Wilma Burk

Wo du hingehst, will ich nicht hin!


Скачать книгу

wollte sie mich nicht aus den Augen lassen, am liebsten ständig Kontakt zu mir haben. Vielleicht befürchtete sie, ich könnte gleich meine Tasche nehmen und verschwinden. Doch als es vorm Haus hupte, vergaß sie das. Mit einem Satz sprang sie hinunter und lief laut bellend zur Tür.

      Sie waren da, eine kleine Karawane. Robert mit seinem silbergrauen Mercedes vorneweg und Susanne mit ihrem kleinen Kombi hinterher. Beide Autos waren randvoll gepackt und dazwischen klemmten die Kinder. Erschöpft und verschwitzt von der Fahrt stiegen sie aus, Robert schlank und groß, die sonst glatten dunklen Haare, die dünner geworden waren, durcheinander geweht und Susanne klein, quirlig, ihre lockigen blonden, kurz geschnittenen Haare zurückwerfend, als wären sie noch eine lange Pracht.

      Christine, dreizehn Jahre alt, kroch stöhnend aus Susannes Auto. Wie die Mutter, mit der gleichen Geste, warf sie ihre im Nacken zusammengebundenen blonden lockigen Haare ärgerlich zurück. „Endlich sind wir da. Länger hätte ich das in der Enge nicht mehr ausgehalten. Konnte mich ja kaum bewegen“, moserte sie.

      „Glaubst du, wir hätten mehr Platz gehabt?“ fragte Daniela, die mit Petra bei Robert mitgefahren war. Sie strich erst einmal ihren Pulli und ihre Jeanshosen glatt, dann ihre schulterlangen rotbraunen Haare.

      „Das will ich wohl meinen. Schau mal genau hin! Ihr hattet viel mehr Platz als ich“, wies Christine sie zurecht.

      „Du spinnst ja“, giftete die zehnjährige Dani zurück.

      „Hört auf, euch zu zanken, ehe ihr Kati begrüßt habt?“, fuhr Susanne ärgerlich dazwischen, kam auf mich zu, umarmte mich und drückte mich, als wollte sie mich nicht mehr loslassen. „Ich weiß nicht, wie ich dir dafür danken soll, dass du uns bei dir aufnimmst“, sagte sie.

      „Wirklich, uns fiel ein Stein vom Herzen. Ich hoffe, wir müssen dir nicht zu lange auf den Wecker fallen“, ergänzte Robert.

      „Kommt erst einmal herein!“, forderte ich sie auf. Jetzt erst wunderte ich mich, wo Julchen war. Sie, die zur Begrüßung sonst an jedem hochsprang, war nicht zu sehen. Doch auch Petra war nicht bei uns. Wir fanden sie im Garten. Sie hockte vor einem Busch, unter dem sich Julchen verkrochen hatte, und versuchte vergeblich, sie da hervorzulocken. Achtlos hingeworfen lag daneben Petras geliebter Stoffhund, den sie eben noch im Arm gehalten hatte, als sie aus dem Auto stieg. Wie sehr er geliebt wurde, sah man ihm an, er hatte nur noch ein Ohr und der Schwanz war ziemlich ausgefranst. Jetzt aber war ihr wohl Julchen wichtiger. Was die jedoch nicht zu erfreuen schien. Wahrscheinlich war sie vor einer allzu stürmischen Begrüßung lieber geflohen.

      „Was machst du da?“, fragte ich.

      Ungeduldig flog der kleine blonde Lockenkopf herum, und zwei braune Augen sahen mich enttäuscht an. „Sie soll rauskommen! Warum kommt sie nicht zu mir?“

      Noch ehe ich etwas antworten konnte, war Dani bei ihr. Sie nahm den Stoffhund auf, Petra an die Hand und sagte: ,,Sie kommt von allein vor, wenn du sie in Ruhe lässt. Du darfst nicht so auf sie zu rennen, damit machst du ihr Angst.“

      „Ach, so!“ Brav folgte Petra ihr ohne jede Widerrede.

      Nun kroch auch Julchen vorsichtig wieder hervor und sah zu mir auf. „Ist die Luft rein?“, schien sie damit zu fragen. Ob sie befürchtet hatte, bald genauso auszusehen wie der Stoffhund von Petra? Noch misstrauisch folgte sie mir.

      Robert und Susanne nahmen erst einmal die wichtigsten Sachen aus ihren Autos, dann gingen wir ins Haus. Die Mädchen sausten sogleich nach oben. Sie wollte sich die Zimmer ansehen.

      Kurz darauf beugte sich Christine über das Geländer und rief zu uns herunter: „Muss ich etwa mit den Kleinen zusammen in einem Zimmer schlafen?“

      „Das wird wohl eine Zeitlang gehen“, rief Robert mit warnendem Unterton zurück.

      „Hauptsache ihr habt euer Zimmer für euch“, maulte sie daraufhin und ihr Kopf verschwand wieder hinter dem Geländer.

      Ich mischte mich nicht ein. Während Robert und Susanne die ersten Sachen nach oben brachten, ging ich in die Küche. Das fängt ja gut an! So dachte wohl Julchen auch. Sie blieb in meiner Nähe und kroch unter die Bank der Essecke. Während ich Kaffee zubereitete und Kuchen aufschnitt, hörte ich von oben, wie sie noch weiter debattierten. Dann rauschte das Wasser im Bad. Sie machten sich frisch.

      Plötzlich stand Susanne in der Küchentür. „Der Kleinlaster wird bald hier sein. Dann können wir richtig einziehen. Schön, wie du alles vorbereitet hast. Noch einmal danke dafür, dass wir die Zimmer oben für uns haben können. Hoffentlich ist es für dich hier unten in deinem Zimmer nicht zu eng“, meinte sie. Doch eine Antwort wartete sie nicht ab. Sie griff sich Tassen und Teller, fragte noch: „Trinken wir auf der Terrasse Kaffee?“ und als ich nickte, war sie damit schneller draußen, als ich mich umdrehen konnte.

      Da saß ich nun also an der Kaffeetafel auf meiner Terrasse in einem Kreis, der mich in der nächsten Zeit umgeben sollte. Julchen lag unter meinem Stuhl. Ob sie sich mit dem unruhigen Leben anfreunden konnte? Doch kaum war der Kaffee oder Kakao getrunken, nur noch ein paar Reste Kuchen auf dem Teller, da nahm Dani Petra an die Hand, lockte Julchen mit einem Leckerbissen unter meinem Stuhl hervor und ging mit beiden hinunter in den Garten. Hier nahm sie Julchens Ball und zeigte Petra, wie sie mit ihr spielen konnte. Zuerst hielt sich Julchen misstrauisch zurück. Dann aber war ihr das Spiel zu verlockend und sie sprang fröhlich dem Ball hinterher. Petra jauchzte vor Freude und schlug die Hände zusammen. Dani wurde nicht müde, ihr immer wieder zu erklären, dass sie Julchen nicht stürmisch bedrängen dürfe. Ich seufzte erleichtert, das wenigstens schien geschafft zu sein.

      Christine stand auch bald auf. Sie wollte einige ihrer Sachen oben in den Schrank einräumen. Ich aber hatte den Verdacht, sie versuchte sich auf diese Weise, das beste Fach zu sichern.

      Nun, ohne die Kinder dabei, begann Robert gleich von seiner neuen Stellung zu erzählen. Dabei betonte er keineswegs bescheiden, wie sehr er diesen Posten für sich als Auszeichnung empfand.

      Susanne saß schweigend daneben.

      Als selbst ihm das auffiel, änderte er schnell das Thema und berichtete davon, welchen guten Preis ihre Geschäfte erzielt hatten. „Ist wirklich beachtenswert, was Susi mit den Jahren aus der kleinen heruntergewirtschafteten Boutique gemacht hat“, lobte er.

      Doch es blieb ein kläglicher Versuch. Als Susanne nun auch über dies und jenes zu berichten begann, klang alles, wie ein zurzeit ruhiger Vulkan, in dessen innerem Kern es brodelte.

      Aufmerksam hörte ich beiden zu. Ich wollte verstehen, weshalb das bei ihnen so sehr zum Problem werden konnte. Doch ich fand nur bestätigt, dass Susanne den Kürzeren bei ihrer Entscheidung gezogen hatte. Ich sah sie nebeneinander sitzen und doch sah das früher anders aus. Ich konnte den Eindruck nicht loswerden, als hätten sie sich voneinander entfernt.

      Ein Hupen vor der Tür unterbrach unser Gespräch. Der Kleinlaster der Umzugsfirma war da. Jetzt wurde nur noch ausgepackt und eingeräumt. Julchen und ich, wir brachten uns in unserem Zimmer in Sicherheit, während es draußen treppauf und treppab polterte. Gut, dass ich mir diesen Raum so eingerichtet hatte, um mich zurückziehen zu können. Vermutlich würde das öfter sein, als ich zuerst angenommen hatte.

      *

      Kapitel 5

      Am nächsten Morgen erwachte ich und rieb mir die Augen. Zuerst wusste ich nicht, was das war, taptaptaptap ging es hin, taptaptaptap ging es wieder zurück über mir. Julchen saß aufrecht in ihrem Körbchen, die Ohren lauschend aufgestellt. Doch dann, natürlich, über mir liefen die kleinen Füße von Petra hin und her. Ich drehte mich auf die andere Seite, es war gestern spät geworden, und ich war müde. Als die Kinder schon längst im Bett gewesen waren, hatten wir noch zusammengesessen und geredet und geredet. Susanne schwärmte mit blanken Augen von ihren wundervollen Geschäften, die sie in Berlin gehabt hatte. Sie betonte, wie sie kaum einmal Zeit fand, die Füße hochzulegen. Ein Kunde hätte beinahe dem nächsten die Klinke in die Hand gegeben, so gut seien sie gegangen. „Der neue Besitzer hat sogar meine Angestellten übernommen, weil sie so gut eingespielt waren“, schloss