kannte ich schon einige Jahre. Er war dreiundzwanzig und seit sieben Monden Kommandant der Lagerpolizei. Ich sah ihn oft, weil er dem Königlichen Bauleiter regelmäßig Bericht über die Sicherheit der Baustelle erstattete. In den letzten Wochen war er während seiner Runde durch das Lager oft vorbeigekommen, um sich mit mir zu unterhalten.
»Ich will mit dem Bauleiter über einige Diebstähle in der letzten Zeit sprechen«, bat er mich.
»Du kannst heute Nachmittag kommen.«
»Ich werde da sein.« Sekhem machte noch keine Anstalten zu gehen.
»Ist noch etwas?«, fragte ich ihn unvorsichtigerweise.
»Du bist heute sehr hübsch, Nefrit«, sagte er.
Ich war geschmeichelt, denn das hatte noch niemand zu mir gesagt. Ich hatte bemerkt, dass mein Körper sich in den letzten Monden verändert hatte, aber ich hatte dem keine Bedeutung zugemessen.
»Wie alt bist du? Fünfzehn oder sechzehn?«
Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Sah ich so viel älter aus als beinahe vierzehn?
Durch mein Schweigen ließ ich ihn in seinem Glauben.
»Hast du einen Geliebten?«
Ich senkte den Blick und errötete unwillkürlich.
»Bitte entschuldige, die Frage war wohl etwas zu direkt.«
Fand er das wirklich? Ich sah ihm in die Augen, und er lächelte. Er wusste genau, wie weit er gehen konnte. »Hast du Lust, heute Abend mit mir am Fluss spazieren zu gehen?«
Bei Sonnenuntergang erschien er vor dem Zelt, um mich abzuholen.
Sekhems Gesicht hatte die dunkle Hautfarbe der Menschen aus dem Süden. Er trug sein Haar offen. Seinen nackten Oberkörper hatte er mit duftendem Öl eingerieben, sein Leinenschurz war makellos gefaltet, und er hatte sogar Sandalen angezogen. Hatte er sich wirklich für mich so herausgeputzt, nur um mit mir in der Dunkelheit am Flussufer entlangzugehen?
Wir gingen hinunter zum Fluss, und er erzählte mir von seiner Familie, die in Weset lebte. Sein Vater sei wie er Soldat und der Kommandant der Stadtfestung von Weset. Seine Mutter habe sechs Kindern das Leben geschenkt. Ich fragte ihn nach seinen Geschwistern, da ich mir nicht vorstellen konnte, wie es wäre, Brüder und Schwestern zu haben. Am Ufer nahm er meine Hand, und wir gingen stromabwärts.
Nach einer Weile blieb er stehen, umarmte mich und strich mit seiner Nase zärtlich über mein Gesicht. Ich war erregt von seiner Nähe und seinen zärtlichen Liebkosungen. Sekhem war überrascht, als ich ihn auf die Lippen küsste.
»Hast du wirklich keinen Geliebten?«, fragte er atemlos.
»Nein. Küss mich, Sekhem!«, forderte ich.
Er ließ sich auf den Boden sinken und zog mich zu sich herunter.
Ich weiß nicht, was mich trieb. Ich liebte Sekhem nicht. Aber ich hasste meinen Vater, und wenn ich mich auf Sekhem einließ, würde ihm das wehtun.
Am nächsten Abend holte mich Sekhem wieder kurz nach Sonnenuntergang ab. Wir verschwanden im Schilfdickicht des Hapi und liebten uns.
Sekhems Liebe war ein völlig neues Gefühl für mich. Niemand hatte sich in der Vergangenheit so mit mir beschäftigt, wie er es mit Hingabe tat. Erst in den frühen Morgenstunden brachte er mich zum Zelt zurück. Den ganzen nächsten Tag über war ich so müde, dass es sogar meinem Vater auffiel.
»Wo warst du letzte Nacht?«, fragte er mich.
»Das geht dich nichts an!«, antwortete ich.
»Hast du mit Sekhem geschlafen? Ich habe euch zusammen weggehen sehen.«
»Und wenn es so wäre?«
»Er ist nicht der richtige Mann für dich.«
»Ich entscheide selbst, wer der Richtige ist!«, erklärte ich trotzig.
Mein Vater beobachtete, wie ich mich abends für den Spaziergang am Fluss fertig machte. Während ich mir die Haare kämmte, sah ich ihn das Zelt verlassen.
Durch den Spalt am Zelteingang beobachtete ich, wie er sich mit Sekhem unterhielt, der sich aus seiner knienden Position erhoben hatte. Mein Vater ging einige Schritte mit Sekhem vom Zelt weg und hatte den Arm freundschaftlich um die Schultern des jüngeren Mannes gelegt. Sie schienen sich angeregt zu unterhalten. Worüber sprachen sie? Sekhem war doch erst vorgestern Nachmittag zu einer Besprechung ins Zelt des Bauleiters gekommen. Hatte es weitere Diebstähle im Lager gegeben?
Später gingen Sekhem und ich am Fluss entlang, doch an diesem Abend hielt er nicht einmal meine Hand. Er schwieg.
Ich fragte ihn, was los sei. Nichts, antwortete er einsilbig. Ich fragte ihn, ob er Probleme habe. Nein, antwortete er, er habe keine Probleme. Ich fragte ihn, ob seine Einsilbigkeit mit dem Gespräch mit meinem Vater zu tun habe. Nein, antwortete er, nicht direkt.
»Jetzt sag mir endlich, was los ist! Was hat mein Vater dir gesagt, Sekhem?«
»Er hat mir verboten, mich weiter mit dir zu treffen und ...«
»Er hat es dir verboten?«, unterbrach ich ihn.
»Das waren seine Worte: Sekhem, wenn du meine Tochter noch einmal auch nur ansiehst, wirst du deine Position als Kommandant auf dieser Baustelle verlieren.«
»Das hat er gesagt? Und was hast du ihm geantwortet?«
»Was hätte ich sagen sollen? Er ist mein Vorgesetzter!«
»Du meinst, du hast ihm nicht widersprochen?«
»Nein.«
»Ich dachte, du liebst mich!«, schrie ich ihn an.
»Nefrit, das ist alles nicht so einfach …«
»Doch, offensichtlich ist es das!«
»Es ist für mich nicht so einfach, wie du denkst, Nefrit!«, unterbrach er mich. »Ich bin kein reicher Mann.«
»Was hat das damit zu tun?«
»Dein Vater hat mir Gold gegeben, damit ich nicht mehr mit dir schlafe.«
»Wie viel Gold?«
Sekhem holte einen Goldring aus der Tasche seines Leinenschurzes. »Mehr als ein Jahresgehalt.«
Ich entriss ihm den Goldring und rannte zu unserem Zelt.
Mein Vater lag auf seinem Bett, als ich den Vorhang zur Seite riss.
Ich warf ihm das Gold vor die Füße. »Was glaubst du eigentlich, was du damit erreichst?«, schrie ich ihn an. »Wie konntest du!«
Mein Vater hob den Goldring vom Boden auf.
»Nefrit, ich will dir helfen, aus dieser Situation wieder herauszukommen.«
»Aus welcher Situation?«
»Sekhem hat dich verführt. Du bist noch zu jung für eine solche Beziehung.«
»Wieso bist du so sicher, dass er mich verführt hat? Ich werde bald vierzehn Jahre alt, Vater. Ich kenne das Leben außerhalb dieser Zeltwände. Vergiss nicht, dass ich auf einer Baustelle aufgewachsen bin!«, schrie ich.
Traurig vergrub er sein Gesicht in den Händen. »Ich wollte dir immer ein besseres Leben bieten, Nefrit. Ich habe hart dafür gearbeitet, um genug Kupfer zu verdienen, damit wir eines Tages von hier fortgehen könnten. Das Schicksal hat es anders gemeint. Glaub mir, Nefrit, ich habe lange überlegt, ob ich die Stelle als Bauleiter aufgeben sollte, damit wir zusammen woanders hingehen. Aber was hätte ich machen sollen? Ich habe keinen Beruf erlernt außer Gemüsebauer und Steinschlepper. Welches Leben hätte ich dir bieten können, das dich zufrieden gestellt hätte? Und so entschloss ich mich, auf der Baustelle zu bleiben und das Beste daraus zu machen.« Er sah mich nicht an und rang mit den Tränen.
Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Er hatte Opfer gebracht, das stimmte. Aber in meinem Zorn