Franziska C. Dahmen

Taubenjahre


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dann kann man auch mit ihm zusammen alt werden.«

      »Spricht jetzt ihre Mutter aus ihnen?«

      Sichtlich geschockt, blickte sie ihn mit großen Augen an. »Ich bin nicht wie meine Mutter! Ganz bestimmt nicht. Nie und nimmer! Wie kommen sie überhaupt darauf?«

      »All das, was sie mir gerade gesagt haben, hört sich nach den Aussagen einer verbitterten, alten Frau an, die längst mit der Liebe abgeschlossen hat, aber nicht nach einer jungen Dame, der das pralle Leben noch bevorsteht.«

      »Das stimmt nicht!«, empörte sie sich.

      »Oh, doch! Wenn sie einmal lieben, richtig lieben, dann werden sie wissen, dass Liebe ein alles verzehrendes Gefühl ist. Ein so mächtiges Gefühl, dass es sogar den Tod in Kauf nimmt. Liebe ist Duft, ist Geschmack, ist Fliegen, ist Atmen, ist Leben. Der Körper pulsiert, das Herz pulsiert, die Seele pulsiert. Alles Andere wird nebensächlich.«

      »Das mag ja für einen kurzen Moment so sein, aber was ist dann?«

      »Ein Dann gibt es nicht! Nur ein Jetzt!«

      »Das ist im Märchen so! … Da gibt es kein Danach, aber im richtigen Leben gibt es immer ein Danach!«

      »Nicht in der Liebe! Sie ist das Intensivste das es gibt. Sie lässt keinen Raum für etwas anderes. Sie füllt den Raum selber so sehr aus, dass nichts anderes mehr da rein geht.«

      »Schmuh!«

      »Schmuh?«

      Wie zur Bekräftigung nickte Hanna ihren Kopf. »Schmuh! Eindeutig Schmuh!«

      Plötzlich fing sie an zu lachen. Erst war es ein leises Kichern, dann ein lautes Lachen, das an seinen Rändern von einigen Schluchzern durchsetzt wurde.

      Rafael sah sie leicht betreten an.

      »Wissen sie«, meinte sie schließlich, »eigentlich hätte ich all das, was sie da gerade gesagt haben, sagen müssen und sie das, was ich gesagt habe.«

      Rafael schmunzelte.

      »Normalerweise sind wir Frauen es doch, die derart romantisch über die Liebe denken. Zumindest, wenn man den Liebesromanen glauben schenken kann.« Hanna verdrehte dabei die Augen.

      Nachdenklich schaute er sie an, dann meinte er: »Ich glaube ..., nein, ich weiß es mit Bestimmtheit, sie werden dieses Gefühl noch kennenlernen.«

      Etwas in seinem Blick machte ihr Angst.

      »Vielleicht«, fuhr er fort, »werden sie in dieser Hinsicht mehr zu spüren bekommen, als ihnen lieb sein wird, … oder als sie ertragen können. … Sie werden es kennenlernen, so wahr ich Rafael Zlobek heiße. Und wenn dies geschieht, dann werden sie Malinas Lied und meine Worte verstehen.«

      Hilflos und bestürzt sah sie ihn an. Gerade als sie ihn fragen wollte, ob er Hellseher sei, brach an anderer Stelle ein ohrenbetäubender Tumult los.

      Überfall

      Mit ungebremster Gewalt brach das Unheil über sie herein. Zwar schreckte sie das wütende Gebell der Hunde auf, aber ehe sich alle von ihren Plätzen erhoben hatten, brach eine Schar vermummter Gestalten aus dem Wald und drang laut brüllend in das Lager ein. Mit Knüppeln, Stöcken und Mistgabeln bewaffnet, schlugen und stachen sie wahllos auf alles ein, was ihnen im Weg stand.

      Starr vor Schreck beobachtete Hanna, wie ein Mann einen der Hunde mit einer Mistgabel aufspießte, sodass er blutüberströmt zusammenbrach und Tod auf dem Boden liegen blieb. Von irgendwo anders her drang das erbarmungswürdige Geschrei eines kleinen Kindes an ihr Ohr.

      »Wir werden angegriffen!«, schrie jemand in ihrer Nähe.

      Dann: Ein ohrenbetäubender Knall. – Jemand schoss!

      Noch ein Knall.

      Schreie.

      Hanna wurde schwindlig als sie sah, wie der Rock einer Frau Feuer fing. Innerhalb weniger Sekunden mutierte sie zu einer lebenden Fackel, die laut schreiend an ihr vorbeilief.

      Noch mehr Schreie, noch mehr Gebrüll! Hanna wusste nicht, ob sie es war, die da schrie oder jemand anderes. Eine Kakophonie an Schmerzens-, Wut- und Angstschreien drang ebenso auf sie ein, wie eine Bilderflut der Verwüstung und Zerstörung, die sie bis ins Mark hinein lähmte. Hilflos stand sie da und musste sich alles mit ansehen und anhören.

      Als einer der Vandalen: »Zigeunerpack raus! Ihr Schweine gehört hier nicht her!«, brüllte und während des Laufens mit einem dicken Holzknüppel auf einen Rom einschlug, gefror Hannas Blut endgültig zu Eis. Sie kannte die Stimme: Es war Karl! Ganz eindeutig! Es konnte kein Irrtum sein! Karl war hier! Ihr Bruder!

      Irgendjemand rempelte sie an, sodass sie hinfiel und spie ihr ein: »Zigeunerhure!«, entgegen. Fast im gleichen Moment spürte sie etwas Feuchtes auf ihrer Haut. Der Mann hatte sie angespuckt! – Aber das war nichts im Vergleich dazu, dass ihr Bruder hier war.

      Sie wusste, dass Karl ein rachsüchtiger Mensch sein konnte. Dass er es in diesem Maße war, hätte sie sich allerdings nicht vorstellen können. Allem Anschein nach hatte er nach dem Debakel mit Rafael seine Freunde gegen ihn aufgehetzt und war mit ihnen hierher gekommen, um alles, was nicht Niet- und Nagelfest war, zu zerschlagen. Andererseits, schoss es ihr durch den Kopf, könnte er auch mir gefolgt sein. Er hat durch Zufall mitbekommen, wohin ich gegangen bin, ist mir erst gefolgt, danach zurückgegangen und hat die anderen geholt. – Panik stiegt in ihr auf. Mit einem lauten: »Aber nein!«, versuchte sie sich zu beruhigen. Das war unmöglich! Sie hatte niemanden erzählt, was sie heute Abend vorgehabt hatte. – Und wenn er mich heimlich beobachtet hat? Nein, unmöglich! Karl war bei seinen Freunden gewesen, als sie das Haus verlassen hatte. Er kann nicht wissen, dass ich hier bin. Noch nicht! Aber er würde es erfahren, und zwar sehr bald! Sie war sich sicher, dass der Mann, der sie eben angespuckt hatte, ganz genau wusste, wer sie war. Bestimmt würde er es ihrem Bruder erzählen und dann … ja, was dann?, fragte sie sich im gleichen Atemzug. Würde er sie ebenso rücksichtslos zusammenschlagen, wie die Menschen hier? – Ja, bestätigte ihr eine innere Stimme. Er würde! Ohne Wenn und Aber! Das war so sicher wie das Amen in der Kirche.

      Sie musste weg von hier! Und zwar, so schnell wie möglich.

      Gehetzt sprang Hanna auf die Füße. Ihre Augen flogen nur so über den Platz. Ihr Bruder war nirgends zu sehen. Die Schwärze der Nacht musste ihn verschlungen haben. Er konnte überall und nirgends sein. Aber hier, hier wo sie stand, war er nicht! – Erleichterung breitete sich in ihr aus, die alsbald neuer Anspannung wich. Denn unmittelbar in ihrer Nähe hörte sie plötzlich das dumpfe Aufprallen geballter Fäuste. Karl? – Nein, es war nicht Karl; der Mann war schlank, ihr Bruder sah gedrungener aus. Trotzdem kam er ihr vertraut vor.

      Erst als sie sich einigermaßen beruhigt hatte, begriff sie, dass das Gesicht, das sie verschwommen im zuckenden Licht des lodernden Lagerfeuers erblickte, Rafaels war. Er kämpfte mit einem Mann, der sich mit allen Mitteln dagegen wehrte, dass dieser ihm die Maske vom Gesicht zog.

      Schlag folgte auf Schlag. Mal traf es Rafael, mal seinen Kontrahenten, der immer wieder versuchte, zu entkommen, aber von Rafael festgehalten werden konnte.

      Dann ein gellender Schrei, der alles andere übertönte.

      Hanna drehte sich in die Richtung aus der er gekommen war und sah, dass in einiger Entfernung ein Wohnwagen Feuer gefangen hatte.

      Irgendjemand musste eine Fackel durch eines der offen stehenden Fenster geworfen haben, sodass jetzt alles lichterloh brennen konnte. Doch was war das? Was war das für ein Schatten? – Mein Gott, jemand befand sich in dem Wohnwagen! Hanna starrte wie gebannt auf den Schatten. Das konnte nicht sein! Das durfte nicht sein! Das war ein Kind! Und es schrie.

      So schnell wie noch nie in ihrem Leben rannte Hanna auf den Wohnwagen zu und riss die Tür auf. Gierig züngelnde Flammen schossen ihr entgegen. Kaum erkennbar aber doch sichtbar, sah sie im Hintergrund ein kleines Kind, das sich mittlerweile verzweifelt in eine Ecke drängte und aus Leibeskräften schrie und schluchzte.

      Beißender