Sanne Prag

Geisterhäuser


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konnte verworfen, gierig, rücksichtslos sein, sie war mächtig und bereit. Was für eine Art von Mord konnte das oben an der Treppe gewesen sein? Erschossen? Erwürgt? Mit Sicherheit kein Messer, denn sonst hätte einer doch wohl dieses Messer genommen, das da auf dem Brett lag, zum Mordinstrument geschaffen.

       Heute kein Pardon für diese Küche, er war der Mann, der dieses Weib entweihte. Die Erotik eines duftenden Schinkens nahm ihn gefangen. Das Damaszenermesser schnitt tief in den mürben Speck, und dazu Zwieback – mönchisch! Nicht nur pure Gier, die intellektuelle Verworfenheit dazu, die unter dem Deckmantel der Teufelsaustreibung den Phallus in die fetten Frauen senkt und Askese predigt. Bei jedem Bissen in den Zwieback fühlte er sich als Gottes Liebling, obwohl er ein Dieb war. Wieso oben an der Treppe? Hatte der Mörder die Ermordete verfolgt? Er fand Suppe in einer Dose. Die Salzlacke von seinen gestrigen Kartoffeln bildete eine feine weiße, ungestörte Wolke auf dem roten Boden.

       Er fasste sich ein Kupfergeschirr mit Stiel. Der Herd produzierte keine rote Lampe – es war also nicht damit zu rechnen, dass er Suppe wärmte – Suppe kalt - nicht besonders erotisch besetzt. Denn die Lust und die Hölle fand man in Hitze, Sex und Fleisch. War das im ersten Stock eine männliche oder eine weibliche Kontur? Es war eine menschliche Kontur, mit Sicherheit, ob männlich oder weiblich war nicht so wichtig. Einem Menschen war Schreckliches zugestoßen, und er wollte herausfinden, was passiert war. Er könnte einfach ins nächste Wirtshaus gehen und fragen. Dort würde er die ganze Gerüchtesammlung bekommen.

       Er wollte im nächsten Dorf fragen, aber nur mit Wissen in der Tasche. Der Mord war sicher schon vor einiger Zeit passiert. Er schlürfte die kalte Suppe aus einer zarten chinesischen Schüssel - durchscheinend weißes Porzellan.

       Der Hof zwischen den Häusern lag still in der Sonne. Nichts regte sich, der See war ruhig. Er beschloss, das Haus gründlich zu durchsuchen, nicht wie die Polizei. Die staatliche Macht hatte nach Blut, Fingerabdrücken, Briefen, eventuellen Rechnungen gesucht, um einen Mord aufzudecken. Er wollte wissen, was für Gefühle hier gelebt hatten. Gefühle, die vielleicht geblieben waren, nach den Menschen.

       Er dachte an die schöne glänzende Holzplatte des Birnenholztisches, das Geräusch des Sessels, wenn man ihn über den Boden zog, und wie in Trance griff er unter die breite Tischpatte. Er wäre nie darauf gekommen, dass da eine Lade war. Man sah keine. Da war kein Griff, kein Knopf, kein Zeichen einer Lade, aber die Tischkante ließ sich ziehen. Im Gedanken an Brot zog er, in der Öffnung lagen einige Krümel, aber kein Brot, doch aber ein Stift und ein dickes, festes Heft – ein Kochbuch?

       Er öffnete den Deckel. Die Seiten waren mit einer eckigen Schrift bedeckt. Manche Buchstaben waren zerknittert. Obenan stand: Zwiebeln kann man auch in dieser Höhe ziehen. Dann folgte: Getrocknete Perlpilze zeigen ein wunderschönes Altrosa, wie die Wäsche meiner Großmutter. ---- Hab probiert, ob Fliegenpilz nun giftig ist oder nicht – habe aber nicht viel davon gegessen, mir wurde mulmig, weiß aber nicht, ob ich‘s mir nur eingebildet habe. ----

       In guten Schwarzbrotteig muss man Kartoffeln geben – wird saftiger….

       Hier war der Geist, den er treffen wollte. Er hatte Tagebuch geschrieben.

      VORMITTAG

       Ezra wollte noch Kompott, wollte aber auch das Tage-Kochbuch nicht verlassen. Im Aufstehen warf er dem Buch noch ein unsicheres Lächeln zu – der Geist einer energischen, etwas verschlossenen Mittfünfzigerin lächelte zurück. Dieses Buch lief nicht weg – hier lief gar nichts weg. Alles blieb, wo es war, sogar der leere Umriss einer Leiche. Er ging in die Speisekammer und als er ein Glas Birnen in der Hand hatte, schaute er es voll Abscheu an. Er wollte natürlich nichts Süßes, wie konnte er nur auf Kompott kommen. Man war ja schließlich kein Vieh, schoss ihm durch den Kopf, irgendwas musste einem doch verdammt nochmal beweisen, dass man höheren Geistes war! Ezra stellte die Birnen kleinlaut wieder zurück. Der Beginn einer Persönlichkeitsspaltung? Er hatte Birnenkompott bisher immer gemocht. Aber da war eine zweite Person, die mochte es nicht. Er hatte das Gefühl, dass fremde Gedanken aus der Küche in seine drängten, nie hatte er eine so abfällige Beziehung zu Birnenkompott gehabt. „Höheren Geistes“ war ein Begriff, den er nie verwendete, es war als hätte ein Anderer aus ihm gesprochen – ein Zweiter. Gleichzeitig nahm der feine Geschmackssinn eine völlig neue Bedeutung an. Unverständlich schien ihm, dass er das bisher nicht so wahrgenommen hatte, er war doch ein Kulturwesen. Essen war ein kleines tägliches Glück, und er war so engstirnig, diese Freudenquelle nicht auszubeuten. Man hatte Körper, man hatte Magen und man hatte ihn in dieser Welt, wer weiß schon, was die nächste brachte.

       Plötzlich drängte es ihn in Richtung Keller. Im selben Moment wusste er, wo der Keller war. Er durchquerte die Halle. Vorsicht! Die Stufen begannen gleich hinter der Türe! Er sah die enge Treppe hinab und streckte in blinder Selbstverständlichkeit die Hand nach dem Lichtschalter aus, der unsichtbar am Türrahmen angebracht war. Das Licht zeigte ihm ein gewaltiges Gewölbe. Jeder Winkel, jede Wand war mit Regalen vollgestellt. Manche waren leer, manche enthielten nur einige Flaschen. Zwei waren ganz voll. In dem war Champagner. Er wusste, dass er Champagner nicht mochte. Das war das, was man zu Anlässen trank, obwohl man zu viel Magensäure bekam. Ezra hatte bisher wenig über die Weisheit des Weines gelernt, zu Champagner hatte er bisher eine eher neutrale Beziehung gehabt.

       Er griff zielsicher in eines der fast leeren Regale. Am Boden ringelten sich einige Streifen Holzwolle, auf der Flasche klebte der Staub ziemlich fest. Er drückte sie dennoch an die Brust und ging langsam die Kellertreppe hoch. Er fand das unmäßig anstrengend.

       Wo war sein Koch-Tagebuch? Es war nicht mehr da.

       Anfänglich hatte er locker, distanziert die Möglichkeit zugelassen, dass hier ein Geist wohnte. Die Frau, der das Haus gehörte war im ersten Stock ermordet worden und spukte jetzt. Das hatte er lächelnd akzeptiert. Nun waren aber schon einige Signale in diesen Räumen, die nicht `normal´ waren. Das Gefühl nicht allein zu sein, wurde immer stärker. Da sah er das Buch am Boden liegen. Nein, kein Wind, das Ding war wirklich fest und dick. Wer hatte es hinuntergeworfen?

       War der Geist in diesem Haus bedrohlich? Ist der Geist einer Ermordeten immer bedrohlich?

       Weggehen kam nicht in Frage. Er blieb und würde die Besitzerin des Buches kennen lernen. Gedankenverloren nahm er ein weißes Tuch, durch die Zeit ziemlich staubig geworden, legte es über seinen Arm wie ein Butler und ritzte den Überfang der Flasche vorsichtig an. Dann nahm er wie in Trance ein mundgeblasenes Glas aus einem Wandkasten, wischte es mit dem schmutzigen Tuch aus und wurde munter.

       Ezra kam aus einem Frauenhaushalt, der ständig einen leisen Duft von Chlor und Lysol verbreitete. Seine Mutter hatte irgendwelche Probleme, die bewirkten, dass der Kampf gegen Bakterien ihren Tag beherrschte, ihren Abend versüßte, ihr Lebensziel war. Die Idee, ein Glas mit einem staubigen Fetzen auszuwischen, brachte Konflikt mit sich. Er fühlte, die zweite Seele war in ihn hineingekrochen und wurde von Mutter ausgebremst. Ein Geist, der es mit dem Haushalt locker nahm, durfte sich nicht mehr in Spinnweben hüllen, zarten glitzernden Staub ausatmen, durfte keine fragwürdigen Küchentücher benützen, der Geist einer rauen Einsiedlerin, die gelegentlich vorsichtig den Vorhang zur Seite schob und von Desinfektion nichts hielt, wurde von seiner Mutter vertrieben, desinfiziert.

       Ezra schaute zum Alkovenfenster, nur kurz, um zu wissen, ob er den Geisterschatten sah, durchscheinend, zart grau gegen das Licht, da klang draußen eine große, schwere Glocke.

       Zehnmal schlug es mächtig. Die Fenstergläser sangen leise mit, und er bildete sich auch ein, der Boden vibrierte, sogar seine Knie übernahmen den Ton. Blick auf die