Franziska C. Dahmen

Taubenjahre


Скачать книгу

Wagen, der da zwischen den Birken und Tannen hervorlugte, passte wie die Faust aufs Auge hierher. Es musste wunderbar sein, in so einem Wagen zu wohnen. Stets konnte man sich die schönsten Plätze aussuchen. Egal wo man gerade war. In ihrer Phantasie sah Hanna sich schon durch ganz Deutschland fahren. Vielleicht käme sie sogar bis nach Italien?

      »Kennst Du das Land, wo die Zitronen blühn,

       Im dunklen Laub die Goldorangen glühn,

       Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,

       Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht?

       Kennst Du es wohl?

       Dahin! dahin

      Möcht' ich mit Dir, oh mein Geliebter, ziehn!«4, rezitierte sie leise.

      – »Jetzt spinne ich endgültig!«, schalt sie sich laut und schüttelte verwundert über sich selber den Kopf. Das, was du da vor dir siehst, ist ein lausiger Zigeunerwagen und nichts anderes!

      Natürlich hatte auch sie im Laufe der Zeit unzählige Geschichten über herumziehende Zigeuner zu hören bekommen. Hinter vorgehaltener Hand erzählte man sich den wildesten Klatsch über sie: Ihre Wagen seien eben so verlaust und dreckig wie sie selber. Abgesehen davon finde man dort nicht nur das ganze Diebesgut, das sie sich auf ihren unzähligen Raubzügen zusammengetragen hätten; oh, nein, als viel schlimmer erwiesen sich die in Käfige eingesperrten kleinen, blonden Kinder. Geklaut hätten sie sie und würden sie jetzt für teures Geld verkaufen. Und dann erst das sittenlose, ungehemmte Leben, das sie führten … Zu Hannas großem Bedauern hatten die Stimmen der Frauen genau an diesem Punkt Tuschellautstärke angenommen, sodass sie beim bestem Willen nicht hatte verstehen können, worin sich dieses sittenlose, ungehemmte Leben konkret manifestieren sollte. Wenn es mit dem übereinstimmte, was sie dachte, dann konnte es nicht schlimmer sein, als das, was ihr Bruder trieb.

      Mit einem Mal stob eine laut bellende Hundemeute auf sie zu. Es war eine bunt zusammengewürfelte Ansammlung an Promenadenmischungen, die keinerlei Zweifel aufkommen ließen, dass sie nicht zur Spezies der Schoßhündchen gehörten. Weder schliefen sie auf extra für sie angefertigten Samtkissen, wie es die Hunde einer Freundin ihrer Mutter taten, noch dürften sie in ihrem Leben jemals in die Hände eines Hundefriseurs geraten sein. Ihr zotteliges Äußeres sprach Bände; ebenso ihr breiter Kopf, der mit einem mächtigen Kiefer ausgestattet war und Hanna nur eines signalisierte: Mit mir ist nicht zu spaßen!

      Als die Meute breitbeinig sowie zähnefletschend vor ihr stehen blieb, traute sie sich nicht, sich zu regen. Eine höllengefärbte Ewigkeit, in der sie sich zerfleischt am Wegesrand liegen sah, breitete sich vor ihr aus, bis endlich eine sonore Stimme: »Pusta! Refli! Kob!«, rief.

      Das unmissverständliche Knurren erstarb auf der Stelle und die Hunde legten sich wie auf Kommando auf den Boden, allerdings nicht ohne sie für einen einzigen Augenblick aus den Augen zu lassen. Insbesondere der mit dem schwarzen Fleck auf der Schnauze schien es auf sie abgesehen zu haben. Immer wieder bleckte er seine Zähne und ließ ein tiefes, grollendes Knurren hören. Erneut fingen ihre Knie an zu zittern. Wie hypnotisiert starrte sie auf sein mächtiges Gebiss und hörte schon in Gedanken, wie er ihre Knochen knackend zermalmte.

      »Kann ich ihnen behilflich sein?«, hörte sie endlich die gleiche tiefe Bassstimme fragen, die vorhin gerufen hatte.

      Hanna stieß ein gequältes: »Jaaaaa … «, aus, das prompt von dem Schwarzschnäuzigen mit einem tiefen Knurren kommentiert wurde.

      »Kob!«

      Das Knurren wandelte sich in ein kurzes Winseln, ehe es durch ein freundliches Hecheln ersetzt wurde. Aber erst als die tiefe Bassstimme die drei Promenadenmischungen mit einem kurzen: »Ab mit euch!«, wegschickte und sie davonsprangen, traute sie sich ihren Retter anzuschauen.

      Ein kleiner, etwas dicklicher Mann, dessen Gesicht von einem schwarzen Walrossbart beherrscht wurde, stand breit grinsend vor ihr. »Gute Hunde!«, meinte er und wies auf die zu Lämmern mutierten Bestien, die mittlerweile mit einem kleinem Jungen spielten, der sie fröhlich krähend herumkommandierte und abwechselnd über einen Baumstumpf springen oder Pfötchen geben ließ.

      »Wenn sie meinen …«, murmelte Hanna mehr als skeptisch.

      »Oh, das können sie mir glauben ... Es sind wirklich gute Hunde. Sie passen gut auf, sind ansonsten aber lammfromm!«

      »Mhm ...«

      »Was kann ich für sie tun? Haben sie sich verlaufen?«

      Hanna schüttelte betreten den Kopf. »Ein Herr …, ich meine Herr Zlobek, Herr Rafael Zlobek, … er hat, … er hat mich für heute Abend eingeladen und da ...«, Hanna verstummte. Am liebsten wäre sie vor lauter Scham im Boden versunken. Hätte sie nur nicht Rafaels Einladung angenommen und wäre stattdessen lieber zu Hause geblieben. Wie peinlich! Was mochte der Mann nur von ihr denken? – Auf jeden Fall nichts Gutes. Das stand fest. Sie sah es seiner Miene an, die im ersten Moment wie versteinert wirkte, sich nach und nach aber wieder entspannte.

      »Rafael?« Erstaunt zog er eine Augenbraue in die Höhe.

      Hanna nickte stumm; gleichzeitig fühlte sie, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss.

      »Dann kommen sie …« Der Mann breitete, ohne dass das Lächeln seine Augen erreichte, die Arme aus, drehte sich halb um und schritt in Richtung Lager voran.

      Nur zögernd schloss Hanna sich ihm an. Ihr Weg führte sie vorbei an anderen Wagen hin zu einem Platz, auf dem ein großes Lagerfeuer brannte.

      Vier Männer unterhielten sich angeregt, während eine Schar tobender Kinder sie immer wieder umkreiste. Unter ihnen befand sich auch der kleine Junge, der eben noch mit den drei Hunden gespielt hatte, was nichts anderes bedeuten konnte, als dass die drei Ungeheuer auch in der Nähe sein mussten. Nervös hielt Hanna nach dem schwarzschnäuzigen Köter Ausschau, aber sie konnte ihn ebenso wenig in der zunehmenden Dämmerung entdecken, wie seine beiden vierbeinigen Bundesgenossen. Zweifellos, dachte sie, umkreisen sie das Lager und lauern ahnungslosen Spaziergängern auf. Zuzutrauen wäre es ihnen auf jeden Fall!

      Eine dunkelhaarige Frau von herber Schönheit trat aus einem der Wagen und warf ihnen einen misstrauischen Blick zu, sagte aber nichts. Vielmehr schritt sie, mit einer eisernen Kaffeekanne bewaffnet, auf die am Lagerfeuer Sitzenden zu, die lauthals über etwas lachten. Bei den Männern angekommen, ergriff sie den Saum ihres langen, bunten Rocks und hielt ihn mit einer Hand fest, sodass sie niemanden mit ihm berühren konnte, während sie den Männern mit der anderen einschenkte. Leise flüsterte sie dabei einem von ihnen etwas zu, woraufhin dieser sich erhob und sich ihr zuwandte.

      Hanna fühlte sich seltsam entblößt, als sie den Blick des Mannes auf sich ruhen fühlte. Stechende Augen, überdacht von dicken, buschigen Augenbrauen in einem kantigen Gesicht musterten sie kurz, ehe sie ihren Blick fragend auf den Mann richteten, der sie hierher geführt hatte.

      Hanna merkte, wie ihr erneut die Schamröte ins Gesicht schoss, was den Mann indes nicht interessierte. Er konzentrierte sich auf den Mann mit dem Walroßbart, der in einer fremdländischen Sprache auf ihn einredete.

      »Pusta, Refli, Kob und Rafael«, waren die einzigen Worte die Hanna verstand.

      Interessiert verfolgten die drei andern das Gespräch aus den Augenwinkeln heraus, taten gleichzeitig aber so, als wären sie in ihr eigenes Gespräch vertieft.

      »Ich höre, sie wollen zu meinem Sohn!?« Ein leicht abweisender Unterton schwang in der Frage des Mannes mit den dicken Augenbrauen mit, ansonsten ließ nichts darauf schließen, dass es ihm missfiel, dass eine wildfremde Frau im Lager aufgetaucht war und mit seinem Sohn sprechen wollte.

      Hanna nickte.

      »Nun gut!«, sagte Rafaels Vater und wandte sich daraufhin an die junge Frau, die soeben noch den vier Männern Kaffee eingeschenkt hatte. »Celia, geh zu Rafael und sag ihm, dass er …«, Rafaels Vater flocht gekonnt eine Pause ein, »Besuch bekommen hat!«

      Derweil fühlte Hanna sich recht unbehaglich