Franziska C. Dahmen

Taubenjahre


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ein leichtes Grinsen nicht unterdrücken. Fein säuberlich fand er Name, Geburtsort/Gestüt, Eltern, Maße, besondere Merkmale und Besitzer aufgelistet.

      Fehlt nur noch ein Hufabdruck, dann könnte man die Papiere Fuscos mit den seinigen eins zu eins austauschen. Fingerlabyrinthe auf der einen und Hufabdrücke auf der anderen Seite – keine schlechte Mischung! So langsam füllte sich sein imaginärer Tapetendruck, der eines Tages ganze Amtsstuben zieren würde.

      Noch immer grinsend, steckte er die Papiere ein, nickte dem sein Geld zählenden Viehhändler ein letztes Mal zu und näherte sich langsam dem Hengst, der wieder anfing, nervös auf der Stelle zu tänzeln. Erst als er begriff, dass Rafael unmittelbar vor ihm stehenblieb und keinerlei Anstalten machte, ihn zu berühren, beruhigte er sich etwas.

      Langsam, ganz langsam zog Rafael ein Tuch heraus, von dem er wusste, dass es vor ein paar Tagen mit einer rossigen Stute seines Vaters in Berührung gekommen war und rieb seine Hände daran. Dann streckte er seine Hand aus und hielt sie dem Hengst entgegen.

      »Na, Fusco … , das ist doch was Feines. Das gefällt dir bestimmt.«

      Im ersten Moment scheute Fusco. Doch dann nahmen seine Nüstern diesen unwiderstehlichen Duft wahr. Er ging von diesem Mann aus. Unmöglich! – und doch schien er der Quell des Ganzen zu sein. Interessiert beäugte er ihn. Die Hand bewegte sich nicht. Sie verharrte weiterhin bewegungslos in der Luft. Vorsichtig, mit weit vorgestrecktem Hals näherte er sich ihr und sog den betörenden Duft tief ein. Der Mann, der jetzt vor ihm stand, war anders als die andern. Man konnte es vielleicht wagen. Immerhin war da dieser Duft …

      Rafael ließ sich Zeit. Das Gros der sensationslüsternen Zuschauer zog nach und nach missmutig von dannen. Nichts schien zu passieren, außer dass der Gaul an der Hand eines Zigeuners roch. Selbst der cholerisch veranlagte Pferdehändler lenkte letztlich seine Schritte in Richtung Grüner Bock, um dort zusammen mit dem mittlerweile eingetroffenen Schlachter sein Missgeschick in Bier zu ertränken.

      Rafael blieb von all dem unberührt. Ihn interessierte einzig und allein dieser Trakehnerhengst. Und wenn er hier noch Stunden wie zur Salzsäule erstarrt stehen bleiben musste, er würde den Platz nicht ohne Fusco verlassen. Das Tier brauchte Zeit, viel Zeit sogar, um wieder einigermaßen Vertrauen zu einem Menschen zu fassen. War das geschafft, würde er eines Tages nicht nur ein hervorragendes Reittier abgeben, sondern ihm auch viel Geld einbringen. Der Preis, den er mit ihm erzielen könnte, würde sich sehen lassen.

      Rafael schielte zu Fusco herüber und sah, wie der Hengst erneut seinen Hals ausstreckte, um erst an seiner Hand, dann an seiner Kleidung zu riechen. Zufrieden schnaubte er und wagte sich einen weiteren Schritt vorwärts, um letztlich an seinen Haaren zu knabbern. Langsam, ganz langsam drehte Rafael sich um und streichelte behutsam Fuscos Hals entlang. Der Hengst ließ es sich gefallen und äpelte ab. Rafael grinste. Er wusste, er hatte gewonnen!

      »Na, dann wird es wohl Zeit, dass wir Dich auf die Weide bringen. Hm ...?«, um Zustimmung heischend sah er den Hengst an, als er unverhofft die rauchige Stimme Hannas neben sich vernahm: »Ich glaube niemand hier, hätte einen Pfennig darauf gewettet, dass sie es schaffen.«

      Der Hengst schnaubte nervös, tänzelte kurz auf der Stelle, brach aber nicht aus.

      Rafael grinste verschmitzt. »Wenn ich ehrlich bin, ich auch nicht. Zumindest nicht so schnell. Wie lange schauen sie mir zu?«

      »Von Anfang an. Ich habe gesehen, was Hinrichs mit ihm gemacht hat. Er ist bekannt dafür … Wie heißt er?«

      »Fusco.«

      Leise wiederholte sie den Namen: »Fusco – schöner Name.«

      Hanna schlenderte im gleichen Takt neben ihnen her. »Was werden sie mit ihm machen?«

      »Schauen, dass ich ihn wieder hinbekomme und dann verkaufen.«

      »Verkaufen?«

      »Von irgendetwas muss ich leben …«

      »Dauert das lange?«

      Rafaels Augenbraue schnellte fragend nach oben.

      »Ich meine, Fusco wieder hinzubekommen.«

      Rafael zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung! Das liegt an ihm.«

      »Sie … sie haben viel Erfahrung? … Ich meine mit Pferden, oder?«

      Rafael nickte stumm und fragte sich, ob es klug war, in aller Öffentlichkeit mit Hanna zusammen spazieren zu gehen.

      »Tut mir Leid wegen … Ich meine, mein Bruder … Ich wollte nicht, dass er und meine Mutter ihnen soviel Ärger bereiten.«

      Erneut zuckte er mit den Achseln. »Sie können schließlich nichts dafür.«

      Rafael blieb stehen. Ihr Duft nach frisch geschnittenen Heu stieg ihm in die Nase. – Verdammt!, fluchte er innerlich, die junge Frau neben ihm machte ihn noch ganz verrückt.

      Indessen schaute Hanna ihn abwartend an. Ihr Herz trommelte wie wild. Noch nie hatte ein Mann eine derartige Wirkung auf sie ausgeübt. Eher im Gegenteil. Dank Karl …, aber nein, daran wollte sie jetzt nicht denken! Ein eisiger Schauer lief ihr den Rücken herab und brachte sie dazu, für einen kurzen Moment die Augen zu schließen.

      Irritiert bemerkte Rafael, dass Hanna sich innerhalb weniger Sekunden veränderte. Urplötzlich war sie totenbleich im Gesicht geworden. Als sie dann auch noch mit geschlossenen Lidern vor ihm stand, war er vollkommen ratlos. Hatte er etwas Falsches gesagt? Fühlte sie sich unwohl? – hilflos starrte er sie an.

      Derweil streckte Hanna sich, schüttelte kurz den Kopf und schenkte ihm ein Lächeln, das aber ihre wieder geöffneten Augen nicht erreichte.

      Was zum Teufel war mit dieser Frau nur los? Immer noch ratlos versuchte er seine Hilflosigkeit mit: »Hinter der Kurve ist unser Lager.«, zu überspielen und wies auf einen schmalen Feldweg, der eine starke Linkskurve nahm und hinter einer Wand aus Birken verschwand.

      »Oh, schon?«, entfuhr es Hanna ungewollt.

      Unwillkürlich musste Rafael grinsen. »Ja, schon!«

      »Ja, dann …«, verlegen blieb sie stehen und schaute unschlüssig auf die vegetative Mauer, die Rafaels Welt von ihrer trennte. Zwei separat nebeneinander existierende Welten, die sich durch ihr Zusammentreffen für einen kurzen Moment berührt hatten. Die eine war ihr wohlvertraut, aber sie konnte nicht behaupten, dass sie von ihr begeistert war. Eher im Gegenteil: Hinter der Fassade gutbürgerlicher Rechtschaffenheit verbargen sich Abgründe, die zeitweilig einem Albtraum gleichkamen, aus dem man nur hoffen konnte, zu erwachen. Die andere war ihr vollkommen fremd. Ihr Ruf nicht gerade der beste. Zigeuner: Ein Wort, das zum Synonym für Vagabundentum, Kindsraub und Diebstahl geworden war, und doch – nachdenklich schaute sie den Mann an, der ihr auf dem Markt geholfen hatte und jetzt versuchte, dem malträtierten Hengst sein Vertrauen in die Menschheit zurückzugeben – gefiel ihr das Wenige, das sie bis jetzt von ihm über seine Welt erfahren hatte, wesentlich besser als dasjenige, das sie von der ihrigen her kannte.

      Auch Rafaels Gedanken liefen Sturm. Er war unsicher, was er mit Hanna anfangen sollte. Zum Lager führen? – Ein Unding! Gadje, insbesondere Gadjefrauen brachte man nicht ins Lager. Man vergnügte sich mit ihnen an abgelegenen Orten oder bei ihnen daheim, mehr nicht! Er konnte sich schon jetzt vorstellen, wie man im Lager darauf reagieren würde: Die Frauen würden sie mit keinem einzigen Blick würdigen, während die Männer entweder anzügliche Bemerkungen von sich geben oder sie gänzlich ignorieren würden. Nein, dachte er, er konnte Hanna unter keinen Umständen mit ins Lager nehmen.

      Ein entschlossener Zug breitete sich in seinem Gesicht aus, als er sagte: »Das Beste ist, sie gehen jetzt nach Hause.«

      Hanna fühlte sich verletzt. Gerade als sie den Entschluss gefasst hatte, sich von ihm überreden zu lassen, ihn ins Lager zu begleiten, wies er sie ab und schickte sie nach Hause. Ob er wohl verheiratet war? Vielleicht hatte er Kinder? – Hannas Herz verkrampfte sich bei dem Gedanken. Bestimmt war er verheiratet und wollte nicht, dass seine Frau sie sah! Unwillkürlich schossen ihr die Tränen in die Augen. Wie konnte sie nur so abgrundtief dumm sein? Sie war