Franziska C. Dahmen

Taubenjahre


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Männern und Frauen zu geben. Keine der Frauen aß etwas, nur die Männer. Gerade als sie sich bei Rafael danach erkundigen wollte, fing ein Mann an zu singen. Es war ein melancholisches Lied. Und obwohl sie die Worte nicht verstand, meinte sie förmlich vor Sehnsucht und Traurigkeit zu vergehen. Erst als ihr Rafaels Mutter die Hand auf die Schulter legte, kehrte sie in das Hier und Jetzt zurück.

      »Entschuldigen sie … «, sagte sie etwas gestelzt, »Sie sind heute unser Ehrengast. Meine Tochter hat sich ihnen gegenüber ungebührlich verhalten. Sie hätte ihnen längst etwas zu essen anbieten sollen. Es tut mir Leid. Ich kann mich nur für ihr Verhalten entschuldigen. Ich hoffe, sie können ihr verzeihen. Sie ist jung … Aber vielleicht schmeckt ihnen, was ich für sie ausgesucht habe ... Es ist gutes Essen.«, bekräftigte sie und hielt ihr einen überquellenden Steingutteller entgegen, auf dem sich neben Fleisch auch Brot und diverse Gemüsestücke stapelten.

      Verwirrt nahm Hanna ihn an und nickte. »Das macht nichts. Danke. Die Geschichte von Rafaels Großvater war so wunderschön und jetzt die Musik…«

      Ein erstes Lächeln verzauberte das Gesicht von Rafaels Mutter und ließ es von Innen heraus leuchten. »Ja, er ist ein großer Erzähler und Raoul ein großer Sänger. Aber er singt nur traurige Lieder. Er trägt zu viel Scherz in sich ... Warten sie ab, später werden wesentlich temperamentvollere Lieder gesungen. Mein Mann holt gerade seine Gitarre. Und wie ich sehe, haben ein paar andere auch schon ihre Instrumente ausgepackt. Es wird ihnen gefallen. Und entschuldigen sie bitte nochmals …«

      »Das ist Spanferkel!«, erklärte Rafael ihr, während seine Mutter weiterging.

      »Wie? - Ach!«, Hanna starrte auf ihren Teller und biss vorsichtig in das zu kleinen handlichen Stücken geschnittene Fleisch. Es schmeckte köstlich!

      Amüsiert beobachtete Rafael sie. Die anfängliche Skepsis und Zurückhaltung hatte sich gelegt und Hanna langte herzhaft zu. Er war froh, dass seine Mutter ihr den Teller persönlich gebracht hatte, insbesondere da seine Schwester sie trotz zahlreicher, warnender Blicke seinerseits, beim Servieren der Fleischplatten ignoriert hatte. Zwar hatte seine Mutter im Laufe des Abends Sara zwei Teller in die Hand gedrückt und dabei auf Hanna und ihn gezeigt, aber Sara hatte nur abweisend mit dem Kopf geschüttelt. Erst als sich Rupas Gesicht zunehmend verdüsterte, war sie widerstrebend auf sie zugegangen. Aber ein gewisses Funkeln in ihren Augen, ließ Rafael ahnen, dass dieser Teller niemals bei ihm und Hanna ankommen würde. Und so kam es, wie es kommen musste: Kurz bevor sie sie erreichte, hatte sie trotzig die beiden Teller auf einem Baumstumpf abgestellt, ihren Rock genommen und mit dem Saum demonstrativ über die beiden Teller gestrichen. Anschließend hatte sie unverfroren mit den Schultern gezuckt, ihm übertrieben entschuldigend in die Augen geblickt, die beiden Teller wieder in die Hand genommen und war von dannen gezogen. – Hätte er gekonnt, er wäre am liebsten aufgestanden und hätte seiner Schwester dafür den Hintern versohlt.

      »Das Essen … ist … köstlich. Mein Gott, … dass es so etwas Gutes gibt.«, stieß Hanna genüsslich aus, während sie mit einer Scheibe Brot sorgfältig den letzten Rest Bratensaft auftunkte und ihn in ihrem Mund verschwinden ließ.

      Rafael starrte hingegen wie gebannt auf ihre vollen Lippen. Ein kleiner Krümel haftete auf ihrer Unterlippe. Am liebsten hätte er ihn mit dem kleinen Finger fort gestrichen. Ganz zart. Ganz vorsichtig. Als sie sich dann auch noch mit der Zunge über die Lippen leckte und dabei einen feucht glänzenden Film hinterließ, stöhnte er innerlich auf. Diese Frau machte ihn wahnsinnig.

      »Rafael, jetzt bist du dran.« Ein junges Mädchen boxte ihn lachend in die Seite.

      »Sina?!« Im ersten Moment irritiert, dann amüsiert, betrachtete er das junge Mädchen, das sich keck vor ihn hingestellt hatte und ihm eine reich mit Intarsien verzierte Gitarre hinhielt.

      »Nun komm schon Rafael … spiel für uns …«, bettelte sie und zeigte dabei einen derart übertriebenen Schmollmund, dass Rafael unwillkürlich an zwei nebeneinander liegende Fahrradschläuche denken musste.

      Um nicht laut auflachen zu müssen, sagte er stattdessen: »Hanna, darf ich dir Sina vorstellen?«

      Hanna betrachtete das Mädchen neugierig. Sie mochte in etwa sechzehn Jahre alt sein und war eine glutäugige, dunkelhaarige Schönheit, die bis über beide Ohren in Rafael verliebt zu sein schien.

      Eifersucht glomm in ihr hoch. Nie in ihrem Leben würde sie mit so einer Schönheit konkurrieren können. »Freut mich, sie kennen zu lernen«, stieß Hanna mit einer Stimme, die an Schmirgelpapier erinnerte, aus.

      Das Mädchen ignorierte sie geflissentlich. Stattdessen konzentrierte sie sich weiterhin auf Rafael. »Nun mach schon … spiel eine Tarantella … Wenigstens für mich, ja?«

      Rafael schüttelte den Kopf und hob ein kleines Stöckchen vom Boden auf. »Such dir jemand anderen aus Sina.«

      »Ich wusste gar nicht, dass sie spielen können …?«, meinte Hanna.

      Rafael zuckte leicht mit den Schultern. »Etwas.«

      Hanna blickte wieder interessiert auf die Gitarre. Die Einlegearbeiten waren aus Ebenholz und – wenn sie sich nicht irrte – aus Elfenbein. »Das ist ein wunderschönes Instrument.« Unwillkürlich streckte sie die Hand nach ihr aus, um ihr seidig schimmerndes Holz zu berühren, doch Sina zog sie ruckartig zurück.

      »Sina! Du kannst unserm Gast nicht einfach die Gitarre wegziehen, wenn er sie sehen will.«

      »Aber sie ist eine Gadje!«, stieß diese mit einem feindseligen Blick, der Bände sprach, aus.

      »Ach, lassen sie nur …«, versuchte Hanna zu beschwichtigen.

      Aber Rafael nahm Sina die Gitarre aus den Händen und reichte sie ihr. »Hier bitte, nehmen sie sie und schauen sie sich sie in aller Ruhe an. Ein Onkel von mir hat sie gefertigt.«

      »Aber Raf!«, empörte sich Sina ungehört.

      Hanna strich zärtlich über das glatt polierte Holz, das sich warm und seidig anfühlte. Dann fuhr sie mit ihren Fingern den Verlauf des Intarsienmusters entlang, ehe sie dazu überging, dem Instrument ein paar Töne zu entlocken. Sie klangen satt und rund.

      »Sie spielen Gitarre?«

      Hanna nickte.

      »Ich dachte, Frauen wie sie würden eher Klavier spielen oder singen.«, entfuhr es ihm ungewollt.

      Hanna, gar nicht beleidigt, lachte laut auf. »Es braucht ihnen nicht peinlich zu sein. Sie haben durchaus recht. Aber ich habe sowohl die Laute als auch die Harfe schon …«

      »Sie spielen ebenfalls Harfe?«

      »Meine Großmutter, Gott hab sie selig, hat mir beides beigebracht.«

      »Möchten sie auf der Gitarre spielen?«

      »Raf!«, protestierte Sina erbost, »Du kannst doch nicht …«

      »Was?!«, herrschte er sie an.

      Beleidigt drehte Sina sich um die eigene Achse und stürmte mit wehenden Röcken in die Dunkelheit hinaus, während ihr teils verständnisvolle, teils missbilligende Blicke folgten.

      »Ich möchte wirklich niemanden … Und außerdem ist es mir peinlich. Ich habe lange nicht mehr gespielt.«

      »Bitte.« Rafael sah ihr tief in die Augen.

      Röte schoss ihr ins Gesicht und sie meinte, wie eine Leuchtfackel zu glühen. »Glauben sie mir«, antwortete sie mit zittriger Stimme, »ich kann wirklich nicht.«

      »Geben sie ihrem Herzen einen Ruck meine kleine Nachtigall und tun sie meinem Enkel den Gefallen.«, mischte sich jetzt Rafaels Großvater ein. »Abgesehen davon, würden wir uns alle sehr darüber freuen … Wir haben nicht oft Gelegenheit, jemanden zu hören, der nicht … – wie sagen sie noch einmal? Ach, ja! – unserem eigenen Kulturkreis angehört.«

      »Ich habe wirklich nicht mehr gespielt … Seit Jahren! Glauben sie mir! … Und außerdem weiß ich nicht, was ich spielen soll.«

      »Oh, wenn es das ist …«, lachte der alte