Emma Berfelde

Der Tote vom Winterstein


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nicht gewundert, dass Mathias Bauer seit ein paar Tagen nicht zur Arbeit kam?“

      Balzer schüttelte den Kopf. „Er hatte Urlaub. Zwei Wochen.“

      „Wollte er verreisen?“

      Balzer zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Er hat nicht davon gesprochen.“

      „Gab es Streit zwischen Bauer und seinen Kollegen?“

      „Nicht direkt.“ Balzers Ton blieb vorsichtig, obwohl sein Chef nicht mehr zugegen war.

      „Was dann?“

      „Er wirkte unnahbar. Er hat nie irgendetwas mitgemacht. Keine Feier, keinen Ausflug. Aber jede Menge Fortbildungen bezahlt bekommen. Und hat damit angegeben. Die anderen mochten ihn nicht besonders.“

      „Und warum sollte Ihr Chef das nicht hören?“

      Balzer wurde rot. „Sie haben eine bemerkenswerte Beobachtungsgabe.“

      Das ist mein Job, dachte Alex. Und du machst es mir leicht.

      Balzer schien mit sich zu kämpfen, dann hob er den Kopf. „Da war mehr als ein ,guter Draht‘ zwischen ihm und Bauer“, sagte er und starrte auf den dunklen Bildschirm.

      ***

      „Das letzte Mal gesehen?“ Anja Herlof griff wieder zu einem Wattebausch und goss Nagellackentferner darauf. Langsam rieb sie die ohnehin schon blanken Fingernägel noch einmal ab. „Das ist sehr lange her. Aber am Telefon, da hatte ich vorletzte Woche das letzte Mal das Vergnügen. Hab ihn um Geld gebeten. Wieder mal. ‚Wenn er dich fickt, kann er auch für dich bezahlen.‘ Das war das Letzte, was ich von Mathias gehört habe. Passt zu ihm, passt zu unserer Beziehung.“

      „Sie leben mit einem anderen Mann zusammen?“

      Anja Herlof nickte. Sie legte den nassen Wattebausch auf einen Teller, auf dem bereits ein vertrockneter Teebeutel, die Krümel eines Brotes und einige Papierschnipsel lagen. Säuberlich zusammengetragen, um sie schnell entsorgen zu können.

      „Sie haben Ihren Mann wegen ihm verlassen?“

      Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe Heiko erst vor zwei Jahren kennengelernt.“

      „Sie hatten zuletzt also Streit mit Ihrem Mann?“

      „Wir hatten immer Streit, hauptsächlich wegen Geld. Seit Laura in die Schule geht, zahlt er nur noch für sie. Ich könnte ja arbeiten gehen. Wenn ich keine Lust auf das Kind habe, soll ich es seinen Eltern überreichen. Überreichen! Als ob Laura ein Paket wäre, das man einfach bei den Nachbarn abgibt.“

      Milena runzelte die Stirn. Hatte Bauer ihr vielleicht sogar das Kind wegnehmen wollen? „Wie war das Verhältnis zwischen Vater und Tochter?“

      Anja Herlof zuckte mit den Schultern. „Anfangs, also kurz nach unserer Trennung, da wollte er sie gar nicht sehen. Dann doch. Jeden Freitag ging sie nach der Schule zu ihm. Er ging mit ihr ins Kino oder zur Lochmühle, je nach Wetter. Dann brachte er sie zu seinen Eltern. Sie hat ein eigenes Zimmer in der Luisenstraße. Samstagabend brachte Ulrich sie wieder zu mir. Ulrich ist mein Schwager.“ Anja sprach mit leiser, gefasster Stimme. „Aber das war nicht Ihre Frage.“ Sie blickte auf und starrte auf den Fernseher, als ob dort ein Teleprompter mit ihrem Text stünde. „Wir haben das gemeinsame Sorgerecht. Leider. Mathias hatte das vor Gericht durchgeboxt. Und sich immer wieder eingemischt. Aber es ging ihm gar nicht um Laura. Mir wollte er das Leben schwer machen.“ Sie fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. „Unsere Ehe war ein Albtraum. Es fing schön an und endete in der Hölle. Im Grunde ist es erst jetzt ganz vorbei. Jetzt, wo er tot ist.“

      Sie hat einiges durchgemacht, dachte Milena. Eine Ehe, die in die Brüche geht, und dann diese Schlammschlacht. Haben sie und das Opfer sich gegenseitig in den Hass getrieben? Hat sie sich endgültig aus dem Teufelskreis lösen wollen? Reicht das als Motiv für einen Mord?

      „Warum haben Sie sich nicht von ihm scheiden lassen?“

      Anja Herlof schloss für einen Moment die Augen. „Ich hab den ganzen Gerichtskram nicht gewollt. Es ging ja auch so. Keiner von uns wollte wieder heiraten.“

      „Mathias Bauer hat für seine Tochter Unterhalt bezahlt. Was ist mit Ihnen?“

      „Ich bin Friseurin und hab einen Teilzeitjob. Selbst wenn ...“ Anja stoppte und schaute verlegen auf ihre Fingernägel.

      Milena ahnte, was sie hatte sagen wollen. Selbst wenn ich das schwarz verdiente Geld dazu zähle, reicht es nicht. Doch Milena war nicht hier, um Anja wegen eines Steuerdeliktes zu verhören oder gar zu verhaften.

      „Selbst wenn ich das Kindergeld und den Unterhalt für Laura hinzuzähle“, fuhr Anja fort, „dann reicht es trotzdem nicht. Laura, in der Schule, da muss sie dauernd erklären, warum sie dies nicht hat und das nicht bekommt. Ich kann es mir einfach nicht leisten. Und Mathias, der hatte keinen Sinn dafür. Die Mädchenhefte mit dem Plastikzeugs, die Alben für die Sammelbilder. Er hasste so etwas. ‚Clever ausgelegte Drogen der Konsumindustrie, schon für die Kleinen‘, sagte er immer. Und dann die ganzen Marken. Warum eine teure Barbiepuppe mit dümmlichem Gesicht, wenn es auch welche gibt, die nur die Hälfte kosten? Er hat Kinderwünsche nie verstanden. Ohne Barbiepuppe gehört Laura nicht dazu. Auf Armut kann man nicht stolz sein.“

      Sie holte tief Luft. Ihr Gesicht hatte sich gerötet. Sich alles von der Seele zu reden, schien ihr gut zu tun. „Ulrich hat ihr anfangs hin und wieder etwas geschenkt, aber dann bekam er Ärger mit Mathias. Ulrich hat nachgegeben. Ist so seine Art, er weicht jedem Konflikt aus.“ Sie rutschte an den Rand des Sofas.

      „Hatte Ihr Mann Freunde?“

      Anja Herlof schnaubte und griff zum farblosen Nagellack. Sie begann, sich die Nägel der linken Hand zu lackieren. In Sekundenschnelle würde der Lack trocknen, versprach die Aufschrift.

      „Früher mal. Aus der Schule noch. Mit denen ist er hin und wieder ein Bier trinken gegangen. Aber das ist schon lange her. Er hörte auf, sich mit ihnen zu treffen. Schon während unserer Ehe fing es an. Zuerst meinte er, er könne mich doch nicht mit dem Kind alleine lassen. Aber das war nicht der Grund. Er brauchte einfach niemanden. Nicht seine Eltern, nicht seine Geschwister, nicht seine Freunde. Noch nicht einmal uns, Laura und mich. Er hat alle von sich gewiesen.“

      Sie griff wieder zum Fläschchen und strich mit dem Pinsel über die Nägel der rechten Hand. Nicht ganz so schwungvoll, bemerkte Milena. Also eine Rechtshänderin.

      Aus ihrer Recherche wusste sie, dass Mathias Bauer und Anja Herlof keine zwanzig Jahre alt gewesen waren, als sie geheiratet hatten. Nur fünf Monate nach der Hochzeit war ihre Tochter geboren worden. Eine Muss-Heirat? Und wenn ja, wer hatte darauf bestanden?

      „Sie sind sehr früh Mutter geworden“, sagte Milena.

      Anja sah sie herausfordernd an. „Und das, obwohl es die Pille gibt, meinen Sie?“

      „Das meinte ich nicht. Es ist nur ungewöhnlich. Die meisten Frauen ...“

      „Haben Sie Kinder?“

      „Das tut hier nichts zur Sache.“ Doch die Frage gab ihr einen unerwarteten Stich. Was sie ärgerte. Sie setzte sich aufrecht. Sie stellte hier die Fragen.

      Doch Anja sprach schon weiter. „Mathias war anfangs ein ganz netter Junge. Kein sehr schöner Anblick, aber sensibel, freundlich und gut. Dankbar, dass ich ihn mochte. Und ich hatte die Schnauze voll von eingebildeten Schönlingen. Wir wollten beide eine große Familie. Drei oder vier Kinder, zwei Mädchen und zwei Jungen, im Abstand von zwei Jahren. Und wir haben Laura bekommen. Dann hatte ich zwei Fehlgeburten. Der Arzt meinte, wir sollten uns nicht unter Druck setzen. Ich habe mich eine Weile geschont, dann wir sind in den Urlaub gefahren, tagsüber schön am Strand relaxen, abends romantisch Essen gehen und nachts wilder Sex.“ Sie lächelte kurz, dann legte sich ein Schatten über ihr Gesicht. „Es nützte nichts. Es wurde nichts aus der großen Familie. Alles wurde anders. Ich weiß nicht, warum. Mathias wurde hartherzig, ungerecht und zum Schluss unerträglich. Wir haben uns nur noch gestritten. Deshalb bin ich gegangen.“

      ***