Emma Berfelde

Der Tote vom Winterstein


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zugedeckt. Berechtigterweise, es gab nicht oft einen Todesfall zu klären. Es bedeutete allerdings auch, dass sie vielleicht den großen Auftritt vergessen konnten, den sie für das nächste Wochenende geplant hatten.

      Saskia klopfte nicht auf seinen Rücken, glitt aber von ihm runter und legte sich neben ihn.

      „Stress?“, fragte sie mit sanftem Ton.

      Er lächelte sie an. Er liebte sie. Seine verständnisvolle Frau. Er nannte sie in Gedanken immer so, auch wenn sie nicht verheiratet waren. Noch nicht.

      „Geht noch“, erwiderte er und gähnte mit vorgehaltener Hand. „Aber ich weiß nicht, ob wir nächsten Sonntag ...“

      Sie drehte sich auf den Rücken. „Letztes Mal war es die Einbruchserie.“ Ihr Ton war nüchtern, aber auch ein wenig bitter. „Wir hatten es tatsächlich geschafft, deine Eltern, meine Eltern, deine Schwester, deinen Bruder und meinen Bruder auf einen gemeinsamen Termin festzunageln. Dann hat Major Ways gerufen, Soldat Sielau stand stramm und die Verlobung fiel ins Wasser.“

      Jan grinste erleichtert. Hätte Saskia „dein blöder Chef“ gesagt, wäre das ein Alarmzeichen gewesen. „Major Ways“ war ihr Geheimcode, ein Augenzwinkern, ein Dampf-Ablassen, wenn sein Dienst ihren Plänen dazwischen kam.

      „Du hast einen Bullen gewählt“, erinnerte er sie.

      „Und keinen Ochsen, ich weiß.“ Sie schwang sich vom Bett, ging zum Schrank, nahm einen Bademantel vom Haken und zog ihn sich langsam über den nackten Körper. Sie stellte sich verführerisch in Pose. „Oder vielleicht doch?“

      Jan setzte sich auf und stopfte sich das Kissen in den Rücken. „Diesmal sagen wir es ihnen auf jeden Fall. Wenn nötig, über Skype.“

      Saskia setzte sich an ihren Frisiertisch. Sie besaß so ein altmodisches Ding mit einem großen, an manchen Stellen bereits blinden Spiegel. Sie zupfte an einer Haarsträhne, dann griff sie nach einer Cremedose. Sie schraubte den Deckel ab und hielt inne. Sie schaute ihn an, Schalk in den Augen. „Das wär's doch. Skype.“

      Ist sie doch verärgert?, fragte sich Jan. Manchmal fiel es ihm schwer, ihre Stimmungen auszuloten, auch wenn sie bereits seit mehr als zehn Jahren ein Paar waren.

      „Ich sag ja nur, vielleicht“, sagte er eilig. „Alex glaubt nicht an einen Mord, also kann es sein ...“

      „Im Ernst“, unterbrach ihn Saskia. „Mama weiß, wie das geht, seitdem Hubsi in den Staaten war.“ Hubsi war ihr Bruder Hubert. „Dein Vater kann auch damit umgehen. Unsere Geschwister sowieso. Wär doch originell. Wir fahren irgendwo hin, morsen alle an und wenn wir sie zusammen haben, halten wir die Ringe ins Bild.“

      „Das ist weder romantisch noch feierlich.“ Jan beobachtete, wie sie sich wieder zum Spiegel drehte, einen Klacks Creme auf ihren Finger nahm und sie auf die weiche Haut unter ihren Augen strich. „Lass uns einfach abwarten.“

      Ihre Verlobung sollte kein beiläufiges Ereignis werden. So vieles in ihrem Leben war vernünftig abgewägt worden. Ihre Berufswahl, beide Beamte, er bei der Polizei, sie beim Finanzamt. Noch wohnten sie zur Miete, aber sie schauten sich bereits nach einem Eigenheim um. Mit großem Garten, genug Platz für zwei, drei spielende Kinder. Hier in Friedberg, die Familien quasi um die Ecke.

      Jan klopfte auf das Kissen neben sich. Saskia zögerte erst, dann stand sie langsam auf und setzte sich zu ihm aufs Bett. Er zog sie in seine Arme und gab ihr einen Kuss. „Kein Skype“, sagte er. „Am nächsten Sonntag fahren wir mit unseren Familien im Oldtimerbus zum Kloster Arnsburg und stoßen dort mit ihnen auf unsere Verlobung an.“

      „Und dein Chef?“

      „Wird einen Tag ohne mich auskommen können.“ Es klang zuversichtlicher, als er sich fühlte.

      ***

      Sein Fuß wippte im Takt der Musik, doch Alex war nicht bei der Sache. Seine Gedanken verirrten sich in zwei Richtungen: zum Fall Bauer und zu seinem Antrag auf Versetzung nach Frankfurt.

      Beim Toten vom Winterstein deutete momentan alles auf einen Unfall hin. Die Obduktion war zwar noch im Gange, er rechnete aber nicht damit, dass die Erkenntnisse stark von Dr. Bremers erster Einschätzung abweichen würden. Einen konkreten Hinweis für ein Tötungsdelikt gab es nicht, geschweige denn einen Verdächtigen.

      Alex‘ Antrag auf Versetzung hatte die nächste Hürde genommen. Noch am Freitag hatte er ein aufschlussreiches Gespräch mit seinem potentiellen zukünftigen Chef geführt. Sollte das Präsidium zustimmen, stand seinem neuen Job nichts mehr im Wege. Außer ...

      Alex drehte seinen Kopf und betrachtete das Profil seiner Freundin Dorothea. Sie saß mit erhobenen Kinn und ausgestreckten Beinen auf dem unbequemen Stuhl. Er wusste nicht wie sie es schaffte, gleichzeitig entspannt und aufmerksam zu erscheinen.

      Sie hatte ihn heute Abend zu der Veranstaltung in der Aula der Augustinerschule geschleppt. Theas Nichte spielte Klarinette im Schulorchester. Nicht, dass Alex sich langweilte. Er mochte sogar die lateinamerikanische Musik, auch wenn sie hier eher sorgfältig einstudiert wirkte und weniger aus dem Bauch heraus kam. Vor vielen Jahren war er in Frankfurt bei einem Konzert des „Buena Vista Social Club“ gewesen und seitdem von den karibischen Rhythmen begeistert. Er hatte Kuba besucht, war auf Jamaica gewesen, in New Orleans und Venezuela. Das war, bevor er Thea kennengelernt hatte. Nicht, dass er seitdem keinen Urlaub mehr gemacht hätte, aber ihre gemeinsamen Reisen hatten sie nach Paris, Schweden, Thailand und aufs Baltikum geführt. Interessant, keine Frage, aber so kulturbeflissen. Als er in Schweden Angeln gehen wollte, hatte Thea ihn angeblickt, als habe er einen Flug zum Mond vorgeschlagen. Dieses Jahr hatten sie sich zum ersten Mal nicht auf ein Ziel einigen können. Er hatte mit einem alten Kumpel aus Kasseler Tagen einen Trip nach Kanada gebucht. Zwei Männer in einer einsamen Hütte an einem einsamen See, ein Traum von einem Urlaub. Thea wusste davon noch nichts.

      Er drehte seinen Kopf wieder Richtung Orchester. Thea wusste auch noch nichts von seiner Absicht, in Frankfurt zu arbeiten. Er fürchtete sich vor den Konsequenzen. Er war ein effizienter Chef, aber ein lausiger Partner. Thea würde diskutieren, ihn umstimmen wollen. Worüber sollten sie diskutieren? Sie würde nicht mit ihm in die Großstadt ziehen. Sie war Lehrerin an einer Grundschule in Bad Nauheim und es war ihr schon lästig genug, jeden Tag mit dem Auto die drei Kilometer von Friedberg in die Nachbarstadt zu fahren. Er hingegen wollte wieder raus aus der Provinz und rein ins Großstadtgetümmel. Er wusste, was das bedeutete: eine Wochenendbeziehung mit allen Höhen und Tiefen oder ein Schlussstrich unter eine fünfjährige, meist harmonische, aber nie perfekte und manchmal auch eintönige Partnerschaft.

      Thea beugte sich zu ihm herüber. „Sie spielt nicht schlecht“, flüsterte sie. Ihre Schwester wollte von ihr eine ausführliche Beurteilung des musikalischen Talents der Tochter. Und die würde sie auch bekommen, gnadenlos ehrlich. „Aber der Feinschliff fehlt.“

      Kapitel 4 / 8. Oktober

      „Er hat einen enormen Ehrgeiz entwickelt“, sagte Dirk Eismann zu Jan.

      Sie standen in einem kleinen Sportraum. Die Luft war stickig. Obwohl einige der kleinen Fenster gekippt waren, gab es nicht den kleinsten Windzug. Es roch nach Schweiß und den Ausdünstungen des Gummibelags.

      Mathias Bauers ehemaliger Fitnesstrainer hatte blondes Haar, hinten war es kurz, vorne länger und mit viel Gel zu einer kleinen Tolle gestylt. Die Arme in die Hüften gestemmt, posierte er breitbeinig wie ein Hauptfeldwebel, der kritisch die sportlichen Fortschritte seiner Rekruten beobachtete. Das ärmellose T-Shirt spannte sich über seinem muskulösen Oberkörper, die Shorts saßen eng und endeten zehn Zentimeter über den Knien. Definitiv nicht der magere und sehnige Yoga-Guru, den Jan erwartet hatte.

      Er selbst war immer sehr schlank gewesen, fast hager, mit einer mageren, unbehaarten Brust. Durch das Boxtraining hatte er eine annehmbare Kondition erworben, aber er wusste, dass er nie ein Arnold Schwarzenegger werden würde. Im Gegensatz zu Eismann. Gut, dass Saskia nicht auf muskulöse Männer stand.

      Alex nahm an, dass Bauers rigides Abspeckprogramm