Emma Berfelde

Der Tote vom Winterstein


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hin und her. „Ich hätte das nicht sagen sollen. Aber ich will nichts verschweigen. Ich habe kein gutes Verhältnis zu meiner Schwiegertochter.“

      Jan nickte, wenn auch nicht aus Verständnis. Unwillkommene Schwiegertöchter gab es in vielen Familien. Großmutter Sielau nannte die ihre selten beim Namen. Elvira war „deine Mutter“ oder einfach nur „die“. Doch „Nutte“? Ute Bauer hatte wohl mehr als „kein gutes Verhältnis“ zu Anja Herlof.

      „Sie hat mir meinen Sohn entfremdet“, bestätigte sie Jans Gedanken. „Mathias stand ganz unter ihrem Pantoffel. Hat kaum noch mit uns geredet. Sie wollte das so. Ihr Wunsch war ihm Befehl. Und dann war mit einem Mal alles aus. Mathias hat sehr gelitten, als die Ehe in die Brüche ging. Da war es aber bereits zu spät für uns.“ Sie schaute Jan direkt in die Augen. Ihm lief ein Schauer über den Rücken. „Diese Person hat meinen Jungen erst ausgenutzt und ihn dann wegen eines anderen verlassen. Es hat ihn umgebracht, sie hat ihn umgebracht. Mit ihrer Herzlosigkeit.“

      ***

      „Er hätte mehr aus sich machen können“, sagte Clemens Sänger, der Inhaber von „CS Computer Security“. „Bauer hätte nicht ewig Informatikassistent bleiben müssen.“

      Vor einer halben Stunde hatte Hauptkommissar Alexander Wege sein Auto auf dem Besucherparkplatz des Eschborner Bürohochhauses abgestellt, wo die kleine Computerfirma einige Räume im dritten Stock belegte. Ein Bürokomplex nach dem anderen reihte sich die Straße entlang. Zusammen bildeten sie eine Schlucht aus Glas, Beton und Stahl. Er befand sich im Gewerbegebiet Eschborn, das Ausweichquartier für Unternehmen, denen die Frankfurter Gewerbesteuer zu hoch geworden waren. Ein trister, nüchterner Ort gleich neben dem Autobahndreieck, ohne nennenswerte Gastronomie, ohne städtisches Ambiente, dafür aber bequem zu erreichen.

      „CS Computer Security“ bot kundenbasierte Lösungen für die Sicherheit und Überwachung von IT-Systemen an. Das Firmenlogo stellte eine Mauer aus Computerchips dar, an der Viren abprallten. „Ihre Sicherheit ist unser Ziel!“

      Nun saß Alexander Wege im Konferenzzimmer und starrte auf den überdimensionalen Bildschirm an der Wand. Sänger befand sich auf Geschäftsreise und hatte auf einer Direktschaltung in ein Hotel am Persischen Golf bestanden. Es hatte eine Weile gedauert, bis diese zustande gekommen war, und die Übertragung funktionierte nicht besonders gut. Sänger erklärte das mit den schlechten Wetterverhältnissen in Katar. Da ist wohl eher die Technik noch nicht ganz ausgereift, korrigierte Alex ihn stumm.

      „Hatten Sie den Eindruck, dass Herrn Bauer in letzter Zeit etwas belastet hat?“ Er sprach mit dem Abteilungsleiter David Balzer, Bauers direktem Vorgesetztem, der neben ihm saß und ab und zu an der Falte seiner teuren Anzughose zupfte. Bei Alex’ Worten schreckte er hoch.

      Balzer überlegte. „Informatiker sind nicht gerade die gesündesten Menschen auf diesem Planeten. Wenn es nicht die schlechte Ernährung ist, dann kämpfen sie mit erschlafften Muskeln und Hämorrhoiden vom langen Sitzen.“

      „Ich bitte Sie, Balzer, das will Hauptkommissar Wege sicher nicht wissen“, schaltete sich Sänger ein. „Er fragt, ob Mathias Bauer Schwierigkeiten mit der Erledigung seiner Arbeit hatte.“

      Das tue ich nicht, dachte Alex. „Er war also krank?“ Er richtete auch diese Frage direkt an Balzer.

      „Nicht direkt. Wie gesagt, hier ist keiner wirklich gesund.“

      „Was soll das denn heißen, Balzer?“, polterte Sänger. Das Bild auf dem Schirm zuckte. Alex hoffte, dass die Übertragung zusammenbrach.

      „Wie oft hat er denn gefehlt?“

      „Nie“, sagte Balzer.

      „Nie?“, fragten Alex und Sänger gleichzeitig.

      „Er ist vielleicht mal ein wenig später am Arbeitsplatz erschienen, hat die Zeit aber immer aufgeholt. Dafür gibt es schließlich die Gleitzeit.“

      „Was heißt denn ‚später‘?“, fragte Alex.

      „Warum denn ‚später‘?“, fragte Sänger.

      Balzer warf zuerst einen Blick auf den Bildschirm, wandte sich dann aber an Alex.

      „Er war manchmal erst nachmittags da.“

      „Warum?“, griff Alex Sängers Frage auf.

      Das Gesicht des Chefs begann, sich rötlich zu verfärben. Ob dies an der Sonne über Katar, an der farblich nicht korrekten Übertragung oder an seinem Gemütszustand lag, war nicht einwandfrei auszumachen.

      „Er hat mir keinen Grund genannt“, sagte Balzer. „Unsere Mitarbeiter müssen flexibel sein. Also bin ich es auch. Hauptsache, die Deadline eines Projektes wird eingehalten.“

      „Er hatte nie gefehlt, sagten Sie. Hat er nie über Unwohlsein geklagt?“

      „Dass er nie gefehlt hat, bedeutet ja nicht, dass er sich immer wohl gefühlt hat. Ärzte machen krank, sagte er immer. Er nahm lieber ein paar Tabletten und ging zur Arbeit.“

      „Hatte er Probleme mit Drogen?“

      Balzer schüttelte den Kopf. „Nicht, dass ich wüsste.“

      „Wer weiß das schon“, mischte sich Sänger ein. Inzwischen hatte seine Gesichtsfarbe zu Lila gewechselt. „Die saufen sich doch alle die Birne blind. Hocken dabei stundenlang vor der Mattscheibe und wundern sich dann, wenn sie nicht fit genug sind für eine kleine Treckingtour.“ Er schnippte mit den Fingern.

      Alex versuchte, ihn zu ignorieren. „Mit Bauers Arbeit waren Sie zufrieden?“, fragte er Balzer.

      „Eigentlich schon.“

      „Was bedeutet ‚eigentlich‘?“

      „Nichts, nur eine Floskel. Es gab nichts auszusetzen.“

      Das kam sehr hastig, dachte Alex.

      „Was war sein Arbeitsgebiet?“

      „Er programmierte kundenbasierte Sicherheitskonzepte für IT-Systeme. Hauptsächlich zur Überwachung der Systeme gegen Angriffe von Viren, Trojaner und Worms. Jedes Land, jeder Kunde ist anderen Bedrohungen ausgesetzt.“

      „Er hatte Kontakt zu den Kunden?“

      „Ja, aber nur zusammen mit unseren Key Account Managern. Informatiker sind keine ausgebildeten Verkäufer.“

      „Wie kam er mit den Kollegen klar?“

      Balzers Blick flog kurz zum Bildschirm. Sänger ließ sich gerade einen Cocktail bringen. Die zarte, mit einem schweren Goldring verzierte Hand, die ihm die blaue Flüssigkeit mit Sahne reichte, gehörte sicherlich nicht der Servicekraft an der Hotelbar.

      „Gut“, sagte Balzer.

      Als ob du mir in Gegenwart deines Chefs etwas anderes erzählen würdest, dachte Alex. Unsoziales Verhalten eines Angestellten fiel immer auf den Vorgesetzten zurück. Balzer wollte Sänger gewiss keinen Grund geben, seine Führungsqualitäten in Frage zu stellen.

      „Hat er sich mit Kollegen privat getroffen? Gab es eine besondere Freundschaft?“

      Balzer rutschte verlegen auf seinem Stuhl hin und her.

      „Es ist nicht meine Aufgabe zu wissen, was meine Mitarbeiter außerhalb ihrer Arbeitszeit unternehmen. Kann sein, dass er sich mit seinen Kollegen getroffen hat.“

      Sänger hatte seinen Cocktail mit drei Zügen am Strohhalm geleert. „Der Bauer hatte keine Freunde unter den Kollegen. Der hat sich als was Besseres gefühlt. Nicht ganz ohne Grund. Aber, wie gesagt, er hätte mehr aus sich machen können.“

      „Hat er aber nicht“, murmelte Balzer.

      „Ich kann Sie nicht richtig hören“, beschwerte sich Sänger. „Verdammt. Da stirbt einer meiner Mitarbeiter und ich sitze hier in diesem Drecksland am Persischen Golf und verbrenne mir die Haut.“

      Mit diesen Worten brach die Verbindung zusammen. Vielleicht hatten Beamte des Geheimdienstes von