machen, was?“

      „Ja, so ungefähr“, sagte Fred jetzt etwas verlegen.

      „Wie lange wollt ihr denn bleiben?“

      „Vielleicht drei oder vier Tage, und danach weiter nach Vlieland.“

      „Eine schöne Tour, was ihr da plantet. Nun, du warst ja schon ein paar mal hier, nicht wahr? So weißt du, wo du aufpassen musst, und wenn ihr Problemen hat, kannst du kommen. Wenn ihr Dope wollt…. Wollt ihr?“

      „Naja“, begann Fred zu stammeln, aber weiter kam er nicht.

      „Klar, wollt ihr. Aber du sollst nichts auf der Straße kaufen. Am besten geht ihr zu Melkweg. Da geben sie auch oft schöne Veranstaltungen.“

      „Ja, davon haben wir schon gehört, und danke für das Angebot.“

      „Gerne getan“, sagte Kees und händigte Fred den Schlüssel aus, „In Amsterdam ist Vieles schön, aber manches auch gefahrvoll. Und passt immer auf für… „zakkenroller“ sagen wir…“

      „Meinst du Geschlechtskrankheiten!? Nein, keine Bange, darum sind wir nicht hier“, sagte Fred mit einer wegwerfenden Handbewegung. Das berühmte Rotlichtviertel würde er zwar schon sehen wollen, aber nur um zu gucken…

      „Nein, ich meine… Diebe, die euch die Portemonnaies aus der Jacke nehmen.“

      „Du meinst Taschendiebe!“, rief Fred aus und musste laut lachen, „Zakkenroller“, das muss ich mir merken. Ja wir werden aufpassen. Danke für die Warnung.“

      Allmählich taute Fred auf und er hatte durchaus Lust, noch zu bleiben, aber wahrscheinlich hatte Kees auch noch genug zu tun, studieren und so. Jedenfalls schien er einverstanden, wenn das Gespräch jetzt beendet wurde und er wieder verschwand. Er brachte Fred zur Etagentür, wo sie sich noch einmal die Hand gaben und Kees sein Hilfsangebot erneuerte:

      „Ich kenne die Stadt. Es gibt hier viele Verführungen, aber man muss nicht jeder Verführung nehmen, um ein schönes Leben zu machen. Und…“ fuhr er unvermittelt fort, „die Blumen brauchen jeden, spätestens an übernächsten Tag Wasser.“ Er lächelte noch einmal und schloss dann die Tür, während Fred im gleichen Moment und in bester Laune, froh, einen so freundlichen Kontakt geknüpft zu haben, „Jawoll!“ skandierte und sich im nächsten Moment am liebsten die Zunge abgebissen hätte. Er wusste nicht, ob Kees es noch gehört hatte. „Jawoll“ hatte er gesagt, wie ein Obergefreiter! Und das ihm! Ein deutscher Jugendlicher, der