Jörgen Dingler

Oskar trifft die Todesgöttin


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gern. Sogar im Sommer… zwar nicht so regelmäßig wie im Winter.«

      »Wirklich?« Sie sah ihn an, als sei er hochgradig pervers.

      »Ja. Findest du das krank, auch im Sommer in die Sauna zu gehen?«

      »Nein. Nur nicht normal.«

      »Sag ich doch: krank«, provozierte er sie, von ihrer herzerfrischenden Deutlichkeit Gebrauch zu machen.

      »Nicht normal im positiven Sinne. Auch ich gehe ganzjährig in die Sauna.«

      »Klar, die skandinavische Ader. Stell dir vor: Ich kenn sogar jemanden, der bei 30 Grad im Schatten ein heißes Bad nehmen will.«

      »So jemanden kenne ich auch. Gutes Thema übrigens. Können wir endlich?« Sie nickte unmissverständlich Richtung Eingang. Er schnappte beider Gepäck.

      Stimmt. Sie wollte ja nicht mehr diskutieren. Gutes Thema‘… anderes Thema durch.

      Achtzehn.

       Vatikanstadt, Juli 2011

      Der Heilige Vater durchmaß den Parkweg mit erstaunlicher Trittsicherheit und Zielstrebigkeit für seine 84 Jahre. Er hatte die Arme hinter dem Rücken verschränkt und nutzte den geliebten täglichen Spaziergang durch die vatikanischen Gärten, um sich mit seinen engsten Vertrauten zu beraten. Zu seiner Linken ging der Mensch, der das höchste Vertrauen von Benedikt XVI. genoss, sein erster Privatsekretär Dr. Georg Gänswein. Gänswein – schon zu ‚Papa Ratzis‘ Zeiten als Kardinal dessen Assistent – besaß nicht nur bei seinem Dienstherrn außergewöhnliche Reputation. Er wurde unter anderem mit den höchsten Orden und Ehrenzeichen Italiens, Deutschlands und Österreichs ausgezeichnet. Die rechte Seite des Papstes flankierte sein zweiter Privatsekretär, der Malteser Dr. Alfred Xuereb. Beide Privatsekretäre trugen den Titel ‚Päpstlicher Ehrenprälat‘ und waren als ständige Begleiter quasi die Satelliten des Heiligen Vaters.

      Der gutaussehende deutsche Geistliche wäre zumindest optisch Hollywoods Idealbesetzung für eine Neuverfilmung der ‚Dornenvögel‘. Trotz seines Talars und seines Alters (er stand kurz vor seinem 55er) wirkte er mit jungenhaftem Charme, ansteckendem Lachen und vollen aschblonden Haaren wie ein Sonnyboy. Sein maltesischer Kollege gab da klar den unauffälligeren Part. Xuereb wirkte ebenso sympathisch wie Gänswein, aber reifer, besonnener, ja auch älter. Nebenbei gesagt, war er zwei Jahre jünger als der fesche Kollege.

      Die beiden engsten Mitarbeiter sollten diejenigen sein, mit denen Benedikt XVI. seine Sorgen teilen wollte. Es hatten sich höhere Vertreter der Vatikanbank angeboten, um zu erörtern, was bei der Auswahl des Nachfolgers für den ermordeten Präsidenten von angeblicher Relevanz sei. Angebliche Relevanz deswegen, weil der Heilige Vater nicht davon ausging, dass Bewerber für das Präsidentenamt objektive Argumente für Empfehlungen in eigener Sache anführen würden. Jeder der potenziellen Nachfolger bat darum, unter Ausschluss der anderen Nachfolgekandidaten mit dem Papst sprechen zu dürfen. Nach wie vor lenkte der vormalige Vizepräsident die Geschicke der Vatikanbank als ‚Interimspräsident auf unbestimmte Zeit‘. Der Papst wollte keine schnelle Verlegenheitslösung. Es galt, neues Vertrauen aufzubauen. Nach innen und nach außen. So beriet sich Benedikt XVI. lieber mit seinen beiden engsten Vertrauten. Außerdem ging es zwar schon um das geplante nächste Geheimtreffen zum Zwecke der Bestimmung des neuen Präsidenten der Vatikanbank, aber in der Sache noch um etwas anderes, viel Gravierenderes. Es ging um das Leben des Papstes.

      Benedikt XVI. fürchtete, dass er auf diesem nächsten Treffen das potenzielle Opfer sein würde. Nicht mehr und nicht weniger als das hatte sein Sicherheitschef gemutmaßt. Und der rannte mit seiner Vermutung bei dem intelligenten Bayern Joseph Aloisius Ratzinger, besser bekannt als Papst Benedikt XVI. offene Türen ein. Darauf war der Papst schon von selbst gekommen, dass es nicht auch, sondern vor allem um ihn gehen könnte.

      Immer wenn der Papst die vatikanischen Gärten durchschritt, wurde aus Gründen der Diskretion und des Respektes vor dem Heiligen Vater die allumfassende elektronische Überwachungsanlage der Vatikanstadt teilweise abgeschaltet. Die innerhalb der Gärten installierten Kameras und Mikrofone begaben sich in den Ruhezustand. Darauf legte der Papst wert. Diese Maßnahme betraf nicht die Kameras und Mikrofone außerhalb der Gärten. Was sich ebenfalls nicht in den Ruhestand begab, waren die zahlreichen Wachleute, die sich in diskretem Abstand an verschiedenen Plätzen innerhalb der vatikanischen Gärten aufhielten. Unsichtbar, außerhalb menschlicher Hörweite (was normale Gesprächslautstärke betraf), aber stets präsent und bereit, sobald Gefahr in Verzug sein sollte.

      Man sprach italienisch, neben Latein eine der beiden Amtssprachen der Vatikanstadt, damit der Malteser jedes Wort verstand, dass die beiden Deutschen miteinander wechselten.

      »Heiliger Vater, niemand außer dem engsten Kreis weiß von dem Treffen«, versuchte Gänswein beruhigend einzuwirken.

      »Lieber Georg, das war schon bei dem letzten Treffen so. Mehr als geheim ist nicht möglich. Auch das vorige Treffen, bei dem unser armer Lucchese sein Leben verlor, Gott sei seiner Seele gnädig«, der Papst und seine Privatsekretäre bekreuzigten sich, »war nur dem innersten Zirkel bekannt.«

      Der Heilige Vater, der seine beiden Privatsekretäre beim Vornamen ansprach, wenn man unter sich war und in Anwesenheit Dritter ‚Monsignore Gänswein‘ beziehungsweise ‚Monsignore Xuereb‘ nannte, wischte den gut gemeinten Versuch einer Kalmierung mit seiner ureigenen Art vom Tisch. Ruhig, aber sehr bestimmt.

      Xuereb ging die Sache analytischer und weniger emotional an.

      »Wir haben es hier nicht nur mit einer außergewöhnlich gut informierten Person zu tun. Sie soll auch über außergewöhnliche physische Fähigkeiten verfügen«, stellte er klar.

      »Sehr richtig, Alfred.« Benedikt sah abwechselnd zu beiden Vertrauten, die ihn flankierten. »Man sprach in diesem Zusammenhang sogar von überirdisch«, entließ der Papst, als würde ausgerechnet er – den man als Vorstandsvorsitzenden für Überirdisches bezeichnen konnte – über den Begriff ‚überirdisch‘ spotten. Wohl deswegen, weil es in Bezug auf eine Sterbliche wohl als Blasphemie zu bezeichnen war. Aber hatten nicht schon etliche Sterbliche nach Auffassung der katholischen Kirche geradezu Überirdisches bewirkt und wurden dafür nach ihrem Tod dann auch selig und noch später sogar heilig gesprochen?

      Ja, aber diese angeblich überirdische Person bewirkte nichts Gutes. Sie tötete Menschen. Noch dazu aus vermeintlich niederen Gründen und konnte daher schon automatisch nichts Gutes bewirken. Das Argument, dass die katholische Kirche zum Erreichen ihrer Ziele – allen voran Machterhalt – jahrhundertelang genau nichts anderes tat, lassen wir bei der Betrachtung dieses Umstandes mal außen vor. Außerdem war diese Person auch in einer anderen Hinsicht quasi von der Konkurrenz. Monsignore Gänswein sprach es an.

      »Man nennt sie ‚Kali‘, nach einer Göttin«, entließ der Papstvertraute mit merklicherem Spott als die vorhergehende Spitze seines Chefs es war. Offenen Spott hätte sich der Papst ohnehin niemals erlaubt. Der Papst war der Papst. Das galt nicht für seine Privatsekretäre.

      Benedikt XVI. umfasste sein großes, vor der Brust getragenes Kreuz.

      »Eine Göttin«, sinnierte er, »eine gedungene Mörderin ist sie.«

      »Sehr richtig, Heiliger Vater, aber nicht irgendeine. Sondern die beste der Welt«, bekräftigte Monsignore Xuereb. »Ihre Fähigkeiten werden in sogenannten Fachkreisen in der Tat als überirdisch bezeichnet. Sie gilt als unbesiegbar.«

      »So? Unbesiegbar?« Benedikt sah seine Vertrauten an. »Und das als Frau. Erstaunlich«, bemerkte der Stellvertreter Christi so gar nicht gendergerecht.

      »Sie soll sogar recht zierlich sein. Hübsch obendrein«, bestärkte Gänswein.

      »Ähm…«, räusperte sich sein Kollege Xuereb. »Insiderkreise schreiben den Mord in Mailand ebenfalls ihr zu. Es soll – wie man so sagt – ihre Handschrift tragen. Allein schon, weil es sich wieder um jemanden handelte, an den man eigentlich nicht