T. von Held

Afrikanische Märchen auf 668 Seiten


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und Herz der Eingeborenen, halfen die erste Skizze

       zurechtrücken und malten die Einzelheiten weiter aus.

       Und alle sahen mit Erstaunen, daß der N e g e r

       d e n k t u n d f ü h l t , w i e w i r s e l b s t

       d e n k e n u n d f ü h l e n .1

       Allerdings ist seine D e n k f ä h i g k e i t im

       Durchschnitt auf einer verhältnismäßig niedrigen

       Stufe der Entwicklung stehen geblieben. Der Geist

       des Negers klammert sich noch mehr an das Besondere,

       Zufällige der Erscheinungen und übersieht dabei

       oft das Gemeinsame, Wesentliche. Freilich zeigen

       sich auch Ansätze zu höherem Geistesflug. Am deutlichsten

       tritt dies in den Sprachen der Neger zu Tage,

       deren es viele Hunderte giebt. Werfen wir beispielsweise

       einen Blick auf das Suaheli, die Sprache der

       Wasuaheli an der Küste von Deutsch-Ostafrika. Das

       Suaheli hat kein eigenes Wort, das generisch »Fisch«

       bedeutet, obwohl für jede Fischart, ja für jede Varietät

       eine besondere Bezeichnung vorhanden ist. Darin

       liegt offenbar der geistige Mangel, daß das W e -

       s e n t l i c h e einer Sache zu Gunsten des Z u f ä l l i -

       g e n übersehen wird. Diese niedrigste Stufe der geistigen

       Potenz hat der Suaheli allerdings heute bereits

       überwunden. Er hat gelernt, den Kern einer Sache zu

       erfassen, wie sich das auch in seinem Sprichwort

       zeigt: Ivushavyo ni mbovu, der Fährkahn ist morsch,

       d.h. mag er auch morsch sein, es ist doch ein Kahn,

       mit dem man über den Strom setzen kann, und das ist

       das Wesentliche. Die Sprache hat daher längst begonnen

       zu g e n e r a l i s i e r e n , Bezeichnungen für Gattungsbegriffe

       zu bilden, indem entweder die häufigste

       Form der den Inhalt des Begriffs bildenden Varietäten

       den Namen für die Gattung hergeben muß oder fremde

       Sprachen, gewöhnlich das Arabische, in Kontribution

       gesetzt werden. So ist z.B. samaki, der Fisch, aus

       dem Arabischen importiert, um dem oben berührten

       Mangel abzuhelfen. Der Suaheli zeigt sich hier also

       auf dem Wege eines gesunden geistigen Fortschritts,

       und viele andere sprachliche Erscheinungen stützen

       diese Ansicht. Durchgängig hat im Suaheli die nähere

       Bestimmung hinter dem zu Bestimmenden zu stehen.

       Das W e s e n t l i c h e wird also z u e r s t gedacht

       und ausgesprochen, und der Suaheli hat im logischen

       Denken einen Vorsprung vor uns, wenn er sagt: mtu

       mwema (1. Mann 2. guter) statt: 1. guter 2. Mann;

       mtu huyu (1. Mann 2. dieser) statt: 1. dieser 2. Mann;

       kisu changu (1. Messer 2. mein) statt: 1. mein 2.

       Messer. Der Suaheli setzt das Verbum v o r das Objekt,

       andere Afrikaner setzen es dahinter. Er hat ferner

       ein besonderes Tempus für die N e b e n h a n d l u n g

       ausgebildet. Alles das zeigt eine kräftige, natürlich

       unbewußte Logik. Auch das Maß geistiger Anstrengung,

       das dem Suaheli die korrekte Handhabung seiner

       Sprache in grammatischer Beziehung auferlegt, ist

       nicht unbedeutend und überschreitet zum Teil selbst

       die Anforderungen, die in dieser Beziehung die bei

       den Ausländern wegen ihrer Schwierigkeit verrufene

       deutsche Sprache stellt. W i r teilen unsere Hauptwörter

       in männliche, weibliche und sächliche, der

       Suaheli sondert sie nach ihrer Bedeutung in a c h t

       Klassen, deren jede ihre besonderen Artikel (Klassenpräfixe),

       ihre besondere Plural- und zum Teil auch

       Kasusbildung (Genitiv) hat, und nach denen die Form

       der bestimmenden Adjektive und der zugehörigen

       Verben variiert. Jeder Klasse entsprechen ferner besondere

       Fürwörter. »Mein« kann z.B. je nach der

       Klasse des Hauptwortes wangu, changu, yangu,

       langu, kwangu, pangu, mwangu heißen. In einzelnen

       Negersprachen geht dieser Reichtum noch weiter. So

       existieren im Herero, der Sprache der viehzuchttreibenden

       Ovaherero in Deutsch-Südwestafrika nicht

       weniger als 96 scharf unterschiedene Formen für das

       besitzanzeigende Fürwort »sein«, deren Handhabung

       dem Europäer recht bedeutende Schwierigkeiten zu

       machen pflegen. Eben diese Formenfülle beweist aber

       auch andrerseits wieder die geistige Neigung des Herero-

       Mannes, überflüssig viele Besonderheiten in seiner

       Sprache zum Ausdruck zu bringen, statt sich über

       das Chaos der Einzelheiten zu erheben und auf das

       Wesentliche zu beschränken. Und so läßt sich diese

       Neigung noch auf mancherlei andern Gebieten verfolgen.

       Das n a t ü r l i c h e F ü h l e n des Negers beruht

       auf denselben Regungen der Seele, die auch im Europäer

       Liebe und Haß erwecken. Der Spinozistische

       Conatus sui ipsius conservandi, der S e l b s t e r -

       h a l t u n g s t r i e b , ist der Ausgangspunkt aller Seelenbewegungen.

       Was diesen fördert, l i e b t der Afrikaner;

       er h a ß t , was denselben hindert. Und in diesem

       dreifachen Grunde wurzelt die ganze Schar der

       Affekte, die auch des Europäers Brust durchstürmen.

       Nur daß sie der Afrikaner nicht in die strenge Zucht

       genommen hat, die die christliche Erziehung dem Europäer

       auferlegt. Kaum daß bei den heidnischen Völkerstämmen

       gewisse durch die Gewohnheit geheiligte

       Rechtsnormen die natürlichen Instinkte bändigen. Bei

       den Mohammedanern kommt der geringe sittliche

       Halt hinzu, den sie etwa aus den halbverstandenen

       und ihrer Eigenart angepaßten Lehren des Islams ge-

       wonnen haben. Ihre eigenen religiösen Vorstellungen

       sind verworren, kleben am Sinnlichen und leisten für

       die Sittlichung ihrer Anhänger so gut wie nichts.2

       So sind die Neger von der Natur zwar mit denselben

       Anlagen ausgerüstet wie wir, aber sie sind in der

       Entwicklung derselben zurückgeblieben. Die Gründe