Emma Berfelde

Der Tote vom Winterstein


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man’s nimmt.“

      Er führte Jan in einen Aufenthaltsraum, der direkt neben dem Sportraum lag. An den gelb gestrichenen Wänden hingen viele Vorher-Nachher-Bilder. Sicher dienten sie der Motivation, weiterzumachen, oder als ständige Mahnung, nicht wieder in alte Gewohnheiten zurück zu fallen. Jan schlenderte an der Wand entlang, nahm ein Bild nach dem anderen ins Visier. Er suchte nach dem Gesicht von Mathias Bauer, fand es aber nicht. Dafür gefühlte hundert Mal Dirk Eismann. Anfangs hatte er Schwierigkeiten, ihn zu erkennen, doch dann hielt er sich an die hellgrauen, leicht schrägen Augen mit den langen Wimpern und fand ihn auf jedem Bild. Immer wieder ließ Jan seinen Blick zum heutigen Dirk Eismann wandern, er konnte kaum glauben, dass der Mann mit Stiernacken, Dreifachkinn, schwabbeligen Brüsten und Schmerbauch tatsächlich zu Iron Dirk geworden war. Er wirkte heute jünger.

      „Ich habe fünf Jahre gebraucht, um mein Gewicht zu halbieren“, sagte Eismann. „Immer auf und ab, bis mein Körper den Rhythmus gefunden hatte. Dann war das Abnehmen nicht mehr so schwierig. Aber den Körper zu modellieren, das hat Kraft gekostet. Mental und physisch. Und am Ende eine Menge Geld.“ Er schob kurz sein T-Shirt hoch und klatschte mit einer Hand auf seinen Waschbrettbauch. „Nicht alles kann man mit Sport korrigieren. Ich habe viele Operationen gebraucht, um die Hautlappen entfernen zu lassen, nachdem das überflüssige Fett weg war.“

      Eismann zeigte auf einige Vorher-Bilder. „Geschwülste aus Fett, die in Kaskaden am ganzen Körper wabern. Weibliche Brüste bei Männern.“ Er schnalzte mit der Zunge. „Man müsste auf jede Tafel Schokolade und jede Tüte Chips diese mahnenden Bilder drucken.“ Er ging zum Tisch und goss sich einen blauen Energydrink ein. Er schob Jan den Krug und ein Glas zu, doch der lehnte dankend ab.

      Eismann setzte sich und trank das Glas in einem Zug leer. „Manna“, sagte er. Er zog einen zweiten Stuhl heran und stellte seine Füße darauf ab, die in neongelben Turnschuhen steckten. Die Arme lagen auf den Lehnen. „Was war Ihre letzte Frage, Herr Kommissar?“

      Betont lässige Haltung, dachte Jan. Ich habe mit dem Tod meines Kunden absolut nichts zu tun, sollte sie wohl ausdrücken. „Ob der Ehrgeiz, den Mathias Bauer Ihrer Meinung nach entwickelt hatte, ungesund war. Diese Frage haben Sie mit ‚Wie man’s nimmt‘ beantwortet.“

      Eismann drückte die Handflächen aneinander und stützte sein Kinn auf die Fingerkuppen. Er blickte Jan mit glitzernden Augen an.

      „Die meisten sind froh, nur das tun zu müssen, was ich ihnen vorgebe. Mathias wollte sich abheben, immer ein bisschen besser sein. Solche Leute gibt es in jeder Gruppe. Er war auch der Einzige, der meine Anweisungen immer mit einem blöden Witz kommentierte. Wirklich blöde Witze waren das, er glaubte, dass er witzig war, aber er war nur blöde.“

      Permanent blöde Witze? Hatte Mathias Bauer mit seinen Sprüchen seinen Trainer zur Weißglut bringen können? War Eismann irgendwann der Kragen geplatzt? War er Bauer gefolgt und hatte ihn den Hang hinuntergestoßen?

      „Kein einfacher Mensch und sehr unruhig“, fuhr Eismann fort. „Aber ohne Geduld kann man keine Erfolge erzielen, und ich habe mir in den letzten Jahren einen guten Ruf erarbeitet. Die Rückfallquote meiner Schäfchen ist sehr gering, jedenfalls geringer als bei anderen Gruppen. Sogar die Weight Watchers haben schon bei mir reingeschaut.“

      Er lachte laut. Zu laut, fand Jan.

      „Mathias Bauer hat sich also nicht einfach Ihrem Kommando gebeugt. Was machen Sie, wenn der Respekt fehlt?“

      „Mein Mathelehrer in der Oberstufe, wissen Sie, was der mit jedem Schüler mit schlechten Noten gemacht hat? Ihm vor allen Leuten gesagt, dass er zu doof sei für das Gymnasium. Dass er in die Wirtschaft gehen soll.“ Er beugte sich vor. „Ich habe viel von ihm gelernt. Nicht nur Mathe. Kompromisslose Härte, das ist mein Motto. Wenn er nicht einverstanden ist mit meinem Stil, kann er ja gehen, sagte ich ihm. Ich zwinge niemanden.“

      Eismann drückte wieder die Handflächen aneinander und drehte sie. Jan hörte ein unanständiges Geräusch, wie ein lauter Furz. Seine Hände müssen schweißnass sein, dachte er. Fragt sich nur, warum.

      „Wie oft findet dieses Training zum Abnehmen statt?“

      „Jeden Tag von achtzehn bis zwanzig Uhr.“

      „Und Sie können davon leben?“

      „Ich mache nicht nur diese ‚Lass deine Pfunde purzeln‘-Kurse. Auch Cardio Fit, Rückengymnastik, sogar das gute alte Konditionstraining ist wieder beliebt. Selbst wenn die eine oder andere Gruppe sich auflöst, weil sie aus lauter Schlappschwänzen besteht, komme ich über die Runden.“

      „Sie waren also nicht davon abhängig, Bauer als Kunden zu behalten?“, fragte Jan.

      Eismann runzelte die Stirn.

      „Gab es Streit?“

      Eismann strich sich über das Gesicht, dann hob er beide Hände, als wolle er sich ergeben. „Sie werden es eh erfahren“, sagte er leise. „Ich habe Mathias rausgeschmissen. Ein blöder Witz zu viel. Er kam wieder. Ich forderte ihn auf zu gehen. Er sagte, ich solle den Ball flach halten. Ich drängte ihn aus der Tür. Er sagte, er habe bezahlt und würde einen Anwalt einschalten. Da der Kurs nur noch zwei Wochen dauerte, durfte er bleiben. Er war erstaunlich still. Kein Spruch kam mehr über seine Lippen.“

      „Sie haben ihn gewinnen lassen?“

      Eismann seufzte. „Wie gesagt: Er hatte bezahlt.“ Er blickte auf den Boden.

      Also ja, dachte Jan. Und das hat dir gar nicht gefallen, nehme ich an. Er zog einen der Flyer heran, die wahllos auf dem Tisch verstreut lagen. Es war der gleiche, den sie bei Bauer in der Wohnung gefunden hatten, nur ohne Kritzeleien. Er wies auf die Kontaktdaten. „Sie sind selbständig?“

      Eismann sah ihn wieder an und nickte.

      „Eine schwierige Branche?“

      „Jede Selbständigkeit birgt ihre Risiken.“

      Jan lehnte sich zurück. „Mathias Bauer war mit Ihrem Stil nicht einverstanden, sagten Sie. Sie sind mit ihm aneinander gerasselt. Mal angenommen, er hätte sich rächen wollen. Hätte versucht, Ihren Ruf zu schädigen. Ihre Qualifikation anzuzweifeln.“

      Eismann schwieg. Seine Miene war versteinert.

      Jan frohlockte. Er hatte einen Nerv getroffen. „Hat er es versucht?“

      Eismann nickte. „Im Internet. Da kursierten gewisse Gerüchte über mich.“ Seine Augen glitzerten. „Haltlose Gerüchte.“

      „Was für Gerüchte?“

      „Mathias hat behauptet, dass ich die Bilder gefälscht habe.“

      „Welche Bilder?“

      „Diese Vorher-Nachher-Bilder. Es sei Betrug. Ich würde mit einer Lüge ein Vermögen machen.“

      „Ist da was dran?“

      Eismann nahm seine Füße vom Stuhl und setzte sich auf. Sein Gesicht hatte sich gerötet, mit den Händen umklammerte er die Lehnen. „Natürlich nicht. Ich kann alles vorlegen. Die Operationen, die Krankenakte von meinem Arzt. Alles.“

      Es sah aus, als warte er nur auf ein Kommando, um davon zu stürmen und die Unterlagen zu holen. Und das wirst du auch müssen, Iron Dirk. Aber Jan hatte auch Verständnis. Cybermobbing war zum Volkssport geworden. Die meisten Rufmörder waren jedoch zu feige, ihren eignen Namen zu benutzen.

      „Er trat wirklich offen auf?“

      „Natürlich nicht.“

      „Aber Sie wissen, dass es Bauer war?“

      „Wer sonst?“

      „Wie haben Sie reagiert?“

      „Ich habe die Beiträge gelöscht, ansonsten habe ich dazu geschwiegen. Wenn ich keine Selbstachtung mehr habe, kann ich einpacken.“

      „Kein Streit darüber mit Mathias Bauer?“

      „Kein Streit mit Mathias.“

      „Wann