überrascht haben.«
»Das hat sie, ehrlich gesagt. Aber ein Befehl des Königs …« Hemset ließ den Satz unvollendet.
»Ich hoffe auf eine gute Zusammenarbeit. Es wäre schön, wenn du schon morgen deine Arbeit als stellvertretender Bauleiter aufnehmen könntest, Hemset. Wir erwarten morgen den Wesir hier auf der Baustelle. Prinz Nefermaat und ich werden die durch den König überarbeiteten Baupläne berechnen, bevor er zur Baustelle des Hathor-Tempels nach Yunet weiterreist.«
Hemset verneigte sich und verließ zusammen mit Aperire das Zelt.
»Das kann nicht lange gut gehen!«, flüsterte Kamose, als wir allein waren.
»Wofür bist du denn jetzt eigentlich verantwortlich?«, fragte ich meinen Vater, als wir am nächsten Morgen Apis Baupläne und Aufzeichnungen durchsahen.
»Für alles: die gesamte Baustelle«, antwortete mein Vater und sah sich die Pläne an. »Für die Versorgung der Arbeiter mit Nahrung und Kleidung, für die Verwaltung der Arbeiterhütten, für die Lagerhaltung der Lebensmittel wie Gemüse, Getreide und Fleisch, für den Bau der Transportwege für die Steinschlitten, für die Einteilung der Arbeiter und die Abstimmung der Arbeiten an der Baustelle. Und für die Menschen, die hier arbeiten: die Steinbrucharbeiter, die Steinschlepper, die Steinmetze, die Bauleiter, die Priester, die Lagerpolizei, die Bäcker und Schmiede und Schlachter und das Planungsbüro sowie die Verwalter. Außerdem bin ich zuständig für die Planung und Ausführung der Pyramide von den Fundamenten bis zur Pyramidenspitze sowie den Neigungswinkel. Ich bin verantwortlich dafür, dass alles reibungslos funktioniert, niemand Hunger leidet, niemandem ein Stein auf den Fuß fällt, niemand etwas stiehlt und die Pyramide rechtzeitig fertig wird und nicht einstürzt.«
Die letzten Worte hingen noch in der Luft, als Prinz Nefermaat das Zelt betrat.
Mein Vater und ich erhoben uns und warfen uns vor ihm zu Boden.
»Die Pyramide wird nicht einstürzen«, beharrte der Prinz. »Ich bin es leid, mit dir diese endlose Diskussion zu führen, Kamose!« Dann winkte er lässig. »Du darfst dich erheben.«
Ich nahm an, dass ich nicht ausdrücklich angesprochen werden würde, und stand ebenfalls auf.
»Der Befehl des Lebendigen Gottes war eindeutig, Kamose. Ich bin gekommen, um mit dir deine Berechnungen zur Statik der Pyramide durchzugehen. Ich hoffe, dass sich die weite Anreise gelohnt hat!«, sagte Nefermaat in ungeduldigem Tonfall.
»Die Pläne sind hier drüben, mein Prinz.«
Hinter dem Wesir war sein Gefolge aus Architekten und Bauzeichnern in das Zelt gekommen. Zwei Diener trugen einen Klappstuhl hinter dem Prinzen her, auf dem er sich in einiger Entfernung vom Zeichentisch niederließ.
Und so kniete mein Vater vor ihm und breitete den Plan aus, sodass der Wesir seine Berechnungen lesen konnte. Die Bauleiter sahen dem Prinzen über die Schulter und folgten aufmerksam den Erläuterungen: Kamose sprach von achthunderttausend Kubikellen Gestein und von über einer Million Tonnen Gewicht, das auf dem karstigen Wüstenboden lastete.
Hin und wieder zogen sich Augenbrauen zusammen, zuckten Mundwinkel, dann und wann brach ein leises Lächeln über die Unbeweglichkeit des Prinzen hervor. Im Grunde verstanden die Architekten des Wesirs die Bedenken meines Vaters. Aber würden sie sein Anliegen auch unterstützen? Prinz Nefermaat blieb skeptisch. Er tat so, als ob er schon Erfahrungen mit einem Dutzend Pyramiden gesammelt hätte. Dabei war dies das erste Königsgrab seit Djosers Stufenpyramide vor fast einem Jahrhundert.
Nefermaat wandte sich an seinen Beraterstab: »Was meint ihr dazu?«
Keiner der Bauleiter wagte das erste Wort, bis Nefermaat sie ansprach: »Asha?«
»Mein Prinz, ich glaube, dass die Berechnungen von Bauleiter Kamose unbedingt berücksichtigt werden sollten.«
»Was willst du damit sagen?«, regte Nefermaat sich auf.
»Mein Prinz, ich glaube, dass Kamoses Berechnungen im Großen und Ganzen richtig sind.«
»Drück dich nicht um eine konkrete Antwort!«
»Ich kann Kamoses Vorsicht nur unterstützen. Bei einem steileren Neigungswinkel besteht durchaus die Gefahr, dass sich die Deckplatten der Pyramidenhülle lösen könnten ...«
»Könnten?«, lauerte der Prinz.
»... lösen werden«, korrigierte sich Asha.
»Meketre?«
»Ich stimme der Einschätzung meines geschätzten Kollegen Asha zu, mein Prinz. Die Berechnungen von Kamose sind korrekt. Er hat alle maßgeblichen Formeln benutzt und sich nicht verrechnet.«
Nefermaats Gesicht verfärbte sich wie der Sand der westlichen Wüste bei Sonnenuntergang. »Horemakhet?«
»Vergib mir, mein Prinz, aber Asha und Meketre haben Recht. Die Pyramide des Kamose wird nicht einstürzen.«
»Und glaubst du, dass meine Pyramide einstürzen wird?«
»Mit deiner Erlaubnis, mein Prinz: Ich glaube, dass bei dem von dir bevorzugten Neigungswinkel die Gefahr besteht, dass nicht nur die Deckplatten weggesprengt werden, sondern ein Teil der Pyramide selbst weggleiten wird. Kamose hat die wirkenden Kräfte im Pyramidenkern auf dieser Skizze sehr deutlich gezeigt. Bei einem Neigungswinkel von vier zu eins und der Qualität der behauenen Steine, wie ich sie mir vorhin in den Steinbrüchen angesehen habe, befürchte ich, dass die Pyramide wie Hefeteig in sich zusammenfallen könnte. Vielleicht bleibt nur die zentrale Stufenpyramide stehen.«
Prinz Nefermaat war sichtlich enttäuscht, dass keiner seiner hoch bezahlten Berater ihn unterstützte. Aber er beugte sich ihrer Meinung, da er bei einer tatsächlichen Gefährdung des Grabmales seines göttlichen Bruders seine Karriere verwirkt hätte. »Ich entscheide hiermit, dass die äußere Pyramide mit einem Winkel von dreieinhalb zu eins errichtet werden soll, wie der Königliche Bauleiter Kamose vorgeschlagen hatte. Der in dieser Höhe entstehende Knick wird durch Abstützmauern und ein neues, breiteres Fundament aufgefangen.«
Als die Bauexperten das Zelt verlassen hatten, wandte sich Nefermaat erneut an meinen Vater, der sich mittlerweile erhoben hatte. »Ich hoffe, du weißt, was du tust, Kamose, wenn du dir den Bruder des Königs und den Wesir des Reiches zum Feind machst.«
»Es liegt mir fern, dein Feind zu sein, mein Prinz. Mein Bestreben ist es, den Befehl des Königs auszuführen und die Pyramide stabil zu errichten, damit der Lebendige Gott nach tausend Jahren glücklicher Herrschaft seine Jenseitsfahrt antreten kann.«
Meinen Vater das Lesen und das Schreiben zu lehren war wie einem Fisch zu erklären, dass er sich auf dem trockenen Land wohler fühlen würde. Jeden Tag versuchte ich, ihm die Bildzeichen zu erläutern. Das Lesen ging nach einigen Wochen schon recht gut, aber mit dem Schreiben stellte er sich schlimmer an als ein kleines Kind. Mein Vater entschuldigte sich damit, dass er bereits auf die dreißig Jahre zugehe. Ein alter Mann wie er müsse nicht mehr schreiben lernen.
Nächtelang lasen wir gemeinsam die Baubeschreibungen des Imhotep, die Aperire aus der Bibliothek von Pihuni entliehen hatte. Mein Vater las sehr langsam und konzentriert, und ich hatte jeden Abschnitt bereits zwei Mal überflogen und mir eingeprägt, bis er so weit gelesen hatte, dass ich den alten Papyrus weiterrollen konnte.
Wenn er keine Lust mehr hatte, stöhnte er, rieb sich die Augen und gähnte. Das sollte das Zeichen für mich sein, ins Bett zu gehen. Manchmal zwang ich ihn zu ein oder zwei weiteren Rollenabschnitten, und dann belohnte ich ihn für seinen Fleiß, indem ich klaglos in mein Bett kroch und mir die Decke über den Kopf zog. Das war besser so, denn ich wusste, was geschah, sobald er glaubte, dass ich schlief.
Fast jede Nacht schlich sich Satamun in das Zelt, das wir jetzt bewohnten. Vom Nachbarbett klangen tiefe Atemzüge und unterdrücktes Stöhnen zu mir herüber, obwohl Satamun sich bemühte, leise zu sein, um mich nicht zu wecken. Zwei heiße Körper rieben sich aneinander und schenkten sich gegenseitig Lust. Ab und zu hörte das leise Knarren der gespannten Seile am Bettrahmen auf, dann begann es von neuem in einem anderen Rhythmus.