Franziska C. Dahmen

Taubenjahre


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folgte Hanna Rafael, der auf eine hochgewachsene Frau zusteuerte, die lautstark im Begriff war, den schwarzschnäuzigen Köter zu vertreiben, der ihr wild wedelnd und winselnd um die Beine strich.

      Wenigstens noch jemand, der diesen Köter nicht ausstehen kann!, dachte Hanna.

      »Dej, darf ich dir Fräulein Hanna Schubek vorstellen? – Hanna meine Mutter Rupa Zlobek.«

      Ein neugieriger, wenn auch etwas distanzierter Blick traf Hanna. Rupa Zlobek mochte an die vierzig sein. Dichtes, dunkelbraunes Haar, das von ersten grauen Strähnen durchzogen wurde, umschmeichelte ein klar geschnittenes Gesicht. Ein feiner Linienkranz, der sich um ihre blauen Augen gebildet hatte, verriet, dass sie gerne und oft lachte. Jetzt allerdings blickte sie Hanna ernst, fast zurückhaltend an.

      »Freut mich, sie kennenzulernen Frau Zlobek.«, sagte Hanna mit einer etwas wackligen Stimme, die ihre Unsicherheit verriet.

      Rafaels Mutter nickte verhalten, während ein kleines Mädchen angelaufen kam, um sich an ihren knöchellangen Rock zu schmiegen. Neugierig starrte sie Hanna aus großen, runden Augen an.

      »Fräulein Schubek.« Ein kurzer Händedruck mehr nicht.

      Hanna spürte, wie die anderen Frauen sie unter halb gesenkten Augenlidern misstrauisch beäugten.

      »Ich habe sie zu unserm Fest eingeladen.«, meinte Rafael laut und schaute dabei seiner Mutter geradewegs in die Augen.

      »Ich sehe es!«, kam es trocken zurück.

      »Falls ich ihnen ungelegen komme, kann ich wieder nach Hause gehen. Bitte …, ich möchte ihnen keinerlei Umstände oder gar Unannehmlichkeiten bereiten.« Hanna war froh, dass sie endlich ausgesprochen hatte, was sie fühlte.

      Ein erstes Lächeln huschte über das Gesicht von Rafaels Mutter. Aber noch ehe sie etwas erwidern konnte, warf Rafael sich für sie in die Bresche und protestierte lautstark: »Bitte Fräulein Schubek, bleiben sie. Es war mein Fehler. Ich hätte ihnen von Anfang an sagen sollen, dass unsere Feste erst spät beginnen. Können sie mir noch einmal verzeihen?«, dabei bedachte er sie mit einem Blick, der einen Stein zum schmelzen gebracht hätte. »Kommen sie, geben sie ihrem Herzen einen Ruck und bleiben sie ... Ich verspreche ihnen, ich werde meinen Fehler wieder gut machen, ja? Sie werden es nicht bereuen.«

      Trotz hochgezogener Augenbraue mütterlicherseits sowie trotz des spürbar leisen Getuschels von Seiten der anderen Frauen, die sich darum bemühten, nicht ein einziges Wort ihres Gesprächs zu verpassen, schmolz Hanna bei Rafaels Anblick dahin.

      »Na, gut!« gab Hanna mit einem gepressten Lachen von sich. »Ich bleibe!«

      »Wunderbar!« Rafael strahlte sie an und Hanna merkte, wie ihre Knie anfingen zu zittern. »Kommen sie, ich zeige ihnen wie es Fusco geht!«, und schon riss Rafael sie mit sich fort.

      *

      Hanna war satt und zufrieden und genoss die Wärme des Lagerfeuers in vollen Zügen. Nur mit einem Ohr lauschte sie der Musik. Ein Mann begleitete ein junges Mädchen auf seiner Geige. Mit halb geschlossenen Augen summte sie die Melodie mit, während ihre Gedanken unwillkürlich den bisherigen Abend Revue passieren ließen.

      Es hatte einige Zeit gedauert, bis die Frauen aus ihrer Reserviertheit aufgetaut waren. Aber nachdem Rafael sie stur jedem einzelnen Clanmitglied meinte vorstellen zu müssen, war die anfängliche Skepsis verschwunden. Insbesondere Rafaels Großvater erwies sich als Charmeur. Der alte Zausel umgarnte sie derart mit blumigen Komplimenten, dass sie sich wie eine Prinzessin aus Tausendundeinenacht vorkam.

      »Meine kleine duftende Rose, sie müssen noch eine Tasse türkischen Mocca trinken. Er ist so schwarz wie die Nacht und so süß wie die Liebe. Kennen sie eigentlich die Geschichte vom Nachtigallenmädchen und den 41 Räubern? – Sie wird ihnen gefallen, insbesondere da mich ihre Stimme an sie erinnert. Sie haben ein wunderbares Timbre in ihrer Stimme meine kleine duftende Rose.«

      Erstaunt bemerkte Hanna, wie Rafael bei den Worten seines Großvaters nach Luft schnappte. »Ich würde eher sagen, dass Hanna wie eine Margerite aussieht! Hell und strahlend, umkränzt von einem unschuldigen Kranz weißer Blütenblätter. Abgesehen davon, Fräulein Schubek, glauben sie meinem Großvater kein Wort. Er ist ein wahrer Herzensbrecher. Abgesehen davon müssen sie wissen, dass er bei uns zu den besten Märchenerzählern gehört.« Rafael zuckte lachend mit den Schultern. »Tja, und wie so oft im Leben gilt auch in seinem Fall: Das, was man oft und leidenschaftlich gerne tut, färbt letztlich auf einen selber ab. Sie wissen schon: Zuviel Hantieren in roter Farbe führt zu roten Händen. Nicht wahr Popo?«

      Popo lachte laut auf und zeigte dabei eine Reihe intakter Zähne. »Warte einmal ab, mein Junge. Wenn du erst in meinem Alter bist, dann wirst du dich darüber freuen, neben einer Rose … «, gespielt hielt er inne und streckte Rafael abwehrend die Hände entgegen, »einer Margerite sitzen zu dürfen. Und wenn sie dann mit dir spricht …«, gekonnt verdrehte er die Augen und griff sich mit beiden Händen ans Herz, »dann wirst du meinen, den Himmel auf Erden zu erleben.«

      Alle lachten.

      »Und sie sind wirklich Märchenerzähler von Beruf?«, hakte Hanna leicht ungläubig nach. Nur schwer konnte sie sich vorstellen, dass ein erwachsener Mann tatsächlich davon leben sollte. Im Orient mochte es so etwas vielleicht geben; schließlich waren die Geschichten aus Tausendundeinernacht voll davon, aber hier? Hier im Okzident erzählte man seinen Kindern oder Enkelkindern abends eine Gutenachtgeschichte, aber vor Publikum auftretend und seinen Lebensunterhalt damit verdienend … nein, nie und nimmer!

      »Natürlich!«, mit vor Stolz erfüllter Brust sah Rafaels Großvater sie an.

      »Er ist der Beste!«, bekräftigte Rafael.

      »Das ist er!«, jubelten zwei Kinder und flehten den alten Mann an, ihnen eine Geschichte zu erzählen.

      »Ich fürchte, die Sterne sind noch nicht weit genug vorbeigezogen.«, erwiderte der alte Mann gespielt abwehrend.

      Ein pausbäckiger Junge von gerade einmal fünf Jahren schmiegte sich daraufhin an ihn. »Bitte Popo…«

      »Der Mond steht noch nicht hoch genug.«

      »Ganz bestimmt will er schon jetzt deine Geschichte hören, Popo. Bitte, bitte, bitte …«, meinte ein anderer, der die ganze Zeit über an den Haaren eines Fliegenwedels kaute, was Hanna jedes Mal, wenn sie ihn ansah, schaudern ließ.

      Gespielt ergeben rollte der alte Mann mit den Augen, strich dem pausbäckigen Jungen übers dunkelbraune Haar und holte aus seiner Jackentasche eine Holzpfeife heraus.

      »Ich weiß gar nicht, ob Fräulein Schubek sich für eines meiner Märchen interessiert.«, meinte er beiläufig und stopfte den Tabak fest in die Öffnung hinein.

      »Das tut sie!«, versicherten sämtliche Kinder unisono und schauten sie dabei flehend an. »Sie mögen doch auch Märchen? Sagen sie ja? Bitte …?«

      Hanna lachte und zuckte ergeben mit den Schultern.

      »Bitte, sag ja. Ja?«, piepste ein kleines etwa vierjähriges Mädchen, das in ihrer Welt längst in Morpheus Armen gelegen hätte.

      »Wie kann ich da noch nein sagen!« Schmunzelnd wandte Hanna sich an Rafaels Großvater, der mittlerweile genüsslich an seiner Pfeife zog und eine dicke Wolke Tabakrauch ausblies.

      »Wenn sie mich so bezaubernd bitten, mein Nachtigallenmädchen, kann ich unmöglich nein sagen.«

      Die Kinder jubelten laut und bildeten einen Halbkreis um Popo. Doch womit Hanna niemals in ihrem Leben gerechnet hätte, war, dass sich innerhalb kürzester Zeit sämtliche Erwachsenen zu ihnen ans Lagerfeuer setzten und den alten Mann abwartend ansahen. Erstaunt schüttelte Hanna den Kopf. Der Orient befand sich unmittelbar vor ihrer eigenen Haustür, wer hätte das gedacht!

      Der alte Mann zog noch einmal an seiner Pfeife, deren Inhalt im Dunkel der Nacht rot aufglühte. Dann senkte er die Stimme und begann mit leiser Stimme zu erzählen: »Es war einmal vor vielen, vielen Jahren, da lebte ein armer Zigeuner, den alle nur den Lippenlosen, Bimuyakro, nannten.