Markus Vieten

Freeland


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diesen Seifenzylinder wieder in die Öffnung steckt und alles ausgiebig verreibt, die Seife meinetwegen noch ein paar Mal benutzt, bleibt da nicht immer dieser Ring an der Seite des Seifenstücks, ganz gleich, wie viel Seife man herunterschrubbelt?“

      „Und wenn ein Bulle gut sucht und das sieht, haben sie uns.“

      „Dann ist der Urlaub vorbei.“

      „Das gibt Ärger.“

      „Vielleicht fliegen wir von der Schule.“

      „Oder Jugendstrafe! Studium ade.“

      „Führerschein auch.“

      „Dann müssen wir uns wohl von dem Gedanken verabschieden, etwas mit herüber zu nehmen“, fasste Sven die Planungen zusammen, auch wenn Tom noch nicht davon ablassen wollte.

      „Ich halte es auch für besser, wenn wir bis Amsterdam warten“, sagte Fred. Damit hatte sich ihre Dreierkonstellation zum ersten Mal bewährt. Wenn sich alle an die Spielregeln hielten, würde es keine Probleme geben. Mehrheitsentscheide waren immer möglich. Biegt man rechts oder links ab? Geht man in die Kneipe oder erst was essen? Kauft man Gras oder Dope? Rein demokratisch gesehen kein Thema.

      Fred war das alles im Grunde egal. Mit der Freiheit auf dem Fahrrad würde das kleine, flache Land zu einer einzigen Sehenswürdigkeit werden. Arnheim, sicher eine aufregende Stadt, „De Hoge Veluwe“-Nationalpark, einer der ältesten und größten Nationalparks in den Niederlanden. Wald, Heide, Moorland, mit Sicherheit traumhafte Landschaften, Utrecht, die alte Universitätsstadt, voller Studenten und cooler Typen, und dann – Amsterdam!

      Sie hatten eine ganze Wohnung für sich allein, mitten in der Stadt. Keine Jugendherberge, kein billiges Hotel, wo sich im Gang jemand das Zeug in die Venen drückt, während im Nebenzimmer laut angeschafft wurde. Nicht wie bei Christiane F. Nein, eigene vier Wände mit eigenem Schlüssel, Küche, Bad. Das war der Hit! Freds Onkel Lothar war in Amsterdam reich geworden und oft unterwegs. Und wenn jemand seine Wohnung hütete und sich in Amsterdam vergnügte, hatten alle etwas davon. Sie würden Amsterdam unsicher machen, tolle Mädels kennen lernen, viel Gras rauchen und ein paar Tage später hoch nach Freeland!

      4

      Am liebsten wäre er schreiend wieder aus dem Haus gelaufen, als Caro ihm ihr „Wie war dein Tag?” entgegenzwitscherte. Dann fühlte er sich wie der Hauptdarsteller eines Werbespots. Sie würde ihm ein unnachahmliches Fertiggericht vorsetzen und er würde zehnmal die Packung in die Kamera halten, weil er einfach nicht glauben konnte, dass dieser fantastische Geschmack einem Fertiggericht entstammte.

      Manchmal würgte es ihn regelrecht, sich bei der Erfüllung von Caros Familienfantasien zuzusehen. Doch auch wenn er sie längst nicht mehr liebte, fühlte er sich doch für Danni verantwortlich, die Caro mit in die Ehe gebracht hatte, zumindest noch ein paar Jahre, bis sie ihre eigenen Wege ging. Längst war sie zu seiner eigenen Tochter geworden.

      Danni war vernarrt in ihn, beide waren sie vernarrt in ihn, und er war auch einmal in beide vernarrt gewesen, aber Caro war ausgeschieden. Ganz am Anfang hatte er geglaubt, sie sei die Richtige, zumindest die Richtige, um Anna zu vergessen. Es gab an Caro wenig auszusetzen – sie sah sehr gut aus – da hatte sie in den letzten zehn Jahren eher noch zugelegt – sie war sehr klug und eine perfekte Hausfrau. Trotzdem war irgendwo seine Liebe zu ihr verloren gegangen. Wenn sie zusammen ausgingen, bemerkte er oft die bewundernden Blicke anderer Männer. Andere Frauen taxierten sie so lange, als wollten sie sich etwas abgucken. Wenn sich nur mal jemand an sie herangemacht hätte. Fred hätte sich ohne Weiteres die Hörner aufsetzen lassen.

      Er konnte sie nicht mehr riechen, was durchaus wörtlich gemeint war. Bei den allerersten Malen, wenn sie zusammen geschlafen hatten, fand er ihren beißenden Achselgeruch noch irgendwie erregend, doch das hatte sich rasch erledigt. Caro darauf anzusprechen war im Übrigen vollkommen sinnlos, denn es lag nicht etwa an mangelnder Hygiene oder daran, dass sie kein Deo benutzen würde. Es war einfach ihr persönlicher Geruch, der den Sex mit ihr zu einer echten Herausforderung werden ließ.

      Als sie gerade zusammen waren und sich entscheiden musste, ob es eine Affäre war oder ob mehr daraus wurde, bekam er einen einfachen Schnupfen. Doch das Virus hatte ihm für einige Wochen das Riechvermögen geraubt. Alles schmeckte nach Pappe, salzige Pappe, süße Pappe, saure Pappe. Aber beim Sex konnte er sich ganz auf Caro konzentrieren und fand, dass es den Preis wert war. Sein Appetit hatte in den wenigen geschmacklosen Wochen stark abgenommen im Gegensatz zu seiner Libido. Als dann sein Riechvermögen zurückkehrte, nahm er Düfte und Gerüche wahr, die im vorher versagt geblieben waren. Ihm war über Nacht eine neue Nase gewachsen. Das hatte auch Folgen im Hinblick auf Caro, denn ihr nah zu sein war jetzt schlimmer denn je. Lieber hätte er wöchentlich die Umkleide des Eishockeyteams geputzt.

      Fred nahm sich ein Bier und setzte sich an den Tisch, den Caro für ihn gedeckt hatte. Danni saß vor dem Fernseher und widmete sich ihren Stars auf MTV.

      „Mach bitte etwas leiser”, rief Caro ins Wohnzimmer herüber, und ihr Ton verriet, dass sie das heute schon mehrmals gesagt hatte.

      Während Caro ihm beim Essen Gesellschaft leistete und über die Nachbarin auf der rechten Seite her zog – neue Perücke –, dachte er an Danni vor dem Fernseher. Sie hatte ihr Leben noch vor sich, träumte von diesem hüftschwingenden Spanier aus dem einen Clip und wünschte sich zur Erfüllung dieses Traumes selbst den Körper der blonden Hupfdohle aus dem anderen. Ihr Blick war nur auf die Zukunft gerichtet, die sie sich so herbeisehnte. Das Maß ihrer langfristigen Planungen war die Woche.

      Fred hatte das alles hinter sich und vermisste es zunehmend. Die viele Zeit, die er früher einmal hatte, zerrann ihm jetzt zwischen den Fingern.

      Caro war inzwischen bei den Nachbarn zu ihrer Linken angelangt – der Sohn drohte sitzen zu bleiben –, Freds Teller war fast leer – und in dem Haus gegenüber hatte der Postbote heute wieder geschlagene zwanzig Minuten allein mit Vera Hinze verbracht. Zwanzig Minuten! Caro konnte das Offensichtliche nicht fassen, obwohl es schon mindestens ein Jahr her war, seit Caro „es“ zum ersten Mal beobachtet hatte: Während ihr Mann das Geld verdiente, gab sie sich einem täglichen Stelldichein mit dem Briefträger hin.

      „Das war wie immer köstlich“, sagte Fred und machte damit nichts falsch. Der Satz war nicht steigerungsfähig – ein wirklich gutes Essen hätte keine andere Bewertung bekommen können, die mehrheitlich durchschnittlichen Menus mussten aber nicht weiter kommentiert werden. Caro konnte sich herauspicken, was sie wollte.

      Während sie den Teller wegräumte, wandte sich Fred zu Danni, die gerade in den Fernseher zu kriechen schien („Ja, i let you be my hero”).

      „Wenn ich dich mal kurz von deinem Prinzen loseisen dürfte...”

      „Hmmm.”

      „Wie wär´s mit einer Runde Tischtennis?”

      „Tischtennis!?” wiederholte Danni und betonte es wie „Eiterpickel“. Hinter seinem Rücken nahm Fred einen Moment totaler Stille wahr, in dem Caro offenbar ihre Gedanken sortierte und nicht zugleich auch die Küche aufzuräumen vermochte.

      „Das wäre doch wunderbar“, sagte sie dann, „es stehen nur ein paar Kisten Marmelade darauf, die habt ihr schnell weggesetzt.“

      Man wartete auf Dannis Entscheidung. Sie schaute noch einmal zum Fernseher.

      „Also schön“, sagte sie gnädig, was Fred wohl nur dem Umstand zu verdanken hatte, dass der Latinlover wieder von der Bildfläche verschwunden war. Umso mehr freute es Fred, dass er Danni bewegen konnte. Caro deutete es einfach als gutes Zeichen für irgendwas.

      Nach einigen sehr ausgeglichen Spielen schickte er Danni ins Bett. Es gab die üblichen Protestnoten, und mit Caros Hilfe würde sie es wieder um mindestens eine halbe Stunde herauszögern, aber ihm war das gleich. Er meldete sich kurz bei Caro ab, um sich zu waschen und dann endlich wieder der Planung hinzugeben. Er schloss die Zimmertüre hinter sich, nahm die Landkarte und legte die frühen Talking Heads auf.