Jörgen Dingler

Oskar trifft die Todesgöttin


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natürlich, dass es nicht so war und besah sich den mutmaßlichen zweiten Dienstwagen.

      Es war in der Tat ein Touareg, aber einer, der selbst für Kenner nicht auf den ersten Blick als solcher erkennbar war. Dieser Touareg sah sogar noch ‚gefährlicher‘ als der von Jean-Pierre bewegte aus. Konnte der vielleicht auch Schiffe schleppen? Dem Aussehen nach handelte es sich um einen Stealthbomber auf Rädern: komplett mattschwarz, dunkle Fenster, schwarze Rückleuchten, sogar verdunkelte Scheinwerfer-Deckgläser, verbreiterte Radkästen, in ihnen übergroße, schwarze, martialische Leichtmetallräder mit monsterbreiten Reifen. Die VW-Zeichen im Grill und am Heck waren schwarz, kein Fitzelchen Chrom. Nichts glänzte, nichts blinkte, nichts Helles – alles schwarz. Sogar die riesigen Scheibenbremsen waren dunkel. Wahrscheinlich Keramikbremsen, schlussfolgerte Oskar. Der gebürtige Berliner war mit Schuhen und gerecktem Hals so gerade eben groß genug, um mehrere feine Querfugen im Dach erkennen zu können. Man musste schon sehr genau hinsehen, so passgenau waren die vier Dachsegmente aneinander gefügt. Das war weder ein Sonnen- noch ein normales Schiebedach. Sehr interessant! Und wie sah es im Inneren aus? Allein die getönte, aber zumindest nicht schwarze Frontscheibe bot ein wenig Einblick, ein minimales Zugeständnis an geltende Zulassungsbestimmungen. Im Inneren schien es ebenfalls einige Extras zu geben. Das auffälligste war eine am Sportlenkrad angebrachte Kugel – sicherlich eine Art Bedieneinrichtung für was auch immer. Abschussvorrichtung? Auslöser für den eingebauten, unter den dunklen Scheinwerfergläsern versteckten Raketenwerfer?

      Jetzt sind wir aber wirklich bei James Bond, kam ihm ein eigener Einwand in den Sinn. Dennoch passte es irgendwie zu dem schiere PS-Power ausstrahlenden, gepanzerten ‚Sonderfahrzeug‘. Die für geübte Augen erkennbar dicken Fensterscheiben sprachen für eine zumindest leichte bis mittlere Panzerung. Seine Augen wanderten wieder zum Kühlergrill. Moment! Inmitten des Kühlergrills prangte etwas, das er auf den ersten Blick für ein normales, allerdings ‚unsichtbares‘ weil geschwärztes VW-Logo gehalten hatte. Es war ein Kreis, der statt eines Vs und Ws lediglich ein V umschloss. Und dieser Kreis war an seiner rechten Seite von einem schmalen Spalt unterbrochen. Kein Kreis, ein C. CV. Na klar.

      »Kann man mit dem auch Schiffe schleppen?«, fragte Oskar in die Runde. Es war ihm egal, ob Christine oder Jean-Pierre die Frage beantworten würde. Er wollte in erster Linie von der Missstimmung ablenken. Soviel Harmoniebedürfnis war ihm sogar als Berufsmörder geblieben. Ihm behagte nicht, wenn Menschen wegen ihm ein Zerwürfnis hatten. So verhielt es sich zumindest bei Menschen, die ihm nicht egal waren. Er liebte nicht nur Christine, langsam aber doch begann er, ‚ihren‘ Jean-Pierre nicht nur zu verstehen, sondern zu mögen. Die schlaue Christine hatte recht: ‚Die zwei werden sich mögen.‘

      »Der kann eher einen Airbus in die Luft ziehen. Ist mehr auf Speed getrimmt«, brummte Jean-Pierre.

      »Noch mehr?!«, fragte Oskar ungläubig. Schon der von Jean-Pierre bewegte Wagen galt nicht nur als außerordentlich stark, sondern auch schnell. ‚Keine Tempoabriegelung bei 250‘.

       Was sind denn schon 250 Sachen? Da lassen wir uns noch lange nicht abriegeln!

      »Ist das auch ein V10?« Oskar sah abwechselnd zu Jean-Pierre und Christine. Die wandte ihren Kopf von Oskar ab und signalisierte mit einem erwartungsvollen Blick zu ihrem dunkelhäutigen Vertrauten, sich dieses Mal zurückhalten und den Männern das automobile Wortgeplänkel überlassen zu wollen.

      »Nein«, brummte Jean-Pierre noch tiefer. »Auch kein Diesel, sondern ein Benziner. Ein W12 Biturbo, weit jenseits der 500 PS. Wir wissen es nicht genau, weil er den Leistungsprüfstand zerfetzte. … Und der geht bis 600… plus zehn Prozent Toleranz.«

      »Demnach irgendwo jenseits der 660 PS«, grummelte Oskar kaum hörbar und hob die Augenbrauen. »Voll der Hammer«, quittierte er lauter.

      »Eben nicht. Ein ‚Hummer‘ sieht gefährlich aus, ist aber ein Spielzeugauto dagegen«, konterte Jean-Pierre, der wusste, dass der phonetisch ähnlich klingende Machotraum auf vier Rädern nicht gemeint war.

      »Der sieht aber auch nicht grad ungefährlich aus. Wer braucht denn sowas?«, spielte Oskar auf Christines Bemerkung über den Bugatti an.

      »Jemand, der überall Schnellster sein will. Auch abseits der Straße«, plapperte Christine sorglos. Ihre Augen studierten ihren neuen Lover, wie der den Wagen studierte. Obwohl er komplett versteinert dastand, machte diesmal Jean-Pierre den Eindruck, als hätte er Christine für ihre Äußerung rügen wollen. Der reglose Modellathlet schien genau darauf zu achten, wie weit sich seine Chefin mit ihren Äußerungen aus dem Fenster lehnen würde. Trotz seiner spürbaren Begeisterung für dieses Monstervehikel verkniff er sich das Kundgeben weiterer technischer Details. Und das wiederum registrierte Oskar.

      Bingo! Damit war die innere Frage beantwortet oder eher die Vermutung bestätigt. Dieses über und über schwarze, furchterregende Vehikel war sicher ein Dienstfahrzeug. Und zwar Kalis – freundlich zur Verfügung gestellt von ihrer Chefin Christine Vaarenkroog, CV. Ob die tödliche Kali genauso wie ihr Dienstwagen das Eigentum der schönen Designerin war? Kali ist ein Werkzeug Christines Werkzeug. Und dieser schwarze Bomber war eins von Kalis Werkzeugen. Oskars erste Berührung mit der zeitgemäß ausgestatteten Todesgöttin bestand darin, mit einer Hand über den matten Lack ihres Boliden zu fahren.

      »Darf man so überhaupt rumfahren?«, brach er in die geradezu telepathische Stille zwischen Christine und Jean-Pierre ein und tippte mit dem Finger auf die dunklen Scheinwerfergläser.

      »Sondergenehmigung«, brummte der große junge Mann knapp. Wahrscheinlich wollte er mit seiner flotten Auskunft weiteren Äußerungen von Christine vorgreifen. Jean-Pierre passte in der Tat auf Christine auf, auch in dieser Hinsicht. Er achtete darauf, dass sie sich nicht verplapperte und damit eventuell in Gefahr brachte. Der Junge war auf Zack! Noch eine Frage war soeben beantwortet, eine weitere Vermutung bestätigt: Das ‚Mädchen für alles‘ war wirklich ein enger Vertrauter der Modedesignerin und Killer-Agentin. immer mehr sprach dafür, dass er Kenntnis von dem geheimen Nebenerwerb besaß.

      »Aha. Na dann… darf man das wohl«, quittierte Oskar abgehackt und stülpte erneut die Unterlippe vor. Klar. Vaarenkroog und Co, die Sippe der Sondergenehmigungen. Dieses ‚Auto‘ war eine einzige fahrende Sondergenehmigung. Das galt bereits für die offiziellen, sichtbaren oder zumindest leicht auffindbaren, nicht serienmäßigen Teile. Ein Raketenwerfer mochte wohl übertrieben sein, aber dass dieser Wagen auch das ein oder andere extravagante Special beherbergte, stand außerhalb jeder Diskussion. Specials, für die keine Verkehrsbehörde dieser Welt Sondergenehmigungen erteilen würde.

      James Bond und sein Ausstattungsspezialist Q lassen grüßen.

       Wie war das gleich? Gegen Kali und ihre Agentin sind wir Waisenknaben!

      Eine lebende Killerlegende stand einem Kinohelden wohl kaum nach. Nur: Das hier war echt, kein Kino.

       Ihr Vehikel ist hier! Sie demnach auch. Zumindest sehr wahrscheinlich.

      »Schatz…«, begann Christine niedlich.

      »Ja?«

      »Wir wollten uns jetzt eigentlich nur noch von Jean-Pierre verabschieden, und ihr Männer macht wieder eine Auto-Diskussion daraus.«

      »Tschuldige.«

      »Ist nicht schlimm. Ich steh auch auf Autos, wie du vielleicht schon gemerkt hast.« Sie sah Oskar süß und mitleiderregend von unten an. Papa Vaarenkroog hatte recht: Sie konnte ihre Niedlichkeit wirklich manipulativ einsetzen. Etwas Niedlicheres als diese Frau musste erst noch erfunden werden. »Aber ich möchte weiter«, zog sie einen Schmollmund.

      »Aber klar, Süße. Äh… wir fahren weiter?«

      »Ja. Wir zwei, Jean-Pierre bleibt hier.«

      »Ihr habt das Liebesnest, Oskar«, spitzte Jean-Pierre. Auch diese Äußerung konnte Oskar nachvollziehen. Der Vertraute musste den neuen Lover als Störfaktor sehen. Mehr noch: als Gefahr. Dafür brauchte es keine Eifersucht.

      »Eigentlich dachte ich, du würdest