Barbara Goldstein

Die Baumeisterin


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der Lebendige Gott erneut die Baustelle seines Grabmales, bevor er seine Königsbarke zu einer Horusfahrt in das Untere Land bestieg. Die Pyramide hatte ein Drittel der endgültigen Höhe erreicht, und der Göttliche war mit dem Baufortschritt zufrieden.

      Als er von der obersten Plattform zurückkam, betrat der König mit seinen Söhnen Rahotep, sechs Jahre alt, und Khufu, fünf Jahre alt, das Zelt meines Vaters und ließ sich auf einem Thronsessel nieder, um sich die Bauzeichnungen zeigen zu lassen. Prinz Rahotep war ruhig und besonnen, Prinz Khufu ein wilder, ungestümer Junge, der während der Besprechung im Bauleiterzelt nicht einen Moment still saß.

      Mein Vater kniete mit gesenktem Gesicht vor dem Herrscher und dem Wesir und zeigte ihnen die Pläne. Der König schlug mit dem Krummstab, dem Symbol seiner Macht über die Beiden Länder, gegen das vergoldete Holz seines Reisethrones. »Die Pläne gefallen mir nicht, Nefermaat.«

      »Was gefällt Euch nicht, Majestät?«, fragte der Wesir bestürzt.

      »Die Form: Die Pyramide ist gar keine geometrische Pyramide, sondern eine riesige Stufenpyramide wie die des Djoser in Sokar, nur eben mit acht Stufen.«

      Ich saß still am Zeichentisch und beobachtete Prinz Khufu, der von seinem Stuhl aufgesprungen war, um das Innere des Zeltes zu erkunden.

      »So hat das Projektbüro von Anfang an geplant«, wandte Nefermaat ein.

      »Das weiß ich selbst! Den ursprünglichen Plan habe ich ja eigenhändig entworfen. Aber es gefällt mir jetzt nicht mehr: Ich will eine wirkliche Pyramide bauen.«

      »Ohne Stufen?«, fragte Kamose.

      »Ohne Stufen. Ich will, dass die Steinlagen aufgefüllt werden und die fertige Pyramide eine glatte Oberfläche hat. Wie auf den Bauzeichnungen.«

      »Die Kalksteinplatten werden bei dem jetzigen Neigungswinkel an der Außenseite der Pyramide nicht halten …«, wandte mein Vater ein.

      »Das ist dein Problem«, sagte der König.

      »… und die Kosten für dieses Bauprojekt werden ins Unermessliche steigen«, fügte Kamose hinzu.

      »Das ist mein Problem«, erwiderte der Herrscher. »Willst du diese Pyramide nun bauen oder nicht?«

      Prinz Rahotep saß still auf seinem Stuhl und sah seinem Bruder Khufu zu, der zu mir an den Zeichentisch getreten war.

      »Wenn Eure Majestät die Änderung der Baupläne befiehlt, werde ich diese umsetzen«, versprach mein Vater. »Aber ich kann keine Garantie übernehmen, dass die Verkleidungsplatten an der Außenseite halten werden. Dafür ist der Bau der Pyramide nicht konzipiert.«

      »Haben wir noch immer das Problem des Neigungswinkels?«, fragte der Lebendige Gott ungeduldig. »Ich dachte, darüber hättet ihr euch endlich verständigt! Zumindest habe ich das dem Baubericht von Prinz Nefermaat entnommen.« Er wandte sich an seinen Bruder. »Ihr habt euch doch geeinigt?«

      »Euer Majestät, für mich stellt sich hier ein neues Problem«, führte mein Vater an. »Neigungswinkel hin oder her, aber die jetzige Form der Pyramide mit ihren geplanten acht Stufen hat nicht die Oberfläche, einen solchen Mantel aus Decksteinen aufzunehmen. Die Platten könnten abrutschen, wenn sie nicht sicher verankert werden.«

      »Du kannst von mir haben, was du willst, um dieses Projekt zu vollenden.«

      »Für die Decksteine benötige ich glatten und harten Stein, am besten aus dem Steinbruchgebiet von Tura stromabwärts von Mempi«, verlangte Kamose.

      »Du wirst sie bekommen.«

      »Das Grabmal lässt sich nicht in nur fünf Jahren vollenden, Euer Majestät. Weder die große Pyramide noch die kleine Kultpyramide, der Taltempel mit Aufweg, der Totentempel oder das Stelenheiligtum. Ich benötige mehr Zeit.«

      »Zeit ist das, was mir nicht unbegrenzt zur Verfügung steht«, entgegnete der König.

      »Euer Grabmal, Euer Majestät, lässt sich in dieser Form nicht in weiteren fünf Jahren vollenden. Nicht die Pyramide, nicht die kleine Kultpyramide, nicht der Taltempel mit Aufweg, nicht der Totentempel, nicht das Stelenheiligtum. Völlig unmöglich.«

      »Hast du nicht genug Arbeiter?« fragte der Wesir.

      »Ich habe jetzt schon zu viele. Die oberste Plattform der Pyramide wird mit jeder Steinschicht kleiner, die Zahl der oben einsetzbaren Arbeiter wird von Monat zu Monat geringer, die Steinbrüche sind bald erschöpft. Ich kann nicht mehr Arbeiter einsetzen und ich habe nicht die Möglichkeit, so nahe an der Wüste und so fern von der Hauptstadt noch mehr Menschen zu versorgen. Völlig unmöglich.«

      »Wie viele Menschen arbeiten jetzt auf der Baustelle?« wollte der Herrscher wissen.

      »Während der Flut waren es fast fünfzigtausend. Ich schätze, dass es diese Woche noch fünfundzwanzigtausend sind. In den nächsten drei Wochen werden weitere zehntausend Saisonarbeiter die Baustelle verlassen.«

      Prinz Khufu war zu seinem Bruder Rahotep zurückgekehrt und verfolgte aufmerksam die Diskussion seines Vaters und seines Onkels mit meinem Vater.

      »Fünfzehntausend«, überlegte Netjer Seneferu. »Wenn Kamose nicht alle seine Arbeiter benötigt, dann können wir bereits in diesem Jahr mit der Grundsteinlegung des Atum-Tempels in Mempi beginnen.«

      »Ich werde den Königlichen Bauleiter Rechmire mit den Vorbereitungen für die Grundsteinlegung beauftragen«, erklärte Prinz Nefermaat. »Er soll sich mit Kamose wegen der Überleitung der Arbeiter verständigen.«

      »Ich befehle, dass du neue Baupläne für die Änderung der Pyramide zeichnest und mir zur Genehmigung vorlegst. Die achtstufige Pyramide soll vollendet und die Stufen aufgefüllt werden. Und ich erwarte, dass ihr euch endgültig über den Neigungswinkel einigt.«

      Das Leben auf der Baustelle veränderte sich im Lauf der nächsten Monate kaum. Die Pyramide wuchs Steinlage um Steinlage in die Höhe, veränderte langsam ihre Form von einem breiten Sockel zu einer Stufenpyramide. Die Steinbrucharbeiter brachen jeden Tag die gleiche Zahl von Steinen, die registriert, geglättet und durch die Steinschlepper die Rampe hinaufgezogen wurden.

      Mit neun Jahren war ich mehr oder weniger offiziell die Gehilfin des Königlichen Bauleiters Kamose. Irgendwann stellte ich wenig überrascht fest, dass ich nicht glücklich war. Wieso auch? Ich sehnte mich nach einem anderen Leben.

      Ich hatte alles, was ich mir jemals gewünscht hatte: ein Zelt aus weißem Leinen, ein Bett zum Schlafen, ausreichend zu essen und zu trinken. Einen verliebten Vater. Aber da war noch etwas, das mir fehlte: eine Aufgabe. Ich wollte Priesterin werden.

      Wenige Wochen nach dem Besuch des Herrschers kam der Königliche Bauleiter Rechmire aus Mempi, um sich mit meinem Vater über die Verlegung von mehreren tausend qualifizierten Steinmetzen und Künstlern von Pihuni nach Mempi zu beraten.

      Rechmire war ein sehr höflicher und gebildeter Mann, der wie Aperire in Iunu studiert hatte. Er erzählte mir von seinem Studium, als wir gemeinsam auf meinen Vater warteten, der an jenem Tag zu einer Audienz bei Prinz Nefermaat in die Residenz gerufen worden war. Rechmire blieb vier Tage auf der Baustelle und besichtigte die Steinbrüche, die Schleppstraßen sowie die Baurampe und staunte über die gute Organisation und Koordination der Arbeiter in den verschiedenen Arbeitsbereichen.

      »Die Arbeiter haben einen erstaunlichen Willen zur Arbeit. Ein solches Durchhaltevermögen habe ich auf keiner anderen Baustelle gesehen. Sie arbeiten tatsächlich bis Sonnenuntergang«, sagte Rechmire beim gemeinsamen Abendessen im Bauleiterzelt. Wir saßen mit unseren Schüsseln mit Gänsebraten und Brot am Zeichentisch. »Eine Pyramidenbaustelle ist eben etwas anderes als die Errichtung eines Tempels, auch wenn er für Atum gebaut wird.«

      »Warum?« fragte ich mit vollem Mund.

      »Die Arbeiter sind williger, weil sie genau wissen, dass sie für ihr eigenes Nachleben Verdienste erwerben, wenn sie das Haus der Millionen Jahre des Königs bauen. Außerdem ist die Bezahlung besser.«

      »Für welchen Gott will der Netjer in