Emma Berfelde

Der Tote vom Winterstein


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      „Möglicherweise geklaut. Die Simkarte dann bereits in der Müllverbrennung.“

      „Oder vom Mörder mitgenommen“, wandte Milena ein. „Der Provider wird mir die Anrufliste zufaxen.“

      „Kümmer dich drum. Was ist mit der Familie Bauer?“

      „Die Eltern sind merkwürdig“, sagte Jan. „Als der alte Mann sich an sein Herz griff, dachte ich, der Schmerz um den Verlust seines Sohnes sei zu viel. Aber es war nur eine der häufig auftretenden Herzrhythmusstörungen, wie mir die Ehefrau ruhig versicherte. Tabletten und Schlaf, dann wird alles wieder gut. Sie ist mit ihrer Enkelin zum Shoppen. Zum Shoppen, kurz nachdem sie erfahren hat, dass ihr Sohn tot aufgefunden wurde. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.“

      Alex räusperte sich. „Fehlende Mutterliebe macht noch keine Mörderin. Wie sieht es mit den Alibis aus?“

      „Zuhause, vor dem Fernseher. Beide. Haben sich einen Tierfilm angesehen.“

      „Hätten sie denn ein Motiv, ihren Sohn umzubringen?“

      „Nein“, sagte Jan. „Der Bruder ist eine andere Geschichte. Ich meine, er reagierte normal. Es gab eine gewisse emotionale Nähe zwischen den Brüdern. Verbündete von Kindheit an. Nicht direkt brüderliche Liebe, denke ich. Ulrich hatte eher Mitleid, Mathias dagegen wusste alles besser und stand sich manchmal selbst im Weg. Ulrich war der erklärte Liebling der Mutter, erfolgreich und zuverlässig. Trotzdem waren die Brüder keine Rivalen, denke ich. Ulrich bedauert es, nun nicht mehr mit seinem Bruder sprechen zu können.“

      „Gab es denn etwas zu klären?“, fragte Alex.

      „Er hat nichts erwähnt. Zumindest keinen Streit.“

      „Und was ist mit seinem Alibi?“

      Alex hörte Jan glucksen. Er grinste. „Lass mich raten: allein, fernsehen.“

      Jan lachte. „Scheint eine beliebte Freizeitbeschäftigung zu sein. Aber nein: am Montag war er in seiner Firma.“

      Alex hatte das Ortsschild von Rodheim erreicht. „Ok, wir treffen uns morgen früh im Büro. Und dann statten wir der Wohnung von Mathias Bauer einen Besuch ab.“

      ***

      Der Bildschirm des Fernsehers warf flackernde blaue Lichtfetzen auf das Paar, das sich auf dem Sofa räkelte.

      Anja strich mit ihren Fingern über Heikos tätowierten rechten Arm. Die verschiedenen Stationen meines Lebens, hatte er ihr mit ernster Miene erklärt, als ob er bereits achtzig Jahre hinter sich hätte und nicht gerade mal Mitte Zwanzig. Ein besonders bunter Frauenkopf hatte ihre Neugier geweckt. Seine Mutter in jungen Jahren, hatte er behauptet. Doch sie glaubte ihm nicht. Sicher war das seine erste Liebe gewesen.

      Im Fernsehen lief eine alberne Show, Heiko hatte das vorgeschlagen. Anja hätte lieber eine der Krimiserien in den privaten Sendern angesehen.

      „Sie wer'n das mit dem Hacken rauskriegen“, sagte Heiko und zog die Nase hoch. Bei Laura hätte sie sofort mit Schimpfen reagiert, jetzt hob Anja nur den Kopf von Heikos Schulter und sah ihn an.

      „Das mit dem Hacken?“

      „Ich hatt vor Jahren nen Firmenrechner geknackt und deswegen nen Prozess am Hals.“

      Anja setzte sich gerade hin und griff nach ihrem Glas Bier. „Und?“, fragte sie. „Wie ist der ausgegangen?“

      „Bin jedenfalls nich in den Bau gewandert.“

      Anja nahm einen Schluck.

      „Vielleicht finden sie ja auch das mit dem vielen Zaster raus“, sagte Heiko. Er grinste. „Dein Halb-Ex hatte Geld wie Heu und du wusstest es.“

      Der Schluck Bier rutschte ihr in die falsche Kehle. Die geballte Faust an ihre Lippen gepresst, hustete sie.

      Er klopfte ihr auf den Rücken. „So schlimm?“

      Anja schnappte nach Luft, es dauerte einen Moment, bis sie sich so weit erholt hatte, dass sie wieder sprechen konnte. „Ich erbe, weiter ist nichts.“

      „Ne reiche Witwe. Glaubst du nich, dass sie hellhörig werden?“

      „Ich weiß das nur, weil du mir das gesagt hast, Heiko. Weil du Mathias' Konto gehackt hast. Er selbst hätte mir nie im Leben davon erzählt. Dieser verdammte Geizkragen. Schön, wenn ich auch mal Glück habe.“

      „Hast du der netten Kommissarin denn gesagt, dass du was wusstest von dem Geld?“

      Anja seufzte. „Nein. Und wenn du nichts sagst ...“

      „Hast du deshalb gelogen?“

      Anja zuckte zusammen. „Ich hab nur nichts gesagt, das ist nicht gelogen!“

      Heiko grinste. „Das mein ich nich. Warum hast du gesagt, ich wär hier gewesen und hätt mit dir vorm Fernseher gesessen?“

      Kapitel 3 / 6. Oktober

      Am nächsten Tag steckte Hauptkommissar Alexander Wege im Haagweg in Bad Nauheim den Schlüssel in das Schloss einer Wohnungstür im oberen Stock. Zwei Schlüssel in zwei Schlösser, um genau zu sein. Als Alex den zweiten Schlüssel umdrehte, hörte er ein Klacken. Also war zusätzlich zum Kastenschloss ein Riegel, längs oder quer, angebracht worden. Mathias Bauer hatte sein Eigentum gut gegen Einbrecher gesichert. Aus der Mietwohnung im Dachspfad war der Mann nach Recherchen der Kollegen vor drei Monaten ausgezogen, der Hausmeister hatte ihnen keine Folgeadresse nennen können. Auch keiner aus der Familie. Nur Tochter Laura wusste Bescheid, hatte sie ihn doch als Einzige regelmäßig besucht. Auf dem Einwohnermeldeamt war man verwundert gewesen, dass Bauer sich nicht umgemeldet hatte. Es gab ein Aufatmen, als sich herausstellte, dass zumindest das Grundbuchregister auf dem neuesten Stand war.

      Alex betrat zusammen mit Milena und Jan die Wohnung. Er streifte sich Handschuhe über und wies seine Mitarbeiter an, es ihm nachzutun.

      Es roch muffig. Kein Wunder, dachte Alex, die Wohnung war seit fast einer Woche verwaist und folglich weder gelüftet noch gereinigt worden. Offensichtlich hatte Bauer keine Putzfrau beschäftigt. Oder Putzhilfe oder wie immer man es heute nannte. Die Küchentür stand einen Spalt offen, Alex sah benutztes Geschirr auf dem Tisch stehen, ansonsten war die Küche sauber.

      Er inspizierte das Wohnzimmer, während Jan sich die Küche vornahm und Milena das Schlafzimmer. Es war mit dem Wohnzimmer verbunden und Alex konnte Milena bei ihrer Arbeit beobachten. Sie ging systematisch vor, checkte den Inhalt des Kleiderschrankes und einen kleinen Berg schmutziger Wäsche. Es gab nichts an ihrem Vorgehen auszusetzen. Doch was sollte er in ihre Beurteilung schreiben, die fällig sein würde, wenn der Leiter des K 11 in Frankfurt seinen Antrag auf Versetzung positiv beantwortete? Gewissenhaft, teamfähig und vernünftig? Nein, eher stur, eigensinnig und impulsiv. Und in der Regel auch clever und zuverlässig. Eigenschaften, die Milena in seinen Augen zu einer guten Mitarbeiterin machten, die aber nicht jeder schätzte. Also doch die unehrliche Variante. Er musste ihr zu mehr Vorsicht raten, ein anderer Chef würde sich weniger bieten lassen.

      Als Milena sich bückte und unter das Bett sah, spannte sich ihre etwas ausgebeulte Jeans über ihren durch viele Stunden Fitnesstraining wohlgeformten Hintern. Dann stand sie wieder auf und drehte sich abrupt um. Alex wandte hastig seinen Blick ab. Milena würde sich beim kleinsten Anzeichen sexueller Belästigung über ihn beschweren. Und diesen negativen Eintrag würde er aus seiner Akte nicht so schnell wieder herausbekommen.

      Alex wandte sich mit diesem Gedanken von Milena ab und konzentrierte sich auf seine eigene Aufgabe. Auf einem kleinen Computertisch stand der Laptop, von dem David Balzer gesprochen hatte. Alex überprüfte das Modell, während der Rechner das Betriebssystem lud. Der Laptop war überraschenderweise nicht mit einem Passwort versehen. Außer dem Button auf dem Desktop, der die Verbindung zur Firma herstellte und den Mathias Bauer mit dem Namen „Saftladen“ versehen hatte, und den Standard-Icons wie „Papierkorb“, gab es keine weiteren Verknüpfungen. Schnell