Franziska C. Dahmen

Taubenjahre


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kleinen Mädchen in die Wangen, das daraufhin verschämt kicherte, »besaß er einen Mund, der genau so aussah wie der deinige. Und reden, das konnte er ebenso gut wie du und ich.«

      »Vielleicht haben sie ihn Lippenlos genannt, weil er immer auf ihnen gekaut hat, Popo.«, meinte der Junge mit dem Fliegenwedel.

      »Dann hätten sie ihn Lippenkauer genannt.«, wies ihn ein anderer Junge zurecht, woraufhin der mit dem Fliegenwedel ihm einen bitterbösen Blick zuwarf.

      Der Alte nickte bedächtig und fuhr fort. »Kann sein, wer weiß … Auf jeden Fall hatte der Stammeshäuptling eine wunderschöne Tochter, die er rote Blume, also Lolerme, nannte.«

      »Wie du!«, flüsterte das kleine Mädchen, das an Hannas Beine gelehnt saß.

      Hanna strich ihr zärtlich übers Haar.

      »Nun war Bimuyakro in eben jene Lolerme bis über beide Ohren verliebt, doch Lolerme verachtete ihn und wies ihn ab. Wie, lachte sie abweisend, du willst mich heiraten? Du kannst mich doch noch nicht einmal küssen! Du bist doch der Lippenlose! Was bildest du dir ein?

      Der Lippenlose senkte traurig den Kopf. Ich kann dich nicht zwingen mich zu heiraten. Ich werde mir ein anderes Mädchen suchen. Doch ich warne dich Lolerme, es wird der Tag kommen, da wirst du noch bereuen, dass du mich nicht gewollt hast.

      Das Mädchen lachte ihn zusammen mit den anderen Stammesangehörigen aus. Wie konnte der Lippenlose nur so eingebildet sein?!

      Bimuyakro hingegen drehte sich traurig um und verließ den Stamm noch in der selben Nacht. Einsam und verlassen wanderte er durch den finsteren Wald, bis er an eine Kreuzung gelangte, wo er sich müde und mit gebrochenem Herzen zu Boden sinken ließ. Eine Träne nach der anderen rann seine Wange herab, als ihn plötzlich etwas am Kopf berührte.«

      Der alte Mann machte eine kurze Pause. Er zündete seine Pfeife erneut an, zog einmal tief an ihr und fuhr dann fort: »Erschrocken schaute der Lippenlose empor.« Popo riss dabei seine dunklen Augen auf. »Was er sah, war ein wunderschönes Nivaši-Mädchen, das da vor ihm stand.

      Ich weiß, warum du weinst. Und ich bin gekommen, um dich zu trösten., sagte das Nivaši-Mädchen zu ihm. Anstatt Lolermes werde ich dich heiraten. Morgen um diese Zeit bringe ich dich in mein goldenes Haus, wo wir in Lust und Freude miteinander leben werden.

      Daraufhin setzte sie sich neben ihn, umarmte und küsste ihn. Doch ihre Umarmung war so kalt wie Eis und ihr Kuss so kühl wie der Herbstwind.« Popo schüttelte sich und tat so, als fröre er. »Doch sie hörte nicht auf. Und als die Sonne aufging, da waren ihre Küsse und Umarmungen so warm, wie die einer jeden Frau. Kikeriki«, imitierte der alte Mann den Schrei eines Hahns, woraufhin sämtliche Zuhörer zusammenzuckten. » … machte es und das Nivaši-Mädchen verließ den jungen Mann, der daraufhin in sein Lager zurückkehrte. Als ihn die Leute wiedersahen, lachten sie laut und riefen: Gestern nannten wir dich ohne Grund den Bimuyakro, aber heute fehlt dir tatsächlich eine Lippe.

      Bimuyakro sagte nichts, er nahm sich einen Spiegel und schaute hinein.Und tatsächlich: Ihm fehlte eine Lippe. Aber da sie nicht blutete, zuckte er nur mit den Schultern und ging seiner Arbeit nach.

      Als es Nacht wurde, schlich er sich wieder zu dem Kreuzweg, wo das Nivaši-Mädchen auf ihn wartete. Dieses Mal nahm sie ihn an die Hand und führte ihn zu einem nahegelegenen See, der im Mondschein silbern glänzte. Noch während er ihn bewunderte, umfasste sie ihn mit beiden Armen und sprang mit ihm ins Wasser. Bimuyakro wusste nicht wie ihm geschah: Auf einmal befand er sich in einem wunderschönen Haus. Wo er hinsah, blinkte ihm Gold und Silber entgegen und auf dem Tisch befanden sich die ausgefallensten und delikatesten Speisen und Getränke.«

      Popos Beschreibung ließ Hannas Geschmacksknospen aufblühen. Schon meinte sie den köstlichen Geschmack von Feigen und Datteln auf ihrer Zunge zu spüren.

      »Die Tage vergingen und Bimuyakro war glücklich. Am neunten Tag jedoch sprach das Nivaši-Mädchen zu ihm: Höre, Bimuyakro, wir müssen uns für einen Tag und eine Nacht trennen. Ich werde dich hinauf auf die Erde bringen und du kannst solange zu deinem Stamm zurückkehren. In der daraufkommenden Nacht erwarte ich dich am Ufer des nächstgelegenen Flusses.

      Und tatsächlich, das Nivaši-Mädchen setzte ihn in der Nähe seines Stammes ab. Im Lager angekommen, waren alle erstaunt ihn zu sehen und fragten ihn, wo er denn so lange gewesen sei. Doch Bimuyakro blieb stumm. Er setzte sich vielmehr ans Feuer, als plötzlich aus seiner Tasche ein paar Goldstücke fielen. Verwundert sah er nach und fand darin noch viel mehr Geld.

      Der Stamm, der noch nie in seinem Leben soviel Geld und Gold auf einmal gesehen hatte, freute sich und feierte ein großes Fest, nur Lolerme stand traurig beiseite und weinte bitterlich. Gerade als sie Bimuyakro bitten wollte, ihr ihre Worte zu verzeihen und sich mit ihr zu versöhnen, war er wieder verschwunden.

      Erst nach neun weiteren Tagen kehrte er zurück und brachte wieder viel Geld mit. Jeder freute sich darüber. Denn schließlich konnte der Stamm auf einmal ohne Arbeit gut von dem, was Bimuyakro mitbrachte und so freigiebig austeilte, leben. Egal wo sie ihr Lager aufschlugen, stets kehrte Bimuyakro am neunten Tag für einen einzigen Tag zurück, nur um in der darauffolgenden Nacht erneut zu verschwinden.

      Eines Tages jedoch, genauer nach neun Monaten änderte sich alles: Bimuyakro war todtraurig, denn das Nivaši-Mädchen hatte einem Jungen das Leben geschenkt. Nun werdet ihr sagen, das ist doch etwas wunderbares, aber das Kind eines Nivaši-Mädchens ist kein normales Kind. Es ist ein Nivaši-Junge, was soviel bedeutete, dass der Junge den Menschen nur Leid und Unheil zufügen wird, um nach Verlauf von dreißig Jahren als Nivaši ins Wasser zurückzukehren. Genau dieses behagte Bimuyakro überhaupt nicht und er überlegte, wie er sich von seiner Geliebten befreien könnte.

      Da trat Lolermes Vater auf ihn zu und sagte: Ich sehe, dass du traurig bist. Meine Tochter Lolerme ist es auch. Ich weiß, dass du ihr einen Heiratsantrag gemacht hast und dass sie abgelehnt hat. Es tut ihr Leid. Sie liebt dich. Auch wenn du nicht mehr so viel Geld nach Hause bringen solltest, so möchte ich dich doch als Schwiegersohn haben. Wenn du willst, dann feiern wir morgen Hochzeit. Bimuyakro, der Lolerme heimlich immer noch liebte, sprang voller Freude auf und willigte ein.

      Schon am nächsten Tag feierten sie Hochzeit und Bimuyakro kehrte nicht mehr zu dem Nivaši-Mädchen, das einst seine Geliebte gewesen war und ihm einen Jungen geboren hatte, zurück.

      Die Zeit verging und die beiden liebten sich sehr. Das Glück schien vollkommen und das Nivaši-Mädchen war vergessen. Da begab es sich, das Bimuyakro eines Nachts mit seinen Stammesgenossen ins nächste Dorf wanderte. Dabei passierten sie eine Brücke. Und wie es alter Brauch war, spuckten auch sie dabei dreimal ins Wasser.« Popo spuckte drei Mal ins Feuer. »Da geschah es: Plötzlich flog aus dem Wasser ein Nivaši-Junge und ergriff Bimuyakro und zog ihn mit sich in die dunkle Tiefe.

      Natürlich waren alle zutiefst erschrocken und suchten ihn. Aber erst am nächsten Morgen fanden sie seine Leiche und trugen sie zurück ins Lager, wo Lolerme auf sie wartete.

      Als sie ihren toten Mann da liegen sah, erschrak sie sosehr, dass sie starb, woraufhin man beide zusammen ins Grab legte und begrub.

      Als der Stamm nach einer Weile zu dem Ort, wo die beiden toten Liebenden schliefen, zurückkehrte, da blühten auf ihrem Grab zwei weiße Blumen.«5

      Rafaels Großvater zog an seiner Pfeife und nickte Hanna zu, die sich verschämt, die Tränen aus dem Gesicht wischte.

      »Was waren das für Blumen, Popo?«, fragte ihn ein kleines Mädchen.

      Noch einmal zog der alte Mann genüsslich an seiner Pfeife. »Nun mein kleines Rotkehlchen, das waren zwei ganz besondere Blumen, die man nur sehr, sehr selten im Leben zu sehen bekommt.«

      Die Kleine starrte ihn mit großen Augen an. »Ich denn?«

      Popo zuckte mit der Schulter und lächelte sie verschmitzt an. »Wer weiß!«

      Eine der Frauen reichte ihm einen Becher mit Wein, den er dankend annahm. Erst dann wurden reihum die Gläser der anderen gefüllt, ehe die Frauen dazu übergingen,