Markus Vieten

Freeland


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du dich an unseren Schatz?“

      „Steffi?“

      „Nein, keine Frau…“

      „Ach, du meinst Freeland? Klar, manchmal… Sag mal, hast Du oder hat Tom die Karte?“

      „Oder Du?“

      „Ich!?“

      „Ja, warum nicht Du!?“

      Sven schaute kurz in sein Glas.

      „Ich bin nicht so ordentlich wie Du.“ Klang anerkennend. Lange genug hatte er sich damit rumschlagen müssen, es gerne etwas sauberer und ordentlicher zu haben als die meisten anderen, was in der Jugend nicht immer leicht war. Wie viele Flecken hatte er angestrengt ignoriert, wie viele unter den Schuhen knirschende Krümel toleriert und wie oft in der Schule der Versuchung widerstanden, seine Stifte auf der Schulbank nach Größe, Farbe oder Geschmack zu ordnen!? Das hätte ihm niemand, der sein Hemd aus der Hose tragen durfte, durchgehen lassen.

      „Ja, stimmt. Ich hab ihn.“

      „Sag ich doch…“ Wieder das kleine Schmunzeln um den Mund herum. Nur nicht drau eingehen.

      „Ich finde, wir sollten den Schatz langsam mal bergen, hm?“

      „Klar, unbedingt!“, aber das sagte er nur so daher. Sven wusste noch nicht, dass Fred es ernst meinte. „Ich frag mich, in was sich das Zeug inzwischen verwandelt hat. Aber wahrscheinlich steht inzwischen sowieso ein Hotel drauf. – Warte, ich geh nur kurz die beiden verabschieden.“

      Sven stellte sein Glas neben Fred ab. Ein sicheres Zeichen dafür, dass er vorhatte zurückzukommen. Fred schaute ihm nach. Sven begleitete einen der wenigen, die Fred nicht kannte, und eine Frau zur Tür, wahrscheinlich ein Architektenkollege. Babysitter auslösen, tippte Fred, und ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es deutlich auf Mitternacht zuging, was seine Hypothese stützte. Es wurde noch kurz gekichert, eine Hand gedrückt, ein Küsschen verteilt und weg waren sie.

      Sven kam direkt zurück.

      „Ich meine es ernst“, sagte Fred zu Sven, als er wieder mit dem Glas in der Hand neben ihm stand. „Lass uns noch mal nach Freeland fahren!“

      Sven starrte stumm in sein Glas.

      „Ich bin froh, dass Du nicht übereilt antwortest“, sagte Fred.

      „Etwa mit dem Fahrrad!?“ Sven sah nicht glücklich aus.

      Fred zuckte mit den Achseln. „Ich weiß nicht. Vielleicht auch mit dem Auto. Erst Amsterdam und dann hoch zur Insel. Noch mal ganz `raus kommen aus allem! Nur ein paar Tage...“

      „Amsterdam!“ Svens Züge hellten sich merklich auf. Ein kurzes Blitzen ging von seinen Augen aus.

      „Ich dachte, vielleicht so eine Woche…“

      „Zelt?“

      Fred zuckte mit den Schultern. „Meinetwegen…“.

      „Und Tom?“

      „Den hab´ ich noch nicht gefragt.“

      Sven lehnte sich an die Wand, starrte in sein Glas und lächelte still. Ihm gefiel die Idee.

      „Wir bekommen nie alle unter einen Hut. Außerdem kann ich nicht einfach so `mal ne Woche weg. Du doch auch nicht, denk ich, und Tom bekommt bestimmt keinen Ausgang.“

      Gut, sie hatten schon das nächste Stadium erreicht: die Planung. Was alles nicht ging und vor allem, was doch ging, würde sich zeigen.

      Das war gut gelaufen. Sven hatte die Angewohnheit, einen Vorschlag oder eine Idee ganz unvorhersehbar mit einer gnadenlosen Herablassung abzubürsten. Früher hatte Fred mehr als einmal Probleme damit gehabt, besonders wenn eine solche Bissigkeit ihm selbst galt. Bekamen andere es zu spüren, waren es meist Riesenlacher auf Kosten anderer, aber das schweißte zusammen. Und nur weil Sven sich auch immer wieder mit ihm treffen wollte, hatte er nach und nach gelernt, es nicht persönlich zu nehmen. Er tat ihm deswegen auch ein wenig leid. Manche Sprüche kamen so gnadenlos, dass es keinen Spielraum mehr für eine Auseinandersetzung und ein mögliches Umdenken gab. Das machte manchmal einsam. So etwas wie „Ach, Du willst deinen verlorenen Jugendträumen hinterherradeln!?“ oder „Das ist so interessant wie aufgewärmter Kaffee!“ hätte Freds Pläne gleich zunichte gemacht. Nach so einem Verriss konnte man nicht mehr zurückrudern.

      „Da vorne ist er ja“, sagte Sven und winkte Tom heran. Es war schon beinahe wieder ein Jahr her, dass sie sich zuletzt zu Dritt gesehen hatten, ebenfalls auf einer Feier, allerdings von Petra und Ingo, einem Paar aus gemeinsamen Freakzeiten mit zahllosen Joints auf gefühlten 100 Konzerten, die ihre Silberhochzeit gefeiert hatten. Zum Zeitpunkt der Hochzeit waren sie schon vier Jahre zusammen gewesen und damit schon damals Spitzenreiter der Treueparade. An ihnen waren Vorwürfe der Spießigkeit stets hart abgeprallt. Ihr Zusammensein war mehr ein Naturgesetz. Man beschimpfte ja auch nicht den Mond, weil er sich nicht von der Erde trennen konnte.

      „Tom, wir müssen mit dir reden“, sagte Fred ein wenig feierlich und nahm ihn zwischen sich und Sven. „Wir haben uns überlegt, da es jetzt mehr oder weniger 30 Jahre her ist, dass wir zusammen auf Freeland waren, wäre es an der Zeit, die Tour zu wiederholen und unseren Schatz zu heben. Was hältst du davon?“

      Als Tom in Freds Arm ein wenig sprachlos wirkte, klopfte Sven ihm auf die Schulter und holte ein neues Weinglas für ihn.

      „Wir denken, das könnte ganz lustig werden“. ergänzte Sven und hielt die geöffnete Weinflasche über das Glas, jedoch ohne einzuschütten. Tom wirkte im besten Fall bedrängt und zweifellos überrumpelt.

      „Nun sag schon zu“, sagte Fred und Sven hielt immer noch die Flasche bereit.

      „Naja,…“ stammelte Tom ein wenig hilflos, „Lust hätte ich ja schon. Ich müsste wohl zuerst mit Anke reden und… Wie lange denn? Und wann überhaupt?“

      „Das werden wir noch besprechen“, sagte Sven und hatte damit bereits Freds Rolle übernommen und seine eigene an Tom abgegeben. Der antwortete dann auch prompt, dass er sich kaum vorstellen könne, dass alle drei mit ihren Familien und Jobs unter einen Hut zu bekommen wären. Sven und Fred prusteten los und Sven verschüttete beim Befüllen von Toms Glas eine nicht unbeträchtliche Menge auf dem guten grauen Schieferboden. Doch es fand noch genügend Wein seinen Weg, um auf das gemeinsame Vorhaben anzustoßen.

      7 Sommer 1983

      Der Zug fuhr pünktlich ab. Die Fahrräder hatten Sie bereits zwei Tage zuvor aufgegeben, um sie am Zielbahnhof Kleve kurz vor der niederländischen Grenze in Empfang nehmen zu können. Das Wetter war gut, die Laune prächtig. Endlich Urlaub, alleine, ohne Gruppenleiter, ohne Eltern. Zeit genug, ausreichend Geld und ein Haufen Kassetten mit der ab-ge-fahrendsten Musik. Man konnte ja nicht wissen, dass es auch solange das Abgefahrendste bleiben würde, bis eine gefühlte Ewigkeit später irgend jemand aus Versehen an einen Plattenspieler stieß und aus der Not einer schlimm kratzenden Nadel die Tugend des Scratchens entwickeln würde.

      Als der Zug wirklich und tatsächlich den Heimatbahnhof verlassen hatte, holte Tom die ersten Süßigkeiten heraus.

      „Ich dachte schon, wir müssten verhungern“, sagte Fred und griff sich zwei große, runde Schokokekse. Sven nahm sich auch einen.

      „Wir hätten doch was mitnehmen sollen“, sagte er. Die Schokolade hatte ihn an das zuhause gelassene Dope erinnert. Damit war das Thema wieder auf dem Tisch. „Das hätte geklappt, hundertpro!“

      „Und wenn nicht? Die Hunde riechen alles, das ist für uns unvorstellbar“, sagte Fred mit wissendem Gesicht. Hatte er wieder irgendwo gelesen, „Geheimnisse der Hundenase“ oder so.

      „Ja, ich glaube auch, in Seife würden sie es riechen. Da hätten wir es schon zusätzlich in Glas einschweißen müssen.“

      „Das Problem war eben, dass es nicht spurenlos geht. Mit einem Apfelstecher ein Stück Seife auszuhöhlen, ist super. Einfach ein Stück abschneiden