Jörgen Dingler

Oskar trifft die Todesgöttin


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es wohl nicht nur Christines Zentrale. Zuviel deutete auf eine Kali-Infrastruktur hin. Und sie war hier! Zumindest sprach die Anwesenheit ihres ‚Dienstwagens‘ dafür. Ihm fielen Garagen auf. Warum stand der schwarze Bomber nicht auch in der Garage? Weil er regelmäßig und wohl auch kürzlich bewegt wurde. Deswegen war auch sie hier!

      Ganz schön leichtsinnig. Der Blonde berichtigte sein Urteil über vermeintlichen Leichtsinn, den Wagen ‚offen‘ herumstehen zu lassen. Das Spezialfahrzeug stand auf einem hochgesicherten, nicht von außen einsehbaren, menschenleeren Gelände. Einzig Oskar war ein Betriebsfremder, aber sicherlich kein Insider, der auf Kalis Vehikel schließen könnte. Die reale Todesgöttin war keinem Normalbürger ein Begriff.

      »Heute nicht mehr, mein Schatz. Ich möchte mich nur noch entspannen«, Sie zwinkerte und machte eine aufmunternde Handbewegung in Jean-Pierres Richtung. Oskar reichte ihm die Hand.

      »Mach‘s gut, Jean-Pierre. Wir sehen uns ja sicher die Tage.«

      »Aber klar sehen wir uns, Oskar.«

      Christine beobachtete die Szene schmallippig mit kaum merklichem Schmunzeln. Wieder einmal studierte sie ihren neuen Lover. Der bekam es mit, weil sie noch eine Zeit lang unverändert so dastand, als er sich wieder an ihre Seite begab. Sie dachte vielleicht irgendetwas wie ‚Die zwei brauchen noch etwas Zeit, um miteinander warm zu werden‘. Hoffentlich dachte sie etwas in der Richtung. Die Umstände sprachen nicht unbedingt dafür, dass Jean-Pierre und Oskar diese Zeit haben würden. Sie sprachen vor allem gegen das Miteinander-Warmwerden an sich. Jean-Pierres Vertraute stand in Oskars Auftragsbuch, was eben nicht den Beginn einer wunderbaren Freundschaft zwischen den beiden verhieß. Noch weniger verhieß es den Fortbestand der Liebesbeziehung mit der zauberhaftesten Frau, die Oskar jemals begegnet war. Der Zauberhaftesten trotz aller Haken.

      Er musste eine Entscheidung treffen.

      Dieser Job hatte wirklich das Potenzial, schlimm zu werden. Und etwas Schlimmes war bereits eingetreten. Das Schlimme war sogar noch schlimmer. Es war mehr als nur eine Verliebtheit. Wie er sich Minuten zuvor zum ersten Mal eingestanden hatte, liebte er die Frau, die er töten musste. Das bedingte sein Interesse an Kalis sehr wahrscheinlicher Nähe. Noch vor ein paar Tagen wäre der Grund für dieses Interesse gewesen, wie er es vermeiden konnte, der Tödlichsten von allen über den Weg zu laufen.

      Christine und Jean-Pierre verabschiedeten sich per Umarmung und Wangenküsschen.

      »Pass auf dich auf, Große«, sagte Jean-Pierre leise auf Französisch. Soviel Französisch verstand Oskar so gerade noch. Witzigerweise war das ‚Große‘ auf Deutsch. Nicht nur Jean-Pierre, auch er hatte gute Ohren. Christine sah ihren Beschützer an, als hätte er diesen Allerweltssager zum ersten Mal an sie addressiert. Vielleicht war es auch so.

      »Lass die Sachen einfach im Auto, mein Lieber. Die Jungs vom Lager sollen sie am Montag reintragen«, gab Christine laut genug auf Deutsch von sich, sodass man es hören musste.

       Eine etwas zu offensichtliche Ablenkung von Jean-Pierres besorgtem Ausspruch, S üß e! Da h ä tte ich mehr von dir erwartet.

      Christine schlenderte lächelnd auf Oskar zu, ergriff seine Hand, schlang sich geschickt zu ihm (er wettete, dass sie – neben allem anderen – auch eine ausgezeichnete Tänzerin war) und küsste ihn.

      »Komm. Wir fahren weiter. Ich hab Lust auf ein schönes heißes Bad… und dann auf was anderes Heißes!«, hauchte sie ihre weiteren Pläne für den Tag.

      »Klingt verdammt gut, du heiße Maus.«

      Sie fuhren über ähnliche Pisten, bis sie wieder festen Asphalt unter den Rädern erreichten. Dieser formte wundervolle Serpentinen, die sich durch die Cinque Terre schlängelten. Eine traumhafte Landschaft. Vorbei an Riomaggiore, Volastra, San Bernadino, links abbiegen nach… Vernazza. Christine bog in eine kleine Gasse direkt nach dem Ortseingang ein und ließ den Lamborghini in einen Carport vor einem schönen alten Haus gleiten.

      »Wir sind da«, hauchte sie.

      Sie stiegen aus, Oskar fischte das Gepäck aus dem Kofferraum und stellte es vorerst auf den Boden. Christine breitete die Arme aus und strahlte.

      »Hach!… Herrlich!«, juchzte sie. »Auch das hier ist ‚Chez Christine‘!«

      »Ist nicht überall, wo du zuhause bist ‚Chez Christine‘?«

      »Quasi schon. Aber das hier heißt auch so wie mein Lokal in Zürich. Natürlich heißt es hier ‚Da Christine‘. Wir sind ja in Italien.«

      In der Tat. Es hieß wirklich ‚Da Christine‘. Oskar erblickte den handgemalten Schriftzug auf der blassroten Hauswand. Er vermutete, dass sie den Schriftzug selbst gemalt hatte.

      »Es ist eine alte Ferienpension. Ich hatte sie gekauft, als ich mein Unternehmen hier ansiedelte.«

      »Wie lange ist das her?«, fragte er interessiert. Natürlich interessierte ihn jede nähere Information über Christine, nicht nur aus privater Neugier.

      »Hm…« Es war kein ‚Hm‘, als ob sie überlegen musste, sondern: Warum fragte er danach? »… gute fünf Jahre.«

      »Und jetzt ist es keine Ferienpension mehr«, schlussfolgerte er.

      »Oh doch. Allerdings nur noch für handverlesene Gäste. Also eher Freunde.«

      Er nickte verständig und lächelte sie an. Dann besah er sich das Haus. Es schien größer zu sein, als es zuerst den Anschein gemacht hatte – quasi innen größer als außen.

      »Wir haben fünf Gästezimmer, aber zur Zeit keinen Gast. Die alte Besitzerin ist schon im Ruhestand. Sie ist noch topfit und kommt her, wenn ich Gäste habe. Dann kann sie wieder die Wirtin spielen. Das ist der Deal. Wenn ich sie nicht brauche, dann kommt sie halt nicht. Und zur Zeit brauche ich sie nicht.«

      »Stimmt«, pflichtete Oskar bei. »Du hast ja keine Gäste.«

      »Irrtum, mein Schatz.«

      Er sah sie fragend und erwartungsvoll an.

      »Du bist mein Gast.«

      Diese Formulierung kam ihm sonderbar vor. Schließlich hatte er das Ganze so verstanden, dass sie mittlerweile in eine Beziehung reingeschlittert waren. So wie sich beide benahmen, die Vertrautheit, nicht nur körperliche Intimität.

      Mein Fehler! Der alte George Clooney-Fehler. Nun hatte Oskar die Rechnung ohne die Wirtin gemacht. Im wahrsten Sinne des Wortes.

      Ich glaube, ich muss meine frische Entscheidung nochmal überdenken!

       Ich muss dich umbringen, mein Schatz. Und das nicht nur wegen der Kohle.

      »Du bist nicht mein Gast, Liebling. Verzeih diesen blöden Ausdruck.« Sie schien es wieder gutzumachen. »Mein Schatz ist nicht mein Gast, sondern bei mir zuhause!«

      Aber konnte man ihr glauben? Oskar wollte das Überdenken seiner Entscheidung aufgrund eines vermeintlich wieder gutmachenden Sagers nicht zu schnell in Erwägung ziehen.

      »Warum sagtest du dann zuerst, ich sei dein Gast?« Er war sich sicher, diese Frage zwar mit einer gewissen Spitze aber vorwurfsfrei vorgetragen zu haben.

      »Ganz einfach: weil du ein Gästezimmer belegen wirst.«

      Sie hatte es wohl doch nicht wieder gutgemacht. Er sah sich bestätigt, eine beabsichtigte Entscheidung nochmal auf Eis zu legen. Unter ‚Liebesnest‘ verstand er etwas anderes als ein separates Gästezimmer. Zudem stand das gemeinsame Schlafen schon bei der Ankündigung dieses Ausflugs fest. So schien es zumindest.

      »Aha«, quittierte er diese Entwicklung entsprechend knapp. Eigentlich eine Entwicklung, die ihm aus beruflichen Gründen sehr recht sein konnte, da ihm ein separates Zimmer eine Privatsphäre einräumte. Nicht ganz unwichtig, falls es einen Auftrag auszuführen galt. Mittlerweile war er mehr von seinen Gefühlen zu dieser gefährlichen Elfe als von Rationalität geleitet. Nicht gut.

      Christine