Franziska C. Dahmen

Taubenjahre


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zielte drohend mit seinen Vorderhufen auf dessen Kopf, was wiederum dazu führte, dass ihm sein Besitzer eins ums andere Mal mit der Peitsche über die Beine schlug.

      »Gib’s ihm Otto!«, feuerte ihn ein dickbäuchiger Mann an, dessen Gesicht vor Aufregung rot anlief.

      Kein Wunder, dass der Hengst sich wehrt, dachte Rafael. Ich würde mir so etwas auch nicht gefallen lassen.

      Angewidert verfolgte er eine dunkelrote Blutbahn, die sich das Röhrbein des Hengstes hinabquälte.

      Der Hengst mochte in etwa 5 Jahre alt sein und ein Stockmaß von 170 – 175 cm besitzen, was für einen Trakehner gerade noch so ging, überlegte Rafael. Unter der dicken Staubschicht konnte man ein sattes Dunkelbraun erahnen. Schweif und Mähne waren kohlrabenschwarz. Kopf und Hufe zierlich geformt. Der Widerrist war ausgeprägt und die schräg gerundete Kruppe muskulös. Vorder- und Hinterbeine wiesen ebenso wie die Hufe eine korrekte Stellung auf. Samt und sonders ein Traum von einem Reitpferd. Zumindest seinem Äußeren nach. Wenn, ja, wenn da nicht das Verhalten des Hengstes gewesen wäre, das es zu beachten galt.

      Rafael biss sich auf die Unterlippe und beobachtete den Hengst genau. Er wusste, dass es ab einem gewissen Punkt keine Umkehr mehr für ein Pferd gab. Die Summe seiner schlechten und guten Erfahrungen entschied darüber, wie es sich dem Menschen gegenüber verhielt. Und dieses hier hatte entschieden schlechte Erfahrungen gesammelt. Zahlreiche halb verheilte Striemen sprachen Bände. Und dennoch … , dachte Rafael, während er den Hengst dabei beobachtete, wie er nervös auf der Stelle tänzelte und dabei gleichzeitig den Händler im Blick behielt.

      Er ist defensiv. Er verteidigt sich nur.

      Erneut näherte sich ihm der Händler und holte mit seiner Peitsche zum Schlag aus. Und wie zu erwarten, versuchte der Hengst, den Peitschenhieb mit Tritten abzuwehren.

      »Hol mal endlich einer den Abdecker!«, rief einer der umstehenden Männer.

      »Der sitzt garantiert im grünen Bock und besäuft sich.«

      »Das kann ja keiner mit ansehen.«, brüllte ein kleiner, graubärtiger Mann. »Der Satansbraten gehört erschossen!«

      »Schieß du ihn doch über den Haufen!«, brüllte ihm ein anderer, der ihm in der Arena diagonal gegenüberstand, zu. »Machst'e doch sonst auch gern, wenn de auf Sauenjagd gehst.«

      Die Menge lachte, was den Hengst dazu brachte, panisch an dem langen Seil zu ziehen, das ihn mittlerweile mit einem Querbalken verband und daran hinderte, seinem Fluchttrieb nachzukommen. Als alles Ziehen und Zerren nichts half, blieb er zitternd und mit weißen Schaumflocken übersät, stehen.

      »Ich geb auf!« Hochrot im Gesicht spuckte der Händler auf den Boden und schleuderte dem Hengst wütend seine Peitsche ins Gesicht. »Der ist keine Mark mehr wert. Soll ihn Fassbender haben.«

      »Ich kaufe ihn!«

      Wie von selbst hatten sich die Worte aus Rafaels Mund gelöst und sich ihren Weg über den Platz hinweg in das Ohr des Händlers gebahnt. Und wie alle andern, war auch er fassungslos über das Angebot, das er soeben abgegeben hatte.

      Stille!

      Das ist Wahnsinn! Vollkommener Wahnsinn!, schalt er sich selber aus, während ihn alle anstarrten, und doch! »Ich kaufe ihn!«, wiederholte er dieses Mal mit fester Stimme.

      Der perplexe Gesichtsausdruck des Händlers verwandelte sich innerhalb von Sekunden in einen von Gier beherrschten. »Der ist aber nicht billig ...«, meinte er, während er Rafael aus schmalen Augenschlitzen anvisierte.

      Einige Umstehende fingen an leise zu lachen.

      »1000 Reichsmark ist der allemal Wert.«

      Rafael hörte wie seine Nachbarn den Atem anhielten.

      »Reinblütiger Trakehner. So was gibt es nicht oft.«

      »Das glaub ich. Ein so störrisches und unbändiges Pferd gibt es wirklich nicht oft.«

      Der Händler wedelte mit den Armen, als wolle er damit alle unliebsamen Argumente vertreiben. »Der wird schon. Den muss man nur richtig anpacken.«

      »Das hab ich gesehen.« Rafael wies auf die neuesten Striemen, auf denen sich eine rostrote Blutborke bildete.

      »Also, was ist?«

      »30 Reichsmark.«

      »Jungchen, dafür kannst du dir 'nen Holzpferd kaufen, aber keinen Trakehner!« Gespielt gelangweilt, drehte er sich um, und versuchte sein Publikum durch das Schneiden von Grimassen zum Lachen zu bringen, nur um jählings wieder auf den steinharten Boden der Tatsachen zurückgeworfen zu werden, als eine Stimme ihm zurief: »Fassbender kommt. Aber er sagt, bei dem Satansgestell wirst’e ihm noch was draufzahlen müssen. Wenn er ihn hier umlegt, darf er ihn nicht mehr im Laden verkaufen. Wegen Reinheit … Bestimmungen halt! Er will ihn von dir lebend auf den Hänger gebracht kriegen ...«

      Die zu einem schmalen Strich mutierten Lippen des Pferdehändlers gerieten gänzlich in eine nicht mehr zu übersehende Schieflage. Neben realistisch zu erzielenden 100 Reichsmark, die er dem Zigeuner vielleicht hätte abluchsen können, löste sich nun auch noch das Geld, das er vom Abdecker hätte bekommen können, in Luft auf. Wutentbrannt zog er mit der Peitsche über die Nüstern des Tieres, das vor Schmerz laut aufwieherte und sich erneut vergebens vom Querbalken zu befreien suchte.

      »30 Reichsmark.«, wiederholte Rafael stoisch sein Angebot.

      »300!«

      »30!«

      »150!«

      »30!«

      »100!«

      »30!«

      »80!«

      »30!«

      »50!«

      »30!«

      »Mensch Otto … «, rief ihm einer zu, »schlag endlich ein. Mehr kriegst'e für den Gaul nicht!«

      Der so Angesprochene warf erst Rafael, dann dem Hengst einen bitterbösen Blick zu, spuckte säuerlich auf den Boden, um dann noch säuerlicher in die eigene Hand zu spucken, die er abschließend Rafael hinhielt: »30!«

      »30!« Rafael schlug ein.

      »Geben sie mir das Geld und dann machen sie, dass sie mit dem Satansbraten von hier verschwinden. Ich will sie beide nicht mehr sehen.«

      Unwillkürlich schnellte Rafaels linke Augenbraue in die Höhe, aber er schwieg und zog in aller Ruhe seine Geldkatze aus der Hosentasche und zählte 30 Reichsmark ab.

      »Papiere?«

      »Für den da?« Der Kopf des Händlers zielte auf den Hengst, der sich allmählich wieder beruhigte.

      Rafael nickte.

      »Elchschaufeln sind drauf.«

      »Meinte nicht das Brandzeichen, sondern richtige Papiere!«

      »Überschlau, was?«

      Dieses Mal schüttelte Rafael nur mit dem Kopf. »Nur genau!«

      »Willst'e etwa behaupten, dass ich 'nen Betrüger bin?«, brauste der Händler auf.

      Erneut schüttelte Rafael mit dem Kopf.

      »Mensch Otto, ...«, meinte ein mit einem stattlichen Bauch ausgestatteter Bauer, während er ihm die feiste Hand auf die Schulter legte, »gib dem Kerl das Zeugs, nimm das Geld und sei froh, dass de den da los bist!«

      Der Pferdehändler gab ein widerwilliges Schnauben von sich, wühlte dann aber in seiner Innentasche und holte ein zusammengefaltetes Papier heraus.

      »Name?«

      »Rafael Zlobek!«

      Ergänzt um seinen Namen und das aktuelle Kaufdatum, überreichte er ihm nach wenigen Sekunden das Dokument. »Und jetzt mach, dass du mit dem Gaul da fortkommst!«, blaffte er Rafael an und spuckte dabei verächtlich auf den Boden.

      Davon