Emma Berfelde

Der Tote vom Winterstein


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durfte.“

      „Und stimmte seine Selbsteinschätzung?“

      Balzer schaute auf den Boden. „Einige Kunden haben sich über seine herablassende Art beschwert. Ich habe ihm eine Abmahnung erteilt. Aber dann ist er nach oben und ich habe Anweisungen bekommen, ihn in Ruhe zu lassen.“

      „Direkt von Clemens Sänger?“

      Balzer nickte. „Aber ich bin sicher, dass diese ... diese Sonderstellung bei Sänger nichts mit seinem Tod zu tun hat.“

      Da bin ich anderer Ansicht, dachte Alex. „Hatte er auch Sonderaufgaben?“

      Balzer schwieg. Ein Pulk von Menschen in Businesskleidung hastete an ihnen vorbei zur nahen S-Bahn-Station.

      „Ich habe mich schlau gemacht“, bekannte Balzer, als sie wieder alleine waren.

      „Und?“

      „Ich bin ein Experte für Überwachungssysteme.“

      „Und?“

      „Der Firmenrechner ist sauber. Keine dubiosen Internetseiten, keine Kontakte zu Kunden, die ich nicht kenne. Keine Aufträge von ganz oben, keine Zahlungen für Sonderdienste.“

      Alex schnalzte mit der Zunge.

      Balzer steckte beide Hände in die Hosentaschen. „Alle Mitarbeiter verfügen über einen von der Firma gestellten Laptop, den sie auch privat benutzen dürfen“, fuhr er fort. „Mit der Software versehen, die sie brauchen, um sich von Zuhause in den Server der Firma einloggen zu können.“

      „Und?“

      „Es muss einen dritten Rechner geben.“

      ***

      Milena räusperte sich. „Sie sind noch mit ihm verheiratet und erben.“

      „Was wollen Sie damit andeuten?“

      Milena ließ sich von Anja Herlofs empörten Blick nicht beirren. „Kennen Sie seine finanzielle Situation?“

      „Er war geizig. Jedem Pups Geld musste ich hinterherrennen. Mein Konto ist tief im Dispo. Seins sicher nicht. Geizige Menschen haben immer Kohle.“

      „Sie hoffen also, dass Sie jetzt eine ganze Menge Geld erben?“

      Anja Herlof lachte verächtlich. „Und deshalb habe ich ihn ... ja, was genau? Ihm einen Schubs gegeben? Das kann nicht Ihr Ernst sein. Schauen Sie mich an!“

      Milena musterte den zierlichen Körper und musste ihr recht geben. Es war unwahrscheinlich, dass diese Frau einen etwa hundertdreißig Kilogramm schweren Mann über die Kante gestoßen hatte.

      „Mathias war schon immer ein Angeber. Wahrscheinlich hat er eh nur Schulden hinterlassen. Dann werde ich das Erbe natürlich ausschlagen. Und mein Schicksal beklagen. Anja, die Pechmarie. Vielleicht habe ich aber auch mal Glück und bekomme ein wenig Geld. Was ich auch dringend brauche, da der Unterhalt für Laura jetzt wegfällt. Wenn er mir ‚eine ganze Menge Geld‘ vererbt, dann bringe ich sogar Blumen an sein Grab.“

      Harte, ehrliche Worte, dachte Milena. Diese Witwe zeigt keine falsche Trauer. Meine Ehe war die Hölle, hat sie gesagt. Und ihrem Mann die Schuld daran gegeben. Eine einseitige Sicht, wie so oft. Mathias Bauer kann sich nicht mehr wehren. Wenn Ehen auseinanderbrechen, haben meist beide Partner zum Scheitern beigetragen. Welche Schuld trifft Anja Herlof?

      Ein leises Geräusch aus dem Flur ließ Milena aufhorchen. Die Wohnungstür wurde aufgeschlossen. Anja Herlof erhob sich hastig. Noch bevor sie den Flur erreichte, ertönte ein fröhliches „Rate mal, wem ich heute ein Grab geschaufelt habe, Schatz“. Eine männliche Stimme. Anja Herlof begrüßte ihren Freund mit einem übertriebenen Aufschrei. Milena hörte für lange Momente heftiges Schmatzen aus dem Flur, dann ein leises Flüstern. Grab geschaufelt? Offensichtlich war Anja Herlofs Lebensgefährte ein Mensch mit einer Vorliebe für schrägen Humor. Oder steckte mehr dahinter? Anja Herlof hatte es verdächtig eilig gehabt, zu ihrem Freund zu kommen. Um ihn zu warnen?

      Der Mann, vielleicht Anfang Zwanzig, erschien im Türrahmen. In Sekundenschnelle registrierte Milena den kahl geschorenen Schädel, das kurzärmlige T-Shirt, die von den Schultern bis zu den Handgelenken mit Symbolen tätowierten Arme, die extrem dünnen Beine in Röhrenjeans und die wachsamen, braunen Augen. Langsam ging der Mann zurück in den Flur und kam nach einigen Augenblicken in einem langärmeligen Shirt mit Kapuze zurück. Schwarz wie alles, was er trug, mit einem Aufdruck, der Milena nichts sagte.

      „Frauen werden leicht nervös bei meinem Anblick“, erklärte er mit einem schiefen Lächeln. Der wachsame Ausdruck hatte seine Augen nicht verlassen. „Polizei?“

      Milena nickte und stellte sich vor. Ihre Haut prickelte. Nicht immer lag sie mit ihren Vermutungen richtig, aber sie würde ein ganzes Monatsgehalt darauf wetten, dass Anjas Freund keine liebevollen Beziehungen zur Polizei pflegte.

      „Sie sind wer?“

      „Heiko“, sagte der Mann zögernd.

      „Heiko wie?“

      „Kling.“

      „Sie leben hier?“

      „Warum wollen Sie das wissen?“

      „Der Ehemann Ihrer ... Freundin ist tot aufgefunden worden. Wir untersuchen, ob Fremdeinwirkung vorliegen könnte.“

      „Wie?“

      Heiko Kling schien nicht der Hellste zu sein. Oder er wollte sie das denken lassen.

      „Mathias Bauer ist gestürzt. Im Wald. Genickbruch.“

      Heiko Kling warf seiner Freundin einen Blick zu und schwieg.

      „Er könnte gefallen sein.“ Milena machte eine kunstvolle Pause. „Er könnte aber auch gestoßen worden sein.“

      „Ach so. Ich soll ihn gestoßen haben?“ Er lachte auf, dann wandte er sich an Anja. „Typisch.“

      „Wo waren Sie am vergangenen Montag?“

      Anja Herlof stellte sich schützend vor ihren Freund. „Er war hier. Den ganzen Tag. Es war mein freier Tag. Wir haben im Bett gelegen und ferngesehen.“

      „Und gefickt, die Kleine war ja in der Schule.“ Heiko Kling grinste. „Ich würd's auch tun, wenn sie da ist. Aber mein Liebchen hier ist da anderer Meinung. Anja ist eine sehr fürsorgliche Mutter.“

      Hoffentlich, dachte Milena.

      Anja Herlof knuffte ihren Freund in die Seite und lachte. „Angeber. Koch schon mal Kaffee!“

      Sie schob ihn in Richtung Küche und drehte sich zu Milena um. „Er schockt die Leute gerne. Aber er ist kein schlechter Mensch. Sehr sanft und liebevoll. Er hat mir noch nie widersprochen. Er tut alles, was ich sage. Er räumt hier auf und wäscht ab. Ein Mann, der freiwillig den Müll runterbringt, wo gibt’s das heute noch? Er ist ganz anders als Mathias. Ziemlich harmlos.“

      ***

      Alex war auf der Fahrt von Eschborn zurück nach Friedberg und hatte über die Freisprechanlage Milenas Nummer im Büro angewählt. Deren Telefon war auf Lautsprecher gestellt, damit Jan verstehen konnte, was sie besprachen.

      „Habt ihr irgendeinen Hinweis auf Mord gefunden?“, fragte Alex.

      „Keinen“, sagten Milena und Jan gleichzeitig.

      „Die Ehefrau ist normalerweise Verdächtige Nummer eins. Was ist mit ihr?“

      „Anja Herlof lebt schon seit fünf Jahren von ihrem Ehemann getrennt“, informierte ihn Milena. „Warum sollte sie ausgerechnet jetzt ihren Mann ermorden? Außerdem hat sie ein Alibi.“

      „Und das wäre?“

      „Ihr Freund. Sie haben zusammen ...“, sie machte eine Pause, „... ferngesehen.“

      „Aha.“ Die Ampel schaltete auf Gelb. Alex wusste, dass hinter der Ampel ein Blitzer stand, bremste scharf und kam noch rechtzeitig