Franziska C. Dahmen

Taubenjahre


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sie ein, sich zu ihnen zu setzen. Keiner wechselte ein Wort mit ihr. Alleingelassen und befangen, stand sie da und fühlte sich einsamer als je zuvor inmitten des abendlichen Gemurmels und Gescheppers von Tellern und Töpfen, das eine familiäre Vertrautheit und Wärme verriet, die sie selber gerne als Kind erlebt hätte.

      Die Kinder hatten mittlerweile aufgehört zu toben und waren wohl in den umstehenden Wagen verschwunden, wo ihre Mütter sie für die Nacht vorbereiteten. Leiser Protest drang aus einem der Wagen heraus, der alsbald wieder verebbte, sodass Ruhe einkehrte.

      In Gedanken malte Hanna sich aus, wie der kleine Junge, der vorhin mit dem schwarzschnäuzigen Hund gespielt hatte, sich dagegen wehrte, in den Badezuber zu müssen.

      »Du badest jetzt!«, würde seine Mutter zu ihm sagen, woraufhin der Kleine lauthals mit einem: »Nein, ich will nicht!«, protestieren würde, während seine Mutter sorgsam das Badehandtuch für ihn ausbreitete.

      »Doch, sonst darfst du morgen nicht mit Pusta, Refli« – oder wie auch immer diese verdammten Köter heißen mochten – »spielen.«

      Große, traurige Kinderaugen würden mit einem Schmollmund gepaart leidvoll auf den Badezuber blicken, um letztlich dann doch nachzugeben. Was bedeutete schon ein Bad, wenn man am nächsten Tag wieder nach Herzenslust toben konnte? Also würde der Kleine freiwillig in den Zuber steigen, anschließend liebevoll abgetrocknet werden, ehe es ab ins Bett ging. Natürlich unter Protest. Aber ein letzter wärmender Friedenskuss würde ihn besänftigen, sodass er zufrieden mit sich und der Welt in Morpheus Arme sinken konnte.

      Hanna seufzte leise. Das Leben konnte so schön sein, wenn, ja, wenn … Hanna verbot sich weiterzudenken.

      Ein leichter Windstoß ließ sie frösteln. Ohne Nachzudenken war sie aus dem Haus gerannt. Sehnsüchtig dachte sie an ihren Wollmantel, der jetzt die kalte Steinwand der heimatlichen Diele wärmte. Das nächste Mal werde ich ihn mitnehmen!, sagte sie sich, nur um sich selber im gleichen Atemzug zu korrigieren: Dumme Gans! Als ob es überhaupt ein nächstes Mal geben wird! – Wo nur dieser Rafael bleibt?

      Nervös schaute Hanna sich um, doch die zunehmende Dunkelheit verhinderte eine weite Sicht. Selbst die Wagen waren nur noch schemenhaft erkennbar. Überhaupt, dachte sie, wird es langsam ungemütlich. Die feuchte Kälte, die zunehmend vom Bach heraufzog, ließ sie frösteln. Sehnsüchtig blickte sie auf das wärmende Lagerfeuer, das die Männer für sich reserviert zu haben schienen.

      Die warm leuchtenden Flammen flackerten einladend und zauberten zuckende Muster auf die Gesichter der Männer, die sich leise unterhielten. Hin und wieder leuchtete im Dunkeln das punktförmige Ende einer Zigarette auf.

      »Kala ist alt genug.«, hörte sie einen der Männer sagen, dessen dicke Nase soeben von einem Flammenschatten verschluckt wurde.

      »Sie hat Haare auf den Zähnen.«, wandte Rafaels Vater ein. »Falin ist nicht der Richtige für sie.«

      Die Männer lachten.

      »Er wird nicht mit ihr fertig werden! Er ist zu weich.«

      »Du hast ihr Zuviel durchgehen lassen!«, meinte ein hagerer, grauhaariger Mann und schlug dabei dem Dicknasigen auf den Rücken, der missmutig an seiner Zigarette zog, sodass diese punktförmig aufglühte.

      Hanna hatte keine Ahnung, um wen, geschweige denn um was es ging, und wenn sie ehrlich war, dann interessierte sie das Ganze herzlich wenig. Sie stellte sich mittlerweile eine ganz andere Frage: Hatte Rafael nicht von einem Fest gesprochen?

      Skeptisch schaute sie sich um. – Nichts! Nur gähnende Leere. Ob sie sich verhört hatte?

      Unsicher nagte sie mit den Zähnen an ihrer Unterlippe. Vielleicht wäre es besser, einfach nach Hause zu gehen? Schließlich hatte sie sich für den heutigen Tag genug blamiert! Wenigstens würde sie diese Leute nie wieder in ihrem Leben zu Gesicht bekommen, was als Erfolg zu werten wäre, dachte sie in einem Anflug von Galgenhumor.

      Schon wollte sie einen der Männer um eine Fackel bitten, als sich mit einem Mal eine warme Hand auf ihre Schulter legte, sodass sie zusammenzuckte.

      »Komm Mädchen!«, hörte sie eine weibliche Stimme hinter sich sagen.

      Neugierig drehte sie sich um und blickte in das runzlige Gesicht einer alten Frau, in deren Mundwinkel eine brennende Pfeife hing. Auf der Nase saß eine Nickelbrille, die ihre dunklen Augen in verzerrter Form größer erscheinen ließen, sodass Hanna unwillkürlich an einen Uhu denken musste. Bestimmt wohnt sie in dem Wagen mit der geschnitzten Eule und dem Eichhörnchen. Noch ehe sie sie fragen konnte, wohin sie denn gehen würden, sah sie, wie Rafael auf sie zukam.

      Endlich!

      »Danke Mami, dass du dich um sie gekümmert hast.«

      Die alte Frau nickte Rafael missbilligend zu. Dann drehte sie sich im rauschenden Reigen ihrer übereinander gezogenen Röcke um und ging auf einen der Wagen zu.

      »Fräulein Schubek … schön, dass sie so früh kommen konnten.«

      »Früh? Bin ich etwa zu früh?«

      Rafael lachte laut auf und entblößte dabei sein strahlend weißes Gebiss, während er mit den Schultern zuckte.

      »Ja, wann fangen bei ihnen denn die … ich meine, wann, um wie viel Uhr fängt denn ein Fest bei ihnen an?«

      Rafael schmunzelte noch immer. »Eine feste Uhrzeit gibt es in dem Sinne nicht. Aber es wird schon etwas später sein. So ab Mitternacht …« Ein spitzbübisches Grinsen breitete sich in seinem Gesicht aus

      »Mitternacht?«, stieß Hanna fassungslos aus.

      Rafaels Grinsen wurde noch breiter.

      »Rafael«, mischte sich mit einem Mal der Mann mit dem Walroßbart ein, »veräpple das Fräulein nicht!«

      »Wie kommst du darauf? Ich würde es nie wagen …!«, Rafael lachte laut auf. »Entschuldigen sie Fräulein Schubek, die Gelegenheit sie auf den Arm zu nehmen, konnte ich mir einfach nicht entgehen lassen … Aber Spaß beiseite! Ohne unsere Frauen können wir kein Fest anfangen. So einfach ist das.« Rafael breitete wie zur Entschuldigung die Hände aus.

      Misstrauisch schaute sie ihn an. »Aber diese Mami … und die eine, die sie eben geholt hat …?«

      »Notbesetzung!«

      »Notbesetzung?« Hanna verstand nichts mehr.

      »Was mein Sohn ihnen damit sagen will«, mischte sich dieses Mal Rafaels Vater ein, »ist, dass unsere Frauen erst vom Markt zurückkehren müssen. Celia und Paruli passen auf die Kinder auf. Auf die Großen«, dabei zeigte er grinsend auf sich selbst, »und auf die Kleinen.« Ein lautes, volltönendes, donnerndes Lachen begleitete seine letzten Worte.

      »Tut mir Leid, ich wusste nicht …«, hilflos lächelnd blickte sie Vater und Sohn an.

      »Woher auch!«

      Musik und zwei Geschichten

      Es war stockdunkel als eine fröhlich schnatternde Frauengruppe in das Lager zurückkehrte und es mit neuem Leben erfüllte. Die Kinder, von denen Hanna angenommen hatte, dass sie längst schlafen würden, stürmten aus den Wagen und stürzten sich mit lautem Tohuwabohu auf die Heimkehrerinnen, die sie herzlich umarmten und küssten. Als dann die Hunde sämtliche Bewohner des Lagers bellend umsprangen, schien das Chaos komplett zu sein.

      Was für ein Empfang!, dachte Hanna bei sich. Niemand in ihrer Familie oder in ihrer Nachbarschaft wäre auf den Gedanken gekommen, jemanden bei seiner Heimkehr so freudig zu empfangen. Da sie nicht Karl hieß, wurde sie zu Hause eh geflissentlich ignoriert. Allenfalls ein auf Abend reduzierter, kühler Gruß kam hin und wieder vor. Mit mehr war nicht zu rechnen.

      Neidisch beobachtete Hanna, wie ein Mädchen von vier Jahren in den Rocktaschen seiner Mutter nach Süßigkeiten wühlte und sich mit glänzenden Augen ein Bonbon in den Mund steckte, während ihre Mutter ihr liebevoll übers Haar strich.

      »Meine