Markus Vieten

Freeland


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hat ja nicht einmal zwei Stunden gedauert“, sagte Sven, der gleich neben der Tür an der Wand lehnte und das Gesicht immer noch in die Sonne hielt. Anscheinend wollte er nur frotzeln. Tom hatte sich auf sein Fahrrad gesetzt und schien nur noch an die nächste Tüte zu denken: „Hast du da oben schon einen klar gemacht, oder was?“

      „Nein, haben uns nur etwas unterhalten. War sehr nett.“

      „So siehst du aber nicht aus“, sagte Sven, während er sein Fahrrad wieder startklar machte.

      „Doch, alles prima“, sagte Fred und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass seine gerade noch allerbeste Laune einen derben Dämpfer erhalten hatte. Nur schnell weg und gleich vergessen.

      Etwas später waren sie bei ihrer eigentlichen Adresse angelangt. Fred war schon einmal dort gewesen. Die Lage war sehr gut, zentral, aber trotzdem ruhig und am Wasser. Nur zu den nächsten Läden war es relativ weit, und man konnte nicht mal eben um zwei Ecken, um noch etwas einzukaufen.

      Sie ketteten ihre Fahrräder gut an und brachten die Taschen in die Wohnung auf der zweiten Etage. Am Abend würden sie die Räder noch in einem vergitterten Verschlag einsperren, denn Fahrräder waren im Amsterdam immer begehrt.

      Erschöpft und froh, endlich angekommen zu sein, ließen sie ihre Taschen irgendwo am Eingang stehen und fielen in die einladenden Sofas und Sessel. Der Blick durch die riesigen Fensterscheiben ging über Hafengebiete und ein Stück ins Zentrum der Stadt. Man konnte von einer Stelle aus sogar die Spitze des Obelisken am Dam sehen. Sven ließ die Arme rechts und links des Ledersessels herabhängen und hob dann mit einer Hand ein Buch und mit der anderen eine Zeitung hoch.

      „Cool!“, sagte er anerkennend.

      „Hier sieht’s doch aus wie bei unseren Alten“, sagte Tom, „Ziemlich spießig irgendwie“.

      Fred hätte die Einrichtung und damit seinen Onkel gerne verteidigt, doch hatte Tom Recht – eigentlich sah es aus wie bei ihren Eltern.

      „Und dann die dicken Teppiche überall…!“ Tom brachte sich in Nörgelstimmung. Fred kannte das schon, das konnte sich dann stundenlang so dranhalten. Fred musste nur dafür sorgen, dass das ganze nicht aus der Bahn lief und Tom anfing, die Wohnung zu sabotieren oder zu versauen.

      „Aber sonst ist es doch super!“, versuchte Fred es, „Wir haben hier alles, was wir brauchen und einen schönen Ausblick dazu.“

      „Wir haben hier viel mehr, als wir brauchen.“

      „Scheiße, ich wollt´ doch nicht ins Hotel! Hier können wir uns doch kaum bewegen. Wahrscheinlich ist alles superteurer Firlefanz, Bonzenwerk! Hier können wir wohl nicht mal rauchen!“

      „Klar können wir hier rauchen“, sagte Fred entschieden, „Der raucht doch selbst hier drin, riecht man doch.“

      „Aber er trägt dabei einen güldenen Aschenbecher mit sich herum.“ Tom vollführte eine übertrieben tuntige Geste mit einer imaginären Zigarettenspitze. Sven lachte.

      „Wir müssen uns eben einfach ein bisschen benehmen. Dafür haben wir es hier gut und sparen dazu noch Geld.“

      „Ich weiß nicht“, quengelte Tom weiter, „vielleicht sollten wir doch auf einen Zeltplatz fahren. Was meint ihr?“

      Sven hatte sich eine Zigarette gedreht und angezündet, wie um sich hier einzurichten und sein Revier abzustecken. Deshalb war Fred die Antwort auch schon klar, bevor er sie gab.

      „Nein, ich find´s ok hier. Ist vielleicht was spießig. So werden die Leute eben, wenn sie Geld in die Finger bekommen. Aber es ist auch sehr bequem, und zelten werden wir ja noch lange genug.“

      Zwei zu eins für`s Bleiben. Das funktionierte, hatte es die vergangenen zwei Jahre immer. Sie hatten sich auf der Geburtstagsfeier eines gemeinsamen Freundes kennen gelernt, das heißt, Fred und Sven waren schon vorher etwas befreundet, zumindest um Tom immer das Gefühl zu geben, irgendwie das fünfte Rad am Wagen zu sein. Trotzdem verbrachten sie die meiste Zeit zu dritt, und Viele sich als unhaltbare Situation vorstellten, funktionierte für sie sehr gut. Ihre Gesinnung war „demokratisch“ genug, um das scheinbare Problem, dass immer einer das Nachsehen hatte, in einen Vorteil zu verwandeln: Sie kamen immer zu einer Lösung. Voraussetzung dafür war natürlich, dass man sich untereinander mochte und Entscheidungen nicht von Zu- oder Abneigungen untereinander abhingen, sondern nur von der Meinung zur Sache. Regelungen für „Vetos“ hatten sie keine getroffen, aber sie waren auch nicht im Weltsicherheitsrat.

      „Außerdem sind wir ja nicht wegen der Wohnung in der Stadt“, beendete Fred die Diskussion.

      „Ja, stimmt eigentlich“, sagte Tom, der sich schon mit der Entscheidung arrangiert hatte, „außerdem können wir dann spät vielleicht noch einen Film gucken. Die Holländer haben doch Privatfernsehen. Da kommt doch immer was.“

      „Hat schon mal jemand in den Kühlschrank geguckt?“, fragte Sven, „Vielleicht müssen wir noch einkaufen, wenn wir kochen wollen.“

      Fred schaute nach. Viel war nicht drin. Offenbar hatte Lothar alles Verderbliche entsorgt oder gegessen. „Nein, da ist nichts. Entweder kaufen wir noch was ein oder wir essen unterwegs noch `ne Fritten oder so.“

      „Ich bin für unterwegs“, sagte Tom, „Es ist nicht mehr ganz früh und wir wollten doch noch was unternehmen, oder? Zum Beispiel in dieses Melkweg und was zu Rauchen besorgen.“

      „Ich bin für Toms Vorschlag“, sagte Fred, „Lasst uns gleich los. Mir knurrt schon der Magen.“

      „Und mir die Lunge!“, sagte Sven und hielt sich hechelnd die Hand auf die Brust.

      8

      Er beschäftigte sich schon eine ganze Weile mit einem Entwurfskonzept

      für ein neues Bauprojekt, doch die kreative Eingebung war ihm bislang versagt geblieben. Während er am Fenster stand und seinen Blick über die belebte Straße in das Parkgelände schweifen ließ, hatte er für einen Moment eine Ahnung, wie die Lösung aussehen konnte, und als er gerade versuchte, den Gedanken klarer zu fassen, klingelte das Telefon und er konnte förmlich sehen, wie ihm dieser Gedanke wie ein Traumbild aus der Nacht entglitt. Verärgert hob er den Hörer ab. An der Anzeige sah er, dass es Bötticher, seine Sekretärin war.

      „Ja“, sagte er mit einem unüberhörbaren Seufzen. Sie war so ziemlich die einzige Frau in seiner Umgebung, an die er wirklich keinen Gedanken verschwendete, der über das Berufliche hinausging, was vor allem an ihren 64 Jahren aber auch an ihrer mütterlichen Art lag. Mit soviel Gefühl konnte er einfach nichts anfangen.

      „Es ist ihre Frau“, sagte sie, „Soll ich verbinden?“ Natürlich war es nicht seine Frau und auch nicht seine Ex-Frau, auf die die Bezeichnung noch am ehesten zugetroffen hätte. Sie war es nur irgendwann Leid gewesen, die feinen Unterscheidungen zwischen Freundin, Affäre, Partnerin und Lebensabschnittsgefährtin zu ergründen. Jedenfalls hatte sich Sven das so zusammengereimt. Sie hatten nie darüber gesprochen. Die Bötticher hatte irgendwann damit angefangen und nach dem zweiten oder dritten Mal hatte Sven es begriffen und akzeptiert. Schließlich war sie damit auf der sicheren Seite und setzte niemanden aus Versehen herab, nur weil sie gerade nicht über den letzten Stand der Beziehung informiert war. „Ihre Frau“ bedeutete also einfach „die Frau, mit der Sie gerade irgendwas haben und die Sie regelmäßig privat sprechen will.“

      „Ja, stellen Sie durch, bitte.“ Sven fuhr sich mit der Hand durch sein Haar und versuchte, nicht genervt zu klingen.

      „Hallo Liebling. Könntest du für das Abendessen noch etwas Putengeschnetzeltes vom Metzger mitbringen?“

      „Ja, klar, mach ich. Aber dafür müsstest du doch nicht anrufen. Eine SMS oder eine Mail würde es doch auch tun.“

      „Weiß ich doch“, säuselte Lisa, „aber ich wollte einfach auch Deine Stimme hören.“

      „Das ist lieb“, sagte Sven etwas mechanisch und versuchte gleichzeitig,