Barbara Goldstein

Die Baumeisterin


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      Ohne ein Wort zu sagen, verließ ich das Zelt und ging zurück zum Flussufer. Ich fand Sekhem, wo ich ihn verlassen hatte.

      Wir liebten uns so leidenschaftlich, als wüsste er, welch hohen Preis er für diese Nacht mit mir zahlen würde.

      Am nächsten Morgen befahl mein Vater Sekhems Versetzung auf eine Baustelle in Mempi. So endete unsere Affäre, jedoch nicht ohne Nachspiel. Zwei Tage später bekam ich heftige Schmerzen im Bauch und Blut lief an der Innenseite meiner Beine hinab.

      Ich war verwirrt: War das Blut eine Folge unserer Vereinigung? Die Schmerzen nahmen im Verlauf des Tages noch zu, und auch der Blutfluss ließ sich nicht stillen. Ich wusch mich zweimal am Fluss.

      Am darauf folgenden Tag hörten weder die Schmerzen noch die Blutungen auf. Ich bekam Angst, innerlich zu verbluten. Wen sollte ich um Rat fragen? Meinen Vater? Niemals! Satamun? Sie war in Pihuni. Einen Arzt? Die Ärzte auf der Baustelle kannten sich, wie ich vermutete, besser mit Amputationen und gequetschten Gliedmaßen aus.

      Trotz meiner Zweifel ging ich zu einem der Ärzte, die mit ihren Tragekisten voller Instrumente über die Baustelle liefen, um Verletzten sofort helfen zu können. »Hast du einen Augenblick Zeit?«

      »Bist du verletzt?«

      »Ich glaube schon …«

      »Du glaubst schon?«, fragte er mich. »Du siehst nicht verletzt aus.«

      »Ich blute seit zwei Tagen.«

      Er sah mich vom Scheitel bis zu den Füßen prüfend an, während er seine Messer und Skalpelle auf einem sauberen Tuch ausbreitete. »Wo?«

      Ich deutete auf meinen Schoß.

      »Und du hattest noch nie solche Blutungen?«, fragte er.

      Ich schüttelte den Kopf.

      »Wie alt bist du?«

      »Ich werde bald vierzehn Jahre alt.«

      Er räumte die Instrumente wieder in seine Tragekiste ein.

      »Was ist denn nun?«, fragte ich ungeduldig, als er mir seine Antwort schuldig blieb.

      »Du bist nicht verletzt. Du hast deinen Mondzyklus.«

      Der Arzt erläuterte mir in unfarbigen Worten, welches Schicksal Frauen am Ende ihrer Kindheit ereilt. Er nahm mir die Angst vor dem Verbluten. Was er mir nicht nehmen konnte, war der Hass auf meinen Vater, der mich auf diese Veränderung in meinem Leben nicht vorbereitet hatte.

      Im Frühsommer, zur Zeit der Getreideernte, gestand ich meinem Vater, dass ich mich bereits vier Jahre zuvor für die Aufnahme in der Tempelschule in Mempi beworben hatte, und zeigte ihm die Zusage des Priesters Sethi.

      Im zehnten Regierungsjahr des Seneferu, wenige Tage nachdem ich vierzehn Jahre alt geworden war, gab er endgültig auf.

      Macht entsteht aus Ohnmacht und dem unbeugsamen Willen, nicht aufzugeben. Für mich war die Barkenfahrt ein Triumphzug, für meinen Vater, der den Aufenthalt in Mempi mit einem Besuch auf der Baustelle des neuen Atum-Tempels verband, schien sie eine Niederlage zu sein. Die Fahrt stromabwärts dauerte bei leichtem Gegenwind weniger als einen Tag. Während ich ungeduldig am Bug saß, ging meinem Vater selbst das noch viel zu schnell. Wie für ihn meine ganze Kindheit zu schnell vergangen war.

      Ich kauerte auf meinem Sack, in dem ich alle meine Sachen verstaut hatte. Ich besaß einen Pinsel und einen Tintenstein, drei Kleider und einen Leinenschurz, ein paar alte Sandalen, einen Kamm und einige Kupferbarren. Mein Vater hatte mir noch heimlich drei Goldringe ins Gepäck gesteckt. Aber ich tat so, als hätte ich es nicht bemerkt. Denn dann hätte ich mich bei ihm bedanken müssen.

      Am frühen Abend kamen wir in der Alten Hauptstadt an. Wir gingen von Bord und mein Vater brachte mich zum Haus des Ptah. Ich wurde erwartet, weil ich meine Anreise durch einen Brief angekündigt hatte.

      Mein Vater stellte meinen Sack auf den Boden und siegelte den Ausbildungsvertrag mit dem Tempel.

      »Können wir den Abend zusammen verbringen, bevor ich morgen wieder nach Pihuni zurückkehre?«, fragte er. In seinen Augen sah ich den Wunsch nach Versöhnung.

      »Vater, wir haben seit Monden keinen einzigen Abend zusammen verbracht. Ich wüsste nicht, was wir heute Abend tun sollten.«

      »Wir könnten uns unterhalten.«

      »Worüber?« Meine Wortwahl war sicherlich nicht ermutigend.

      »Über uns.«

      »Ich wüsste nicht, was es da zu besprechen gäbe. Es ist alles gesagt.«

      Warum bloß hatte ich so heftig reagiert? Ich sah sein betretenes Gesicht: Er tat mir Leid. Als ich die Hand heben wollte, um ihm wie früher zärtlich über die Wange zu streichen und mich bei ihm zu entschuldigen, drehte er sich abrupt um und verschwand.

      Allein stand ich mit meinem Sack im Büro des Tempelschreibers.

      Mein Vater kehrte zu seiner Pyramide zurück.

      

      Djedef

      Das Bildnis war ihm so ähnlich, dass ich für einen Augenblick vergaß, dass eine Figur aus Stein vor mir stand. Die Statue aus Diorit war nicht bemalt, aber das Gesicht war so lebendig, das Strahlen in seinen Augen durch den polierten schwarzen Stein so geschickt wiedergegeben und das feine Lächeln so gut getroffen, dass ich sein Ka in der Statue vermutete. Eine Weile stand ich und starrte ihn an. Dann küsste ich seine lächelnden Lippen.

      »Das Volk liebt den Gott Seneferu!« Ich fuhr herum. Hinter mir stand ein Priester des Ptah mit langem Leinenschurz. »Du aber scheinst dich in den Menschen Seneferu verliebt zu haben. Ich werde dir ein Geheimnis verraten: Es gibt keinen Menschen im Königsornat.« Der Priester deutete auf die Reihe der Königsstatuen in der Großen Halle des Tempels. »Sie alle waren keine Menschen. Meni hat das Undenkbare zu Ende gedacht und das Obere und Untere Land vereinigt. Djoser hat das Unsichtbare sichtbar gemacht, als er die Strahlen des Re in die Form einer Pyramide einschloss. Seneferu Nebmaat ist der Herr der Weltordnung. Er darf kein Mensch sein, selbst wenn er es wollte.«

      Der kahlgeschorene Priester, der sich mir als Sethi vorstellte, trug die traditionelle Amtstracht der Ptah-Diener mit aus Leinen gefaltetem Schurz und einem Pantherfell über der Schulter. Er hatte sich in die Würde seines Priesteramtes gewickelt wie in ein Leinentuch. Aber schützte sie ihn wirklich vor dem Gefühl der Einsamkeit?

      Der Tempel des Gottes Ptah war ein Abbild der Natur des Landes. Aus dem fruchtbaren Land wuchsen die bunt bemalten Säulen der Lotus- oder Papyrusstängel in den Himmel hinauf, der mit Sternen auf dunkelblauem Grund bemalt war. Die Mauern mit Reliefs in Form von Schilfmatten symbolisierten die Schilfhütten des Sumpfgebietes, das hier in Mempi begann.

      Wir durchquerten die Große Halle, und ich starrte an die Decke etliche Ellen über mir, während der Priester Sethi mit der Rezitation der Tempelregeln begann, als wären die Verbote die Weltordnung der Maat. »Regel eins: du verlässt den Tempel nie ohne Genehmigung. Verstanden?«

      »Ja!« Warum sollte ich den Wunsch haben, den Tempel zu verlassen? Ich war doch gerade erst angekommen!

      »Regel zwei: du verlässt den Tempel nie ohne Begleitung.«

      »Niemals«, bestätigte ich.

      »Regel drei: Während der Nachtstunden, während der Morgen- und der Abendriten, während der anderen kultischen Handlungen an Feiertagen und an normalen Tagen musst du dich still verhalten. Stille heißt im Tempel des Ptah: Schweigen.«

      »Ich darf nichts sagen?«

      »Du hast richtig verstanden, Nefrit. Schweigen heißt: nicht sprechen, nicht lachen, nicht flüstern. Stille bedeutet aber auch, dass du, solltest du Tempeldienst haben, diesen leise verrichtest und nicht mit den goldenen und silbernen Gefäßen klapperst.

      Regel vier: du darfst im Tempelbezirk