Markus Vieten

Freeland


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Party gleich ganz verließ.

      6

      Danni war endlich alt genug, um auch mal eine Weile allein zu bleiben. Außerdem gab es noch die Prickertz im Haus nebenan, zu denen sie immer gehen konnte, wenn etwas nicht in Ordnung sein sollte. Fred freute sich schon lange auf die Geburtstagsfeier von Sven. Caro und er hatten sich ein wenig schick gemacht. Bei Sven war alles immer eine Spur reicher und edler. Er war ein gefragter Architekt, und weil er das nun mal wirklich konnte, hatte er auch das eigene Haus entworfen. Es beeindruckte weniger durch seine nicht geringe Größe als vielmehr durch ein weißes und kühles Design vom Türknauf bis zu den gläsernen Dachaufbauten. Er öffnete ihnen selbst die Tür als sie eintrafen. Es waren bereits zahlreiche Gäste da. Sven wirkte schon etwas gelockert, ein Sektglas in der Hand und das weiße Hemd zwei Knöpfe offen. Irgendwie hatten Sven, er selbst und Tom sich im Laufe der Jahre kaum verändert, abgesehen von ein wenig bindegwebsschwachem Bauchansatz und einigen Falten im Gesicht, aber die knapp untergewichtige Statur und die immer noch vergleichsweisen vollen Haare in einer undefinierbaren Straßenkötertönung waren geblieben. Einzig Tom hatte vielleicht ein paar Kilo mehr zugelegt, aber gewachsen war er auch nicht mehr.

      Fred breitete die Arme aus. „Willkommen im Club! Komm an meine Brust und lass dich drücken.“ Er umschlang seinen Freund herzlich, küsst ihn auf die Wange und sprach verschiedene Glückwünsche aus. Caro trug das Päckchen, in dem sich vier ausgesprochen kostbare Weingläser befanden. Nicht das alleroriginellste Geschenk für den Weinfreund, aber er hatte sie sich gewünscht, ausdrücklich von Fred, was er natürlich gerne hatte erledigen lassen – von Caro. Aber er hatte es sich auch nicht nehmen lassen, für Sven, gewissermaßen aus alter Tradition, eine CD zusammenzustellen. Die Auswahl würde ihn erfreuen, da war er sich ganz sicher. Aber er wusste auch, dass er diese Art der Zusammenstellung zunehmend als anachronistisch empfand. Er hörte seine Musik nur noch vom Computer, MP3-Player und IPhone. Das Konzept eines Albums war ihm dabei etwas abhanden gekommen und so würde er auch diese CD mit dem amateurhaften Cover fleddern und ihre Besonderheiten dem großen Musikkollektiv hinzufügen – Widerstand ist zwecklos.

      Sven freute sich erkennbar, und auch Caro begrüßte er herzlich mit einer langen Umarmung. Sie lachte und wünschte ihm alles Gute. Fred wusste genau, dass Caro ihn nie so sehr gemocht hatte, wie Fred sich das vielleicht einmal gewünscht hatte. Aber das spielte heute und hier keine Rolle. Es stand nur die Feier auf dem Programm. Drinnen lief gerade unverkennbar etwas aus diesem großen Musikfundus, den Fred ziemlich genau kannte, und fühlte sich sogleich zuhause. Er nickte und lachte den Leuten zu, die aus der Tiefe des Wohnraumes seine und Caros Ankunft beobachtet hatten und ihm verschiedentlich schon die Gläser entgegenhielten, während sie ablegten. Natürlich waren er und Fred nicht mehr jeden Nachmittag zusammen, wie zu Schulzeiten, aber ihre Treffen waren regelmäßig genug, um den größten Teil des jeweiligen Umfeldes zu kennen und so sah Fred zwischen den vielleicht zwanzig Personen, die er gerade beim Hereinkommen überblickte nur zwei oder drei gänzlich unbekannte Gesichter.

      Nach kurzer Zeit hatten sie bereits ihre ersten Gesprächspartner gefunden. Es wurde freundlicher Smalltalk geführt, wie ihn Leute führten, die keinen Smalltalk mochten. Die Themen waren nicht ganz belanglos, betrafen die Alltagsbewältigung, Kindererziehung und das Zuviel an Arbeit allenthalben. Kopfnickerthemen, deren Verlauf feststand.

      Caro redete mit ihrem Ex Steve, wie immer bei diesen Gelegenheiten, Fred registrierte es mit routinierter Toleranz. Mehr war leider nicht drin, nachdem Steve Caro zu lange und zu oft mit der Verweigerung von Unterhaltszahlungen genervt hatte. Das wusste Fred eigentlich nur von Caros Erzählungen, denn als Fred mit ihr zusammengezogen war, kamen sie sehr gut aus, sodass er Steves Weigerung zu weiteren Zahlungen fortan hatte verstehen können.

      Fred ließ sich von einer Runde alter Freunde und Bekannter zur nächsten treiben. Ja, die Praxis lief gut, leider zu wenig Freizeit, aber ja, natürlich träume ich auch von Neuseeland, wollt ich schon Jahre hin, aber die Ökobilanz ist mit so einem Flug natürlich hin. Gladbach-Bayern? Die beiden Tore kurz vor Schluss? Wahnsinn! Und während er mit den seichten Gesprächswellen schwamm, behielt er Tom und Sven im Auge und freute sich schon darauf, zu späterer Stunde mit ihnen zusammenzuhocken. Sven konnte hier nicht weg und er hoffte, dass auch Tom lange genug Ausgang hatte, denn er wollte unbedingt seinen kleinen, feinen Plan mit ihnen bereden.

      Nachdem die Gesellschaft sich in beste Partystimmung gebracht hatte und an manchen Stellen die Frauen schon ein wenig das Tanzbein schwangen, suchte Fred den geeigneten Absprung bei seinem Kommilitonen Karlo, dessen Bericht über eine von der Industrie gesponserte Fortbildung in Monacco eine Spur zu lang geriet. Onkologe müsste man sein.

      „Die Jachten dort im Hafen sind fan-tas-tisch. Im Vergleich dazu ist meine eine Nussschale!“ Er schüttelte den Kopf und war gleichzeitig voller Bewunderung für soviel Protzerei. „Aber es war schön, das alles mal im Kreis der Kollegen zu genießen. Man sieht sich auf den ganzen Fortbildungen immer wieder. Wir sind schon ein richtig kleines Klübchen geworden. Man trifft sich irgendwo in der Welt, und nach den Veranstaltungen erkunden wir dann auf eigene Faust das Nachtleben, wenn du weißt, was ich meine. Ich finde, das haben wir uns auch verdient.“

      Fred wurde ein bisschen übel.

      „Das freut mich für dich, vor allem weil wir mit unseren Kassenbeiträgen eure schönen Reisen unterstützen. Soll noch jemand sagen, in unserer Gesellschaft gäb es keine Solidarität…“

      Carlo schaute ein wenig irritiert. Offenbar hatte er etwas mehr getrunken, als er gedacht hatte. Seine Zunge entzog sich etwas seiner Kontrolle.

      „Ich glaub, ich muss mal zur Toilette“, sagte er, was aber nur zur Hälfte eine Flucht war, denn irgendetwas wollte bei ihm oben oder unten raus.

      Es blieb beim Wasser, doch weil er den Alkohol stärker als gewünscht spürte, nahm er sich etwas Alkoholfreies und machte einen kleinen Spaziergang durch den Garten, dem nur wenig fehlte, um als Park durchzugehen.

      Caro ließ sich immer noch von Steve zutexten. Wahrscheinlich wieder Liebeskummer und die ewigen Geschichten von Frauen, die ihn nicht verstanden. Das würde noch endlos so weitergehen, war sich Fred sicher, und irgendwann würden dann die Frauen, die ihn nicht verstanden, einfach ihre Hörgeräte ausstellen.

      Freds Kopf wurde in der abendlichen Frühsommerluft etwas klarer. Als er wieder hineinging, sucht er gleich nach Sven, der gerade eine neue Flasche Wein öffnete und fachmännisch verkostete.

      „Na, macht`s Spaß?“

      „Ja, ist prima. Willst du mal den `04-er probieren. Ein Fuligni Brunello di Montalcino, 95 Parker-Punkte!“ Sven hielt sein Glas noch einmal schräg gegen das Licht.

      „Nein, vielen Dank, brauch´ grad´ `ne kleine Pause.“

      „Würd´ ich Dir bei diesen spitzen Kirchenfenstern auch empfehlen.“ Er schaute immer noch auf den Rotwein in seinem Glas, bis er endlich langsam und genussvoll trank.

      „Wie läuft`s denn so bei dir?“, fragte er dann.

      „Wie immer. Zu viel Arbeit, wie ein Hamster. Ich komm da nicht `raus. Manchmal, wenn ich durch die Patientenzimmer hetze, frage ich mich, ob ich irgendwann dabei einfach tot umfalle. Herzinfarkt. Dann lieg´ich da, keiner holt den Krankenwagen, und die letzten wartenden Patienten fallen über meine Leiche her und klauen mir die Tablettenpackungen aus dem Kittel.“

      „Ich seh´ schon die Schlagzeile: Arzt zu Tode gehetzt – Patienten verlangen Entschädigung!“ Mit der freien Hand zeichnete er einen Balken in die Luft.

      „Jetzt haben sie wieder den Punktwert gesenkt, und Caro hat immer neue Ideen, was wir „unbedingt brauchen“ und „was sie sich schon immer gewünscht hat“. Unglaublich, wie man so viele Wünsche generieren kann. Frauen scheinen da über spezielle Windungen zu verfügen.“

      „Ich find´ meine Windungen ausreichend.“

      Wie gerufen kam David Byrne durch die Lautsprecher, was Neues, etwas gefälliger als früher, aber nicht schlecht.

      „Wenn ich diese Stimme höre, denk ich an „Remain in lights“, sagte